Ist es zu spät, in den CBD- und Cannabis-Markt einzusteigen?

by Gastautor

Oft kommt mir als Journalist und Berater in der Cannabis-Industrie genau diese Frage in den Sinn: Haben wir bereits den Zeitpunkt verpasst, um mit neuen Unternehmen in den Cannabis-Markt einzusteigen? Ist der CBD-Markt eventuell schon gesättigt, gibt es schon alle erdenklichen Produkte bei allen erdenklichen Stellen zu kaufen?

Ein Gastbeitrag von Lorenz Minks

In Fach- und Unternehmerkreisen mit Berührungspunkten zu Cannabis entgehen einem die Konkurrenz-Kämpfe und Fusionen der weltgrößten Cannabis-Unternehmen nur schwer. Die weltweit größten Aktien-Unternehmen sind lange mit steiler Kurve gewachsen, genauer gesagt bis Ende 2018. Doch seitdem taumeln die Aktienkurse. Das viertgrößte Cannabis-Unternehmen nach Umsätzen, Tilray, befindet sich seitdem sogar in einem dauerhaften Sinkflug – trotz innovativer Fertigarznei-Produkte für Apotheken und Patienten.

Ist es zu spät, in den CBD- und Cannabis-Markt einzusteigen?

Auch breit aufgestellte Unternehmen wie Canopy Growth, die in allen Markt-Segmenten aktiv sind, konnten nicht an die Höhen von 2018 anknüpfen. Um zu verdeutlichen, wie breit Canopy Growth aufgestellt ist, und wie wenig diese breite Aufstellung den Aktien-Kurs positiv beeinflusst hat, hier ein paar ihrer Tochterfirmen mit Kurzbeschreibung:

  • Tweed: THC-haltige Cannabis-Blüten und Erfrischungs-Getränke sowie Vape-Carts
  • Martha Stewart: THC-Gummibärchen und -Softgels
  • BioSteel: Nahrungsergänzungsmittel und Getränke für Sportler
  • Houseplant: «Premium» Cannabis Blüten und Pre Rolled Joints
  • Tokyo Smoke: Cannabis Fachgeschäfte in Kanada
  • DNA Genetics: A seed bank
  • viele weitere CBD und THC Marken aller Arten

Ist es zu spät, in den CBD- und Cannabis-Markt einzusteigen?

Doch eines fällt in meinen zwei anfänglichen Beispielen auf: Die dargestellten sind alles kanadische Unternehmen! Und nicht nur das, sieben der weltweit größten Cannabis-Unternehmen haben ihren Sitz in Kanada – der ersten G7-Nation, in der Cannabis für medizinische und freizeitliche Nutzung freigegeben wurde. Inklusive legaler Geldabwicklung über die offiziellen Banken, was in den USA immer noch nicht möglich ist.

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Die Welt mit mehr als 7,7 Mrd. Menschen besteht jedoch nicht nur aus dem 37,59 Mio.-Einwohner-Land Kanada. Kanada als flächenmäßig zweitgrößter Staat der Erde wird nur von knapp 0,4% aller Erdenbewohner bewohnt. Als G7-Staat hat Kanada allerdings ein riesiges Brutto-Inlands-Produkt in Relation zur Einwohnerzahl.

  • BIP Kanada 2020: 1,64 Billionen US-Dollar.
  • BIP weltweit 2020: 83,8 Billionen US-Dollar.

Kanada erwirtschaftet ca. 2% des weltweiten BIPs bei 0,4% der weltweiten Einwohner: Diese Zahlen sprechen für eine starke Wirtschaftskraft. Um Chancen für neue Cannabis-Märkte aufzutun, könnten wir jetzt natürlich einfach schauen, welche Länder ein hohes BIP aufweisen. Doch nur, weil ein Land eine starke Gesamt-Wirtschaftsleistung besitzt, heißt das noch lange nicht, dass sich vor Ort auch ein Cannabis-Markt etablieren kann. Grundlage sind natürlich zuerst einmal lokale Gesetzgebungen, aber auch internationale Rahmenverträge.

