Ein Gastbeitrag von Falk Altenhöfer
Der Referentenentwurf zur Änderung des Medizinal-Cannabisgesetzes liegt auf dem Tisch. Was Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) bereits im Mai angekündigt hatte, wird nun konkret: das Aus für Fernverschreibungen und den Versandhandel bei Cannabisblüten. Die Reaktionen fallen heftig aus – und zeigen, wie tief die Gräben zwischen medizinischer Versorgung, Plattform-Ökonomie und Cannabispolitik verlaufen.
Die Zahlen sprechen eine Sprache – aber nicht die ganze Wahrheit
Das Bundesgesundheitsministerium nennt eine beeindruckende Zahl: 170 % Anstieg bei Cannabis-Importen im zweiten Halbjahr 2024 – bei nur 9 % mehr GKV-Rezepten. Daraus leitet das Ministerium eine Fehlentwicklung ab: Der Boom finde hauptsächlich im Privatrezept-Sektor statt – also bei Selbstzahlern über Telemedizin-Plattformen.
Doch diese Statistik beweist keinen Missbrauch, sondern zeigt: Immer mehr Menschen können sich eine bezahlbare Behandlung leisten – auch ohne Kassenrezept. Chronische Schmerzen, ADHS oder Schlafstörungen lassen sich nicht immer mit der GKV-Versorgung abbilden. Dass mehr Patient:innen auf den digitalen Weg setzen, ist auch ein Ergebnis besserer Preise, vereinfachter Zugänge und weniger Stigmatisierung.
Die Plattform-Ökonomie unter Generalverdacht
Der Entwurf richtet sich direkt gegen das Geschäftsmodell vieler Telemedizin-Anbieter:
„Erfolgt die Verschreibung nach Ausfüllen eines Online-Fragebogens […], so haben die Patientinnen und Patienten weder persönlichen Kontakt zu einem Arzt noch zum pharmazeutischen Personal der Apotheke.“
Die Kritik an einer rein automatisierten Rezeptvergabe ist berechtigt – aber die Antwort des BMG ist pauschal, übergriffig und unverhältnismäßig.
Die wahren Verlierer: Patient:innen
Ein komplettes Versandverbot würde nicht nur Plattformen betreffen, sondern auch schwerkranke Menschen, die auf Lieferungen angewiesen sind. In strukturschwachen Regionen ist es schlicht nicht möglich, alle Sorten in Präsenzapotheken vorzuhalten – auch deshalb war der Versandhandel Teil der Versorgungsstruktur.
Politik ohne Kompass: Kein Freizeitmarkt, aber MedCanG blockieren
Das Grundproblem liegt tiefer: Der deutsche Freizeitmarkt existiert faktisch nicht. Anbauvereine stecken in Genehmigungsverfahren, Genehmigungen dauern Monate, viele Clubs haben über 90 % freie Kapazitäten (CAD e.V.).
Weil es kaum legale Freizeitoptionen gibt, weichen Konsument:innen auf den medizinischen Kanal aus. Dieser Konstruktionsfehler wird nun den Patient:innen angelastet – anstatt die Ursache zu beheben.
Was der Entwurf übersieht
- Die Erstkonsultation kann auch digital erfolgen, sofern ärztlich fundiert. Ein pauschales Verbot der Videosprechstunde ist medizinisch unbegründet und entmündigt die ÄrztInnen.
- Zubereitungen bleiben außen vor, obwohl auch hier Missbrauch möglich ist.
- Therapiegerechte Darreichungsformen wie standardisierte Extrakte oder Kapseln werden nicht gefördert.
- EU-Ärzte könnten ausweichen, was neue Grauzonen schafft, aber keinen Missbrauch verhindert.
Die politische Realität: Dieser Entwurf wird nicht 1:1 Gesetz
Dass der Entwurf in dieser Form verabschiedet wird, ist politisch unwahrscheinlich. Die SPD dürfte sich gegen diese Rückabwicklung der eigenen Reformen stellen. Auch in der Praxis wäre die Umsetzung mit enormem Aufwand, rechtlichen Unsicherheiten und hoher Kritik verbunden. Das Stellungnahmeverfahren bis zum 1. August wird entscheidend.
Prognose: Umverteilung statt Lösung
Die Folgen wären absehbar:
- Telemedizin-Plattformen verschwinden oder müssen sich völlig neu aufstellen
- Patient:innen verlieren die logistisch oft einfachste und zudem meist günstigste Option der Versandapotheke
- Stationäre Apotheken gewinnen – aber nicht aus eigener Kraft
- Cannabis-Clubs bekommen endlich Zulauf – sofern Bürokratie abgebaut wird
- Der Schwarzmarkt wird erneut gestärkt
Fazit: Eine verpasste Chance – noch
Der Warken-Entwurf ist ein Dokument der Maximalforderung – nicht der Versorgungssicherheit. Er kuriert Symptome, nicht Ursachen. Und er reguliert nicht zielgerichtet, sondern zerstört gewachsene Versorgungsstrukturen.
Statt einer verantwortungsvollen Differenzierung zwischen Plattformen mit Standards und reinen Rezeptmühlen, wird pauschal verboten. Es bleibt zu hoffen, dass Bundestag und Verbände im Rahmen der weiteren Beratung die nötige Differenzierung einfordern – damit Patient:innen nicht zum Spielball einer politischen Rückabwicklung werden. Mein Fazit: Eine verpasste Chance!
Über den Autor
Falk Altenhöfer ist ein erfahrener Unternehmer und Investor mit einem Fokus auf die Cannabisbranche. Nach erfolgreichen Projekten in der digitalen Plattformökonomie und SaaS-Lösungen unterstützte er Investoren bei Marktstrategien und Investments. Seit 2019 ist er in der Cannabisindustrie aktiv, sammelte bei iCAN in Israel wertvolle Einblicke und hilft heute Gründern, Startups aufzubauen, Investor Relations zu managen und Wachstum zu skalieren. Zudem berät er Family Offices, mittelständische Unternehmen und Business Angels beim Einstieg in den Cannabismarkt.
Disclaimer: Keine Investmentempfehlung. Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln
Bildquellen
- Medizinalcannabis vor der Zäsur: Tobias Koch / KI