Legalisierung und Lizenzierung – die nächste Herausforderung in der Cannabis Debatte!

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Kai-Friedrich Niermann

Vorerst keine schnelle Entkriminalisierung

Eine schnelle Entkriminalisierung der Cannabiskonsumenten und der unverarbeiteten Nutzhanfprodukte wird es nach dem Willen der Ampelkoalition, trotz dringlicher Forderungen der Interessenverbände von DHV, LEAP Deutschland und der EIHA, vorerst nicht geben. Man fürchtet eine vorgezogene Entkriminalisierung könnte das gesamte Projekt der Legalisierung gefährden. Dieses insgesamt sehr vorsichtige Taktieren erscheint unverständlich, da beide Vorhaben von einer satten Regierungsmehrheit im Bundestag gedeckt sind. Nach Aussage von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wird es einen Entwurf aber nicht vor Anfang 2023 geben, sodass wir mit weiteren, hunderttausenden von Strafverfahren bis weit in das Jahr 2023 rechnen müssen. Diese Konsequenz wird aber augenscheinlich in Kauf genommen.

Klare Signale sind notwendig!

Nicht nur die Richter und Staatsanwälte in den laufenden Strafverfahren, sondern auch die Industrie, die sich auf die neue Situation vorbereiten will, brauchen deshalb klare Signale. Klare Signale, dass es sich hier nicht nur um Lippenbekenntnisse handelt, sondern aktiv an dem Reformprozess gearbeitet wird. Wie von der SPD-Abgeordneten Carmen Wegge vorgeschlagen, könnte Deutschland zeitnah die Single Convention kündigen, die einer Legalisierung derzeit noch im Wege steht. Damit würde man den Justizbehörden, der Industrie und dem Ausland deutlich zu verstehen geben, dass die neue Regierung ihr Vorhaben ernst meint und man langsam damit anfangen kann, sich auf die neue Situation einzustellen.

Wie? Wo? Was?

Ohne Gesetzesentwurf dieses Jahr wird es eine sehr freie Debatte werden, an der sich viele beteiligen. Nach der Frage der sofortigen Entkriminalisierung sollten wir jetzt das Abgabemodell, das wir wirklich wollen, diskutieren. Denn dieser Punkt wird eine der größten Herausforderungen für den Gesetzgeber bei dem Reformvorhaben werden. Und was die Industrie am meisten interessiert: das Lizenzierungsmodell im Einzelhandel! Wie wir aus Kanada und Kalifornien wissen, konnte der Schwarzmarkt dort nur schleppend verdrängt werden, weil dort zu wenige Abgabestellen lizenziert wurden.

No Caps! – kein Anzahlbeschränkungen

Im Cannabiskontrollgesetz, dem Gesetzesentwurf der Grünen zur Legalisierung, werden die Bundesländer ermächtigt, Beschränkungen hinsichtlich der Anzahl von Cannabisfachgeschäften festzulegen (im Englischen als sog. „Caps“ bekannt). Eine entsprechende Forderung wurde kürzlich auch seitens der suchtmedizinischen Fachgesellschaften erhoben. Solche „Caps“ kannten wir in Deutschland bei den Apotheken, und aktuell noch bei den Spielotheken. Anzahlbeschränkungen von Gewerbebetrieben stellen ein ernsthaftes verfassungsrechtliches Problem dar, da sie in das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz eingreifen. Das Bundesverfassungsgericht nahm 1958 die Entscheidung einer bayerischen Behörde zum Anlass, seine bis heute gültige Dreistufentheorie zu entwickeln. In dem Fall wurde eine Apothekenlizenz nicht erteilt, weil in dem entsprechenden Gebiet schon ausreichend Apotheken vorhanden seien.

Was sind mögliche Konsequenzen?

Sollten für Cannabisfachgeschäfte tatsächlich Caps eingeführt werden, müssten sie sich mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 12 messen lassen. Denn hierbei würde es sich um objektive Zulassungsbedingungen der dritten Stufe handeln, die von den persönlichen Eigenschaften des Grundrechtsinhabers unabhängig sind und ihre Erfüllung dem einzelnen schlechthin entzogen ist. 