Kaufkraft als Indikator für Wachstums- und Zielmärkte für die Cannabis-Industrie

Viel wichtiger, um neue CBD-Märkte einzuschätzen, ist meiner Meinung nach jedoch der Blick auf die Kaufkraft eines Landes. Denn Gesetzgebung bezüglich Cannabis kann sich mit Blick auf die letzten Jahre deutlich schneller ändern, als der wirtschaftliche Aufschwung eines Landes voranschreitet.

Ich schreibe von Deutschland und der Schweiz aus und habe mir einmal die Kaufkraft verschiedener Staaten in Relation zu Deutschland angeschaut. Die Daten habe ich von Länderdaten.info bezogen: Diese Seite erklärt für alle Interessierten auch noch einmal sehr schön, was die Kaufkraft überhaupt ist:

Lebenshaltungskosten und Kaufkraft in Relation zum Einkommen

Wir haben die Lebenshaltungkosten Deutschlands aus dem Jahr 2019 und 2020 als Basis mit einem Index von 100 gesetzt und daraufhin die anderen Länder angepasst. Bei einem Index von 80 sind also die üblichen Kosten des täglichen Bedarfs um 20% geringer als bei uns.

Das Monatseinkommen (bitte nicht verwechseln mit einem Lohn oder Gehalt) errechnet sich aus dem Bruttonationaleinkommen pro Einwohner.

Der errechnete Kaufkraft-Index basiert wieder auf einem Wert von 100 für Deutschland. Ist er höher, so kann man sich basierend auf den Lebenshaltungskosten in Relation zum Einkommen mehr leisten. Ist er niedriger, ist also auch die Bevölkerung weniger wohlhabend.

Am Beispiel der Schweiz:
Bei einem Lebenshaltungskosten-Index von 153 sind alle Waren im Schnitt etwa 53 Prozent teurer als in Deutschland. Allerdings ist das Einkommen in der Schweiz mit 6364 Euro auch 76 Prozent höher als in Deutschland, womit sich also der Durchschnittsbürger auch wieder mehr leisten kann. Rechnet man nun die 53% höheren Kosten gegen das 76% höhere Einkommen, kann ein Schweizer sich immer noch etwa 15 Prozent mehr leisten als ein Deutscher.

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Wir zählen ab, dass Kanada in Sachen Kaufkraft auf Platz 23 von 195 Ländern platziert ist. Kanada hat einen Kaufkraft-Index von 84,7% in Relation zu Deutschland. Das heißt, die Kanadier können sich nach Abzug aller Fixkosten weniger Produkte des „schönen Lebens“ leisten als die Deutschen. Mit Produkten des „schönen Lebens“ meine ich zum Beispiel teure Kosmetik- und Livestyle-Produkte, wie zum Beispiel CBD-Öle oder Cannabis-Blüten. Beides sind recht aufwändig produzierte Produkte mit langer Wertschöpfungs-Kette und damit automatisch teurer als Grundnahrungs-Mittel oder Klopapier. Zudem sind Cannabis-Produkte bisher nicht als überlebensnotwendig einzustufen, weshalb Cannabis-Produkte mit Geld bezahlt werden müssen, welches nach Erfüllung aller Grundbedürfnisse noch in den Brieftaschen der Konsumenten übrig ist.

Da die Kanadier augenscheinlich eine Kaufkraft haben, die groß genug ist, um sich Cannabis-Produkte leisten zu können, können wir grundsätzlich mal davon ausgehen, dass Länder mit höherer Kaufkraft als Kanada wirtschaftlich gesehen ebenso als Zielmärkte für Cannabis-Produkte gelten können.

Industrie-Nationen als starke Ziel-Märkte für Cannabis-Produkte

Was mit Blick auf die Liste auffällt: Viele der dargestellten Länder mit höherer Kaufkraft als Kanada zählen zu den wirtschaftlich starken Industrie-Nationen. Wir sehen viele europäische Länder, die USA, ein paar Öl-Staaten und Australien: All diese Länder haben die wirtschaftlichen Märkte unserer Welt der vergangenen 70 Jahre dominiert. In Entwicklungs-Ländern wie China und Indien hingegen gibt es zwar momentan ein rasantes Wirtschafts-Wachstum, jedoch bleibt die Kaufkraft mit 71% und 35% verglichen mit Deutschland weit abgeschlagen zurück. Das heißt, dass die Bewohner dieser Länder eher weniger Geld für den regelmäßigen Konsum von CBD- und Cannabis-Produkten übrighaben – selbst wenn die Produkte rechtlich erlaubt wären.

