Ein Gastbeitrag von Falk Altenhöfer
Diese Woche hat der deutsche Cannabismarkt einen tektonischen Ruck gespürt – und zwar einen, der an der Börse sofort sichtbar war und zugleich tief in den Lieferketten nachhallen wird. High Tide übernimmt 51 % an Remexian Pharma für 27,2 Mio. €, sichert sich damit einen der effizientesten Großhändler mit GDP-Warehousing und Lizenzen in 19 Ländern – und sendet eine unmissverständliche Botschaft: Konsolidierung ist keine Erzählung mehr, sie passiert. Sieben Tonnen im Q2/2025 sind kein „Narrativ“, sondern Regal-Realität. 70 Mio. € Umsatz und 15 Mio. € EBITDA annualisiert zeigen, dass Profitabilität in diesem Sektor inzwischen nicht nur möglich, sondern skalierbar ist. Rechnet man die erste Tranche zurück, landet man grob bei ~53 Mio. € Unternehmenswert – für ein profitables, wachsendes Distributions-Asset bemerkenswert konservativ. Aus genau diesem Grund ist die zweite Kaufpreishälfte der eigentliche Hebel: Wert entsteht jetzt in der Execution, nicht in der Pressemitteilung. Oder, wie CEO Francesco „Franco“ Baganz mir privat schrieb: Warum sollte er nicht zufrieden sein – die Börse nimmt es positiv auf, „wir sind gekommen, um zu bleiben“, und in zwei bis sieben Jahren wird man sehen, wie die Bewertung aussieht. Das ist keine Euphorie, das ist eine Exit-Architektur mit Ansage.
Parallel dazu verschiebt sich die Gewichtsverteilung in den Lieferketten. Deutschland war zuletzt faktisch Portugal-first: günstige Produktionskosten, robuste GMP-Pipelines, eingespielte Auditoren. High Tide bringt kanadisches Gewicht zurück nach Europa – nicht als 2018er Nostalgie, sondern als Logistik-, Working-Capital- und Prozessdisziplin. GDP-Warehousing plus multilaterale Lizenzen sind die reale Infrastruktur, mit der man Produkte steuert, Margen schützt, Verfügbarkeiten sichert. Für kanadische Produzenten, die zu Hause unter Preisdruck stehen, öffnet sich ein kuratiertes Schaufenster nach Europa; für mittelgroße Importeure ohne vertikale Tiefe wird die Luft dünner. Künftig entscheidet nicht mehr „wer hat gerade Ware“, sondern Servicelevel, Füllraten, Lead-Times und Datentiefe. Distribution ist nicht mehr Verlängerung des Vertriebs, sie ist die Engine.
Und jetzt der Teil, der diese Woche das Bild komplett macht: In den USA verdichten sich die Signale, dass Cannabis von Schedule I auf Schedule III rutschen könnte – nicht als Endpunkt, aber als erster politisch gangbarer Schritt. Trumps jüngste Töne sind kein Zufall. Hinter dem Schlagwort „Rescheduling“ steht der eigentliche Katalysator: 280E. Wer 280E entschärft, nimmt den MSOs die steuerliche Bleiweste ab. Lobbyarbeit? Ja. Aber vor allem: ein massiver Eingriff in die P&L. Senkt man die „Lobby-Overhead-Kosten“ im weitesten Sinne – also die steuerliche Straflogik –, dann steigt die freie Liquidität sofort. Das ist die Voraussetzung für genau das, was wir diese Woche gesehen haben: Nasdaq-Exposure, breite Coverage, Liquidität im Papier, Kursanstiege – und damit Zugang zu Kapital. Wenn Kapital einmal fließt, beginnt das bekannte Flywheel: First-Mover und Second-Mover erhöhen ihre Kriegskassen, finanzieren Mehrfachkäufe, beschleunigen Roll-ups, öffnen Exit-Fenster. Wer öffentlich gelistet ist, bekommt nicht nur Sichtbarkeit, sondern günstigeres Eigenkapital. Wer privat ist, wird erwerbbar. Für Europa heißt das: Das Geld kommt – und es sucht Marktanteile.
Diese US-Dynamik ist kein theoretischer Randaspekt, sie greift direkt in unsere Realität ein. Rescheduling ist als „erster Schritt“ ein positives Signal, aber eben auch ein Standardisierungsturbo. Je stärker FDA-Logik greift, desto mehr verschiebt sich der Markt von Blüte zu öl- und dosierungsgetriebenen Formaten. Das passt zu einer Apotheke- und Dossier-Ökonomie, die wir in Deutschland längst kennen. Die kulturelle Bruchlinie verläuft genau hier: Legacy, Handwerk, Strain-Vielfalt auf der einen Seite; pharmazeutische Reproduzierbarkeit, Charge-zu-Charge-Konstanz und Audit-Tiefe auf der anderen. Deutschland hat mit ~300 Anbauvereinigungen wenigstens ein kulturelles Ventil, die USA könnten – wenn man beim bloßen Rescheduling stehen bleibt – härter in die Pharma-Schiene kippen. Für Patienten bedeutet das kurzfristig häufig nicht „besserer Zugang“, sondern erst einmal regulatorische Wartezeiten, während große Betreiber ihre Steuerquote drücken und ihre Bilanz strukturieren. Gewinne entstehen zuerst im Boardroom, nicht im Wohnzimmer – es sei denn, man baut jetzt Versorgungsmodelle, die beides können: Compliance auf Top-Niveau und echte Patientennähe.
Setzt man beides zusammen – High Tide x Remexian hier, 280E-Hebel dort –, dann ergibt sich ein klares Bild für den nächsten Zyklus: Struktur schlägt Stimmung. Kapital folgt Struktur. Und Struktur frisst Fragmentierung. Wer in Europa künftig relevant sein will, braucht nicht die nächste „schöne Sorte“, sondern belastbare SLAs, Datentiefe