Schutz des Einzelnen und der Bevölkerung

Wenn die freie Berufswahl durch objektive Zulassungsvoraussetzungen eingeschränkt wird, muss gerade dieser Eingriff zum Schutz eines überragenden Gemeinschaftsguts zwingend geboten sein. Deshalb sind an sie besonders strenge Anforderungen zu stellen und nur zulässig, sofern sie zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für dieses Gemeinschaftsgut gerechtfertigt sind, so das Bundesverfassungsgericht im Apothekenurteil von 1958.

Theorie trifft Praxis

Soweit die Theorie. Weder im Cannabiskontrollgesetz noch im Positionspapier der suchtmedizinischen Fachgesellschaften findet sich eine entsprechende Begründung dafür, welches überragende Gemeinschaftsgut Niederlassungsbeschränkungen erforderlich machen. Das Bundesverfassungsgericht hat seinerzeit zugunsten des klagenden Apothekers entschieden. Zwar wäre die Volksgesundheit im Prinzip ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut, welches die Einführung objektiver Zulassungsregelungen rechtfertigen könnte. Nach ausgiebiger Diskussion konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass es bei Wegfall der Niederlassungsbeschränkungen zu einem ruinösen Konkurrenzkampf unter den Apotheken mit den damit verbundenen Gefahren für die Volksgesundheit kommen könnte.

Als mögliches Argument für eine Beschränkung der Fachgeschäfte käme sicherlich nicht ein wohlmöglich ruinöser Preiskampf der Geschäfte untereinander in Betracht. Vielmehr scheint die Sorge zu bestehen, dass durch ein Überangebot ein erhöhter Bedarf in der Bevölkerung generiert wird. Allerdings wissen wir aus den vorhandenen Daten in den Ländern, in denen bereits legalisiert wurde, dass der Konsum an Cannabisprodukten nicht ansteigt.

Anreizcharakter ausschließen

An anderer Stelle sieht das Cannabiskontrollgesetz bereits Vorschriften vor, um einen Aufforderungs- oder Anreizcharakter zum Cannabiskonsum auszuschließen. So gilt ein generelles Werbeverbot für Cannabis und das äußere Erscheinungsbild des Cannabisfachgeschäfts darf nicht mit auffälliger Werbung oder sonstigen Werbemitteln gestaltet sein.

Diese Vorschriften zur Regelung der Berufsausübung stellen ein wesentlich milderes Mittel dar, die Generierung eines Mehrbedarfs in der Bevölkerung zu verhindern, und damit dem Schutz der „Volksgesundheit“ zu dienen. Ob darüber hinaus noch objektive Zulassungsbeschränkungen erforderlich sind, darf aus verfassungsrechtlicher Sicht bezweifelt werden. 

Konsequenz einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit wären langwierige juristische Auseinandersetzungen, und zwar nicht nur auf verfassungsrechtlicher Ebene. Konkurrenten, die aufgrund einer Anzahlbeschränkung bei der Erteilung von Lizenzen in der ersten Runde leer ausgehen, könnten die behördlichen Entscheidungen im Rahmen von verwaltungsgerichtlichen Konkurrentenklagen angreifen. Und zwar mit dem Argument, dass die Behörde eine falsche Ermessensentscheidung getroffen hat. Selbstverständlich müssen alle sonstigen Voraussetzungen vorliegen, wie das vorgeschriebene Sozialkonzept, das Angebot sicherer Produkte, ausgebildete Mitarbeiter und Sicherungsvorkehrungen etc. Erfüllen aber mehrere Wettbewerber alle Voraussetzungen gleichmäßig, wird eine ermessensfehlerfreie Auswahl für die Behörde fast unmöglich. Das Unternehmen, das eine Lizenz erhalten hat, kann sich dann überlegen, ob es das Risiko eingeht und den Betrieb aufnimmt, obwohl die Lizenz wohl möglich nachträglich entzogen werden kann. Wenn die Aufnahme des Betriebes durch einstweilige gerichtliche Regelungen nicht von vornherein unmöglich ist. Hier besteht offensichtlich die Gefahr, dass zu wenige Fachgeschäfte eröffnen und das Ziel der Legalisierung, den Schwarzmarkt so schnell wie möglich auszutrocknen, konterkariert wird.