Doch schauen wir uns die Länder mit hoher Kaufkraft an: In den USA beispielsweise boomt analog zu Kanada ebenfalls das Geschäft mit medizinischem Cannabis und CBD, auch dort ist im Moment eher von einer Sättigung des Marktes auszugehen. Ein Markteintritt erscheint pauschal gesagt also unattraktiv. Doch Länder wie die Schweiz zeigen, dass sich global immer wieder neue Märkte bilden und öffnen. Die «kleine» Schweiz mit nur acht Millionen Einwohnern hat sich innerhalb von vier Jahren zum bedeutendsten CBD-Produzenten in Europa entwickelt und versorgt mittlerweile (noch) fast alle europäischen CBD-Märkte mit CBD-Blüten und -Ölen: Trotz höherer erlaubter Wirkstoff-Konzentration und schwindelerregend hohen Mindestlöhnen!

Kanadische Cannabis-Unternehmen besitzen bereits große Markt-Anteile weltweit

Andere europäische Länder mit einer höheren Kaufkraft als Kanada wurden währenddessen bereits frühzeitig von strauchelnden kanadischen Unternehmen in den Fokus genommen, Investitionen in Dänemark beispielsweise wurden durch das fünftgrößte Cannabis-Unternehmen der Welt getätigt – das kanadische Aurora. Während der Aktienkurs von Aurora durch die Übersättigung des kanadischen Medical-Cannabis-Marktes ins Straucheln geriet und auch Exporte ins Ausland zäher als gedacht anliefen, wurden viele Experimente im Ausland angestoßen. In Dänemark entstand so beispielsweise ein knapp 10.000m2 großes Gewächshaus für die Belieferung des mitteleuropäischen Marktes. Auroras Strategie, in Ländern mit aufstrebenden Märkten für medizinisches Cannabis einen Early-Mover-Vorteil zu erzielen, wurde vor allem in Europa forciert. Mit Akquise von Medizinischen Cannabis-Unternehmen in Portugal, und Gründung von Vertriebs-Gesellschaften unter anderem in Polen, Deutschland, Grossbritannien und Italien.

Ist es zu spät, in den CBD- und Cannabis-Markt einzusteigen?

Italien: Zweitgrößter Medizinischer Cannabis-Markt in Europa

In Europa wächst vor allem der Markt für medizinisches Cannabis. Investoren-Gruppen aus der Pharma-Industrie konkurrieren mit etablierten Medizinischen Cannabis Firmen wie Aurora oder Aphria um die wenigen Slots zum Anbau und Verkauf von medizinischem Cannabis. Oft bekommen die etablierten Unternehmen den Zuschlag, denn sie können die Europäischen Behörden am ehesten davon überzeugen, Europäische GMP- und GACP-Anforderungen mit etablierten Konzepten einhalten zu können. Europäische Start-Ups haben meist nicht die Möglichkeit, ihre best practices oder bestehende Gewächshäuser aus Kanada vorzustellen.

Erbitterter Preiskampf im Bereich Medizinisches Cannabis

Dazu kommt, dass ausländische Produktions-Unternehmen die Preise für medizinisches Cannabis enorm drücken: Aurora hat für die zugesicherte Liefermenge von mindestens 400kg pro Jahr für den italienischen Markt laut marketrealist einen Verkaufspreis von 1,73€ pro Gramm garantiert. Preise, die nur möglich sind, wenn man riesige, ausgeklügelte und perfektionierte Cannabis-Produktionsstätten betreibt. Dazu müssen Grundstückspreise, Mieten, Lohnkosten und Stromtarife am Ort des Anbaus sehr gering sein – ein Segen für Unternehmen wie Aurora, die das medizinische Cannabis in Italien nicht anbauen, sondern von anderen Ländern aus importieren. Lokale Landwirte und Gärtnereien können mit solchen Preisen längst nicht mithalten. Dazu kommt, dass im medizinischen Sektor lediglich CBD- und THC-Wirkstoffgehälter behördlich vorgeschrieben sind und beispielsweise Terpenwerte (noch) nicht: Somit lässt sich Medizinisches Cannabis zu günstigsten Preisen herstellen und deckt trotzdem die behördlichen Vorgaben nach Qualität vollständig ab – selbst wenn der Patient am Ende der Wertschöpfungskette das ganz anders sieht.

