Ein Gastbeitrag von Falk Altenhöfer
Während Handelsriesen wie dm in den Arzneimittelmarkt drängen, zeigt sich: Nur das Zusammenspiel von Arzt und Apotheke garantiert sichere Medikation, individuelle Beratung und echten Fortschritt in der Cannabis-Therapie.
Es ist Sonntagmorgen, und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung feuert einen Frontalangriff auf deutsche Apotheken ab. „Keiner braucht die Apotheken“, kommentiert Redakteur Ralph Bollmann und träumt von Medikamenten im Supermarkt und nächtlichen Kleintransportern. Doch während die FAZ das Ende der Apotheke ausruft, zeichnet sich gerade im Cannabis-Bereich eine ganz andere Realität ab: Die lokale Apotheke könnte zum zentralen Player einer medizinischen Revolution werden – wenn sie die Chance ergreift.
Die unterschätzte Stärke: Apotheke + Arztpraxis = Perfektes Team
Was Bollmann völlig übersieht: In vielen deutschen Städten und Gemeinden sitzen Arztpraxis und Apotheke Tür an Tür, manchmal sogar im selben Gebäude. Diese gewachsene Infrastruktur ist kein Relikt aus vergangenen Zeiten. Es ist die ideale Grundlage für die Cannabis-Medizin der Zukunft!
Stellen wir uns das praktisch vor: Ein Schmerzpatient geht zu seinem Hausarzt im ersten Stock, erhält nach gründlicher Untersuchung ein Cannabis-Rezept, und zwei Minuten später sitzt er in der Apotheke im Erdgeschoss. Dort wartet kein gestresster Kassierer zwischen Chips und Cola, sondern ein ausgebildeter Pharmazeut, der genau weiß:
- Welche Cannabinoid-Profile für welche Indikation geeignet sind
- Wie die Wechselwirkungen mit den anderen Medikamenten des Patienten aussehen
- Welche Dosierung sinnvoll ist und wie man sie langsam steigert
- Wie man Cannabis richtig anwendet, aufbewahrt und dosiert
Und das Beste: Der Apotheker kann direkt mit dem Arzt von nebenan Rücksprache halten, wenn Fragen auftauchen. Dieses Netzwerk aus persönlicher Betreuung, kurzen Wegen und direkter Kommunikation lässt sich nicht digitalisieren – und schon gar nicht durch einen Supermarkt ersetzen.
Die Opioid-Chance: Cannabis statt Schmerzmittel-Abhängigkeit
Hier wird es wirklich spannend – und hier liegt meiner Meinung nach das größte Potenzial für Apotheken im Cannabis-Markt: Die Alternative zu Opioiden.
Während in den USA die Opioid-Krise hunderttausend Leben gekostet hat, haben wir in Deutschland die Chance, einen anderen Weg zu gehen. Studien zeigen immer wieder: In Regionen mit Zugang zu medizinischem Cannabis sinkt der Verbrauch von verschreibungspflichtigen Opioiden signifikant. Patienten mit chronischen Schmerzen können ihre Morphin-Dosis reduzieren oder ganz darauf verzichten.
Und genau hier kommt die lokale Apotheke ins Spiel.
Ein guter Apotheker sieht in seinem System, wenn ein Patient seit Monaten oder Jahren starke Opioide bezieht. Er kennt die Risiken: Abhängigkeit, Toleranzentwicklung, Nebenwirkungen, Überdosierungsgefahr.
Und hier liegt der entscheidende Unterschied: Niemand kennt die Patienten besser als die Apotheke vor Ort.
Der Hausarzt sieht seinen Patienten vielleicht viermal im Jahr für jeweils 15 Minuten. Die Apotheke sieht ihn jeden Monat, wenn er seine Rezepte einlöst. Die Apotheke kennt die komplette Medikationshistorie: Welche Schmerzmittel seit wann und in welcher Dosis. Welche anderen Medikamente parallel laufen. Ob die Dosis schleichend erhöht wurde. Ob Abhängigkeitsmuster erkennbar sind.
Dieses Wissen macht die Apotheke zur idealen Stelle, um den ersten Schritt zu machen:
Der neue Workflow könnte so aussehen:
- Apotheke identifiziert geeignete Patienten: Chronische Schmerzpatienten mit langfristigem Opioid-Konsum, bei denen Cannabis eine Alternative sein könnte
- Beratungsgespräch in der Apotheke: „Herr Müller, ich sehe, Sie bekommen seit drei Jahren Tilidin. Haben Sie schon einmal mit Ihrem Arzt über Cannabis als Alternative gesprochen? Das könnte bei Ihren chronischen Rückenschmerzen eine Option sein, ohne das Abhängigkeitsrisiko.“
- Informationsmaterial mitgeben: Studien, Erfahrungsberichte, Informationen zu Wirkweise und Nebenwirkungen
- Patient geht zum Arzt: Mit konkreter Nachfrage: „Mein Apotheker hat Cannabis als Therapieoption angesprochen. Können wir das mal ausprobieren?“
- Arzt verschreibt Cannabis: Als Nachfrage-Medikament, mit dem Wissen, dass der Patient bereits vorinformiert ist
- Apotheke begleitet die Therapie: Dosierung anpassen, Wechselwirkungen checken, Erfolg monitoren
Das ist ein Gamechanger. Nicht der Arzt muss auf die Idee kommen und gegen jahrzehntelange Verschreibungsroutinen ankämpfen. Der Patient kommt schon informiert und motiviert in die Praxis. Die Hemmschwelle sinkt massiv.
Das ist echte pharmazeutische Betreuung. Das ist proaktive Gesundheitsversorgung. Und das kann kein Supermarkt, keine App und kein Versandhändler leisten.