Überversorgung?

Verzichtet man vollständig auf Anzahlbeschränkungen für Fachgeschäfte in den Bundesländern, wird es sicherlich in den ersten zwei bis drei Jahren eine Überversorgung geben, die sich dann durch eine Marktbereinigung wieder konsolidieren wird. Die Geschäfte mit dem besten Angebot und dem besten Service werden sich dann durchsetzen. Außerdem würden von Tag 1 an ausreichend lizensierte Abgabestellen zur Verfügung stehen. 

Als letzte Alternative käme eine Lotterie in Betracht, wie man es in Kanada und Amerika gesehen hat. Eine Lotterie hat den Vorteil, dass die Behörde keine eigene Entscheidung bei der Lizenzerteilung treffen muss, und somit auch keine Fehler machen kann. Vielmehr wird die Auswahl dem Zufall überlassen wird. Eine solche Lösung würde aber denselben verfassungsrechtlichen Bedenken wie bei den „Caps“ begegnen.

Im Apothekengesetz werden ebenfalls mildere Mittel angewandt, um einen Preiskampf zwischen Apotheken zu verhindern und eine bestmögliche Versorgung der Bevölkerung zu erreichen. Im Glücksspielstaatsvertrag ist ebenfalls vorgesehen, dass die Länder die Anzahl der in einer Gemeinde zu erteilen Erlaubnisse begrenzen können. In der Regel berufen sich Behörden aber nicht auf diese Regelung (wegen der hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen), sondern als mildere Maßnahme wird in der Regel auf den fehlenden Mindestabstand (zum Teil bis zu 500m) zu anderen Betrieben abgestellt. Dem Spieler soll so „ein innerer Abstand“ zum eigenen Spielverhalten ermöglicht werden, und nicht die sofortige Gelegenheit zu einem erneuten Spiel erhalten.

Versandhandel ermöglichen?

Zuletzt hat sich die FDP, als klassisch wirtschaftsliberale Partei, mit ihrer Abgeordneten Kristine Lütke dafür ausgesprochen, den Vertrieb von Freizeit-Cannabis auch über den Versandhandel ermöglichen zu wollen. Der Onlinehandel würde sich höchstwahrscheinlich in kürzester Zeit als beherrschendes Marktmodell herausstellen, und somit erheblichen Druck aus der Lizenzierungsproblematik des stationären Handels herausnehmen. Online-Händler wären in der Lage, ein riesiges Angebot an unterschiedlichen Blüten und Fertigprodukten aufzubauen, die jederzeit verfügbar wären. Der Online-Handel wird im Entwurf des CannKG abgelehnt, da der Grundgedanke der sozialen Verantwortung, der dem Entwurf zugrunde liegt, nach Ansicht der Grünen nur durch eine persönliche Beratung und Präventionsarbeit gewährleistet werden kann. Hier wird es aber, wie auch Kristine Lütke meint, technische Möglichkeiten zur Gewährleistung des Jugendschutzes geben.

Fazit: Anzahlbeschränkungen von Cannabisfachgeschäften begegnen erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, und sind zum Schutz der Bevölkerung vor einer Steigerung des Cannabiskonsums nicht erforderlich. Es gibt mildere Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Außerdem würden sie das vordringlichste Ziel der Cannabis-Reform gefährden, nämlich den Schwarzmarkt effektiv, zügig und vollständig zu verdrängen. Zur Erreichung dieses Ziels sollte unter Auflagen auch der Online-Handel zugelassen werden, der auch entlegene Gebiete effektiv versorgen kann. 

Auch die Mindestabstände zu Jugendeinrichtungen und anderen Fachgeschäften müssen sorgfältig diskutiert werden, da sie über den Charakter und die Größe der Geschäfte mitentscheiden werden. Wollen wir kleine Einheiten auch in den Innenstädten, in denen ausführlich, inhabergeführt beraten und „verantwortungsvoll verkauft“ werden kann, so wie die Grünen es im CannKG fordern? Soll dort auch in einem geschützten Raum konsumiert werden dürfen? Oder werden die Fachgeschäfte in große Neubauten in die Gewerbegebiete und an die Ausfallstraßen gezwungen, in denen es nur um „schnelles“ Verkaufen geht?

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