Der Patient und Konsument im Mittelpunkt

Die Markt-Beobachtung von medizinischem Cannabis weltweit legt nahe, dass dieser Markt von den großen Kanadischen Unternehmen im Moment fest kontrolliert wird. In Deutschland beispielsweise bekamen bisher drei medizinische Cannabis-Produktions-Unternehmen den begehrten Zuschlag: Zwei davon Aphria und Aurora. Das dritte Unternehmen für die Produktion von medizinischem Cannabis ist Stand jetzt die Firma Demecan, welche ausnahmsweise aus Deutschland stammt. Einziger Wehrmutstropfen: Demecan bekommt vom deutschen BfArM nur etwa halb so viel Medizinisches Cannabis pro Jahr abgenommen wie die beiden Konkurrenten aus Kanada.

Jedoch zeigt das Feedback Deutscher Cannabis-Patienten, dass die Qualität von Medizinischem Cannabis im Moment noch nicht ihren Vorstellungen entspreche. Die Vice schreibt in diesem Artikel:

Deutschlands Umgang mit medizinischem Cannabis sei vor allem verwirrend, sagen Betroffene. Das Mittel sei schwer zu beschaffen und immer noch mit Vorurteilen belastet. Die in Deutschland verfügbaren Mengen seien zu gering, Ärzten fehle es an Expertise und Krankenkassen weigerten sich regelmäßig zu zahlen. Diejenigen, die für ihr Apotheken-Gras selbst aufkommen müssen, sagen, dass es überteuert und von schlechter Qualität sei. Nicht wenige versuchen es deswegen weiter auf dem Schwarzmarkt oder bauen illegal selbst an.

Es ist erschreckend, zu lesen, dass manche Patienten die unregulierte Qualität des Schwarzmarktes mehr schätzen als das streng staatlich kontrollierte Medizinische Cannabis aus der Apotheke. Es wird deutlich, dass die Anforderungen an Medizinisches Cannabis bei Produzenten, staatlichen Behörden, Großhändlern, Apotheken und Patienten stark voneinander abweichen.

Die Produktions-Unternehmen wollen zu möglichst geringen Kosten herstellen, die Behörden wollen Einhaltung aller Grenzwerte und konsistente Wirkstoff-Konzentrationen von THC und CBD, die Großhändler wollen so viele Sorten wie möglich an so viele Apotheken wie möglich liefern, die Apotheken wollen ein möglichst stabiles Sortiment in ihren Regalen und der Patient möchte ein leckeres, terpenhaltiges Produkt – am liebsten sogar verschiedene Sorten mit unterschiedlichen Terpen-Profilen für Morgens und Abends.

Günstigste Produktions-Prozesse bei den etablierten Produzenten von Medizinischem Cannabis
Unternehmen wie Tilray kommunizieren ihren Produktions-Prozess ganz transparent ohne Angst vor Shitstorms nach außen. Dabei fällt auf: Lediglich vier bis acht Tage Trocknungs-Zeit gewähren die Kanadier ihren Medizinal-Cannabis-Blüten höchster Güte. Cannaisseure wissen jedoch: 10 – 14 Tage Lufttrocknung und anschließendes Handtrimmen im getrockneten Zustand führen erst zu wirklich leckeren Cannabis-Blüten. Von einem zwei bis dreimonatigen Curing-Prozess wollen wir gar nicht erst anfangen – kaum ein Produzent von Medizinischem Cannabis gibt Ressourcen für einen anständigen Fermentations-Prozess aus.

Zudem werden Cannabis-Blüten nach der Ernte und Trocknung oftmals mit Gamma-Strahlung radioaktiv bestrahlt, um anschließend alle Grenzwert-Tests auf Pilze und andere Pathogene garantiert zu bestehen. Viele Prozesse, die die Produktion von großen Mengen Medizinischer Cannabis-Blüten vor allem günstig machen.