Technik als Enabler, nicht als Ersatz
Bollmann träumt von Kleintransportern und Zentralisierung. Dabei übersieht er die viel elegantere Lösung: Die lokale Apotheke und Arztpraxis mit digitaler Unterstützung.
Moderne Software-Lösungen können Apotheken und Ärzte heute dabei helfen:
- Interaktionschecks in Echtzeit: Automatische Warnung, wenn Cannabis mit anderen Medikamenten des Patienten problematisch interagieren könnte
- Beratungsprotokolle: Strukturierte Dokumentation der Cannabis-Beratung, die auch der Arzt einsehen kann
- Verlaufsmonitoring: Tracking von Dosierung, Wirkung und Nebenwirkungen über die Zeit
- Direkte Arzt-Kommunikation: Digitaler Austausch zwischen Apotheke und Praxis für optimale Patientenbetreuung
- Fortbildungs-Plattformen: Kontinuierliche Schulung zu neuen Cannabis-Sorten, Studien und Best Practices
Mit diesen Tools wird die Apotheke nicht überflüssig – sie wird unverzichtbar. Sie wird zum medizinischen Hub im Viertel, zur kompetenten Anlaufstelle für Cannabis-Patienten, zum Partner des Arztes auf Augenhöhe.
Die geplante Regulierung spielt Apotheken in die Hände
Während die FAZ von Supermärkten träumt, will die Bundesregierung gerade massiv die Cannabis-Regulierung verschärfen:
- Cannabis auf Rezept nur noch nach persönlichen Arztkontakt
- Versandhandel wird komplett verboten
- Umfassende Beratungspflicht in der Apotheke
Im ersten Quartal 2025 wurden über 37 Tonnen medizinisches Cannabis nach Deutschland importiert – ein Anstieg von 457 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dieser Markt explodiert förmlich.
Die Frage ist nicht, ob Apotheken eine Zukunft haben. Die Frage ist: Welche Apotheken ergreifen die Chance?
Meine persönliche Meinung: Das ist die Gesundheitsversorgung der Zukunft
Lasst mich an dieser Stelle deutlich werden: Ich glaube fest daran, dass wir am Anfang einer medizinischen Zeitenwende stehen. Cannabis als Medizin ist keine Modeerscheinung und kein Lifestyle-Produkt – es ist eine legitime, wirksame therapeutische Option, die viel zu lange ignoriert wurde.
Und die lokale Apotheke ist der Schlüssel in unser Gesundheitssystem.
Stellen Sie sich vor, wie Gesundheitsversorgung aussehen könnte:
- Ein Schmerzpatient, der seit 15 Jahren Oxycodon nimmt, bekommt von seinem Apotheker den Hinweis, dass Cannabis eine Alternative sein könnte
- Die Apothekerin spricht mit dem Hausarzt (zwei Türen weiter), gemeinsam entwickeln sie einen Umstellungsplan
- Der Patient wird über Wochen begleitet, die Cannabis-Dosis wird angepasst, die Opioid-Dosis langsam reduziert
- Nach drei Monaten ist der Patient opioid-frei, seine Lebensqualität hat sich massiv verbessert, und die Krankenkasse spart langfristig Kosten
Es wäre schön, wenn dies keine Utopie wäre. Ich bin überzeugt, dass es mit der heutigen Infrastruktur und ein bisschen technischer Unterstützung machbar ist. Genau dafür brauchen wir die Apotheke – als Brückenbauer, als Begleiter, als medizinischer Anker im Quartier.
Wir haben die Chance, eine Opioid-Krise wie in den USA zu vermeiden. Wir haben die Chance, Schmerzpatienten wirklich zu helfen. Wir haben die Chance, Cannabis vernünftig in die medizinische Versorgung zu integrieren.
Aber nur mit den Apotheken. Nicht gegen sie.
Fazit: Die Chance ist da, aber nur mit den richtigen Weichenstellungen
Der FAZ-Kommentar ist falsch. Gerade im Cannabis-Bereich zeigt sich, dass wir die Apotheke nicht nur brauchen, sondern dringender denn je.
Aber: Die lokale Apotheke mit dem Arzt im Rücken (oder im gleichen Haus), ausgestattet mit moderner Technik, geschult in Cannabis-Medizin, vernetzt mit allen Beteiligten – das ist die Zukunft der Gesundheitsversorgung. Allerdings nur, wenn wir aufhören zu träumen und anfangen, die Rahmenbedingungen zu schaffen!
Das wäre die Chance, Opioide durch Cannabis zu ersetzen, wo es medizinisch sinnvoll ist.
Das wäre die Chance, Patienten wirklich zu begleiten statt sie abzufertigen.
Das wäre die Chance, Pharmazie wieder zu dem zu machen, was sie sein sollte: Ein Heilberuf, nicht nur ein Verkaufsberuf.
Keiner braucht die Apotheken? Doch – die Cannabis-Medizin braucht sie verzweifelt.
Aber die Apotheken brauchen auch etwas: Geld, Zeit, Schulung, Personal und politische Unterstützung. Ohne das bleibt die beste Vision eine Utopie.
Keiner braucht die Apotheken?
Doch. Jeder Cannabis-Patient braucht sie. Jeder Schmerzpatient braucht sie. Jeder, der mehr als eine Pille will, sondern echte Betreuung.
Die Apotheken müssen nur den Mut haben, diese Chance zu ergreifen. Und wir als Gesellschaft, als Investoren, als Patienten müssen ihnen dabei helfen.
Die Zukunft der Cannabis-Medizin ist lokal. Sie ist persönlich. Sie ist professionell.
Und sie findet in der Apotheke um die Ecke statt.
Disclaimer: Keine Investmentempfehlung. Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