Ist es zu spät, in den CBD- und Cannabis-Markt einzusteigen?

All diese Beobachtungen zeigen, dass zwar die geforderten Mengen an medizinischen Cannabis-Blüten durch Überproduktion in bestimmten Ländern durch Exporte weltweit gedeckt werden können, die Qualität jedoch noch deutlich hinter den Erwartungen der Patienten liegt. Im medizinischen Cannabis-Markt ist also vor allem in der hochqualitativen Markt-Nische noch Platz für neue Unternehmen.

Markt-Nischen als große Chance für den Cannabis-Markt

Dadurch, dass der CBD-Markt (noch) deutlich unregulierter ist als der Markt für Medizinisches Cannabis, sind die Diskrepanzen der Anforderungen an die Qualität des Endproduktes zwischen Konsumenten, Produzenten und Großhändlern in meinen Augen kleiner als auf dem Markt für Medizinisches Cannabis. Das heißt, dass die Produzenten schon eher die Qualitäten auf dem Markt platzieren, die beim Konsumenten am Ende auch gut ankommen.

Doch auch auf dem CBD-Blüten-Markt produzieren viele Unternehmen subjektiv eingeschätzt momentan noch an der Nachfrage vorbei. In der Schweiz beispielsweise herrscht eine gewisse Überproduktion in unteren und mittleren Qualitäten, sehr hochwertige CBD-Blüten werden jedoch von zu wenigen Unternehmen angeboten. Der Markt für CBD-Biomasse (geringe, günstige Qualitäten) lohnt sich in Ländern wie der Schweiz auf Grund der Kostenstrukturen kaum noch, wenn Länder wie China CBD-Biomasse für 3,50€ das Kilogramm anbieten. Kosmetik-Hersteller, die am reinen CBD-Rohstoff interessiert sind, kaufen in dem Fall natürlich lieber im Ausland die Grundsubstanzen für ihre Produkte ein. Der Endkonsument mit Fokus auf Blüten hingegen kauft die Pflanze am liebsten, wenn sie liebevoll getrocknet wurde, auf guten Genetiken basiert und beim Rauchen die erwartete Wirkung entfaltet. Als kleine, aber feine Craft Cannabis Marke kann man sich also auf jeden Fall noch fast überall etablieren – man sollte einfach die Erwartungen an die Skalierung des Unternehmens nicht zu hoch ansetzen.

Economy of Scale vs. Nischen-Markt

Ein Bekannter von mir, der in Großbritannien Medizinische Cannabis-Firmen berät, hat mir mal eine witzige Anekdote erzählt: Ein Kunde hat sich ausgerechnet, wie viel Anbaufläche er für so und so viele Millionen Gewinn im Jahr benötigt und hätte damit jedes Jahr den zehnfachen Bedarf an medizinischem Cannabis in Großbritannien produziert. Du kannst Dir mit Sicherheit vorstellen, was der erste Ratschlag des Beraters war.

Wer die CBD-Industrie beobachtet, wird eines feststellen: Es gibt hunderte Marken und tausende Produkte und jede Firma, die sich langfristig auf dem Markt behaupten kann, findet früher oder später ihre ganz eigene Markt-Nische. Manche CBD-Marke kann schon davon leben, mit nur einem einzigen großen Influencer zusammenzuarbeiten. Andere CBD-Marken setzen auf einen Mix aus Influencern – ohne auch nur ein einziges Marketin-Instrument aktivieren zu müssen.

Großartige realisierte Nischen auf dem deutschen CBD-Markt

Das deutsche Kosmetik-Startup J’tanicals aus Düsseldorf beispielsweise konnte seine drei CBD-Kosmetik-Produkte erfolgreich bei Europas größter Parfümerie-Kette platzieren. Scheinbar meint es die Marke mit den Nischen richtig Ernst, denn auch bei Aboutyou, Deutschlands viertgrößtem Online-Shop für Mode, hat sich J’tanicals erfolgreich platzieren können.

Auch die Unternehmensgruppe rund um MyWeedo und Hempgroup hat spannende Nischen gefunden: Zusammen mit der Süddeutschen Zeitung, die online monatlich über 100 Millionen! Unique visits verzeichnet, haben sie auf der Webseite von der Süddeutschen einen Ratgeber zu CBD veröffentlicht, wo ihr CBD-Öl prominent beworben wird. Zu erwähnen sei an der Stelle, dass die Süddeutsche nicht nur hohe Besucherzahlen aufweist, sondern auch als sehr seriös wahrgenommenes Leitmedium in Deutschland gilt. Die Süddeutsche schafft also Vertrauen, was ich als sehr wichtig für ein so neues Produkt wie CBD empfinde. Well played, MyWeedo und Hempgroup.

Tom Hemp`s aus Berlin auf der anderen Seite hat als eines der ersten CBD-Unternehmen einen Pop-Up-Store veröffentlicht – in der viel besuchten East Side Gallery in Berlin, einem Einkaufszentrum. Außerdem hat Tom Hemp’s seine CBD-Produkte bei Europas neuntgrößtem Onlineshop Zalando im Marketplace platziert – Gratulation!

Doch auch klassischere Distributions-Modelle können als Nische besetzt werden. Die Firma Nutree hat beispielsweise CBD-Öl bei Rossmann platziert – eine der größten Drogerie-Ketten in Europa. Und das ist nur eine von zahlreichen Einzelhandelsketten. Mit größerer Beliebtheit von CBD in der Gesellschaft werden auch andere Einzelhandels-Ketten nachziehen und CBD-Produkte verkaufen wollen.

Kurzum: Es gibt für jede Idee und Markenidentität eine Nische.

Und jetzt kommt die Pointe: Aurora und andere kanadische Aktien-Unternehmen haben ihre Finger bei all diesen vielversprechenden Produkt-Platzierungen nicht im Spiel.

Nische ≠ Aurora und Co.

Man sieht also sehr gut, dass es noch zahlreiche Optionen gibt, wie man erfolgreich CBD produzieren und vertreiben kann, ohne Angst vor den Aktien-Riesen aus Kanada haben zu müssen. Diese Unternehmen haben sich zwar schnell den Massen-Markt unter den Nagel gerissen, sind jedoch noch meilenweit vom heiligen Gral hoher Qualität entfernt. Auch bräuchten die Unternehmen tausende Vertriebs-Mitarbeiter, um all die möglichen Vertriebs-Kanäle zu erschließen. Man denke nur an Bunte Blüte, ein CBD-Startup, welches seine Produkte über das Berliner «Späti»-Netzwerk vertreibt – kleine, unabhängige Läden, die auf kleinsten Flächen rund um die Uhr Getränke, Zigaretten und Snacks verkaufen. Und seit 2020 auch CBD-Blüten!

Länder als Marktnische

Doch nicht nur in vertikaler Ausrichtung kann man noch viel erreichen im Cannabis-Markt, auch in der Horizontalen gibt es noch viele Möglichkeiten. Der CBD-Trend hat die Weltmärkte bisher erst angestupst und viele Milliarden Menschen haben noch gar keinen Zugang zu einem regulierten Markt mit Cannabis und CBD.

Länder, die auf Grund ihrer Standort-Faktoren wie Größe, Klimazone, Relief und wenige eigene Ressourcen auf besonders gute wirtschaftliche Ideen angewiesen sind, können in naher Zukunft ihre gesamte umliegende Region oder sogar ganze Kontinente beeinflussen, so wie die Schweiz Europa – obwohl die Schweiz nicht einmal EU-Mitglied ist.

Analog zur Schweiz könnten sich auch andere Staaten mit Sonderstatus in ihren Regionen entwickeln. Zu diesen Ländern gehören beispielsweise Qatar, Singapur oder Japan. Oder in Europa Luxemburg – das Land gilt als einer der ersten Staaten, der THC-haltiges Cannabis zu Freizeitzwecken in Europa legalisieren möchte.

Es lohnt sich also auf jeden Fall in den nächsten zehn Jahren ganz genau hinzuschauen, wo sich internationale Märkte öffnen und wie man bestmöglich in diesen Märkten unternehmerisch Wurzeln schlagen kann.

Über den Autor:

Lorenz Minks ist Gründer des Beratungsunternehmens Research Gardens sowie Autor und Journalist.

Dieser Artikel erschien im englisch-sprachigen Original am 12. Mai auf Research-Gardens.com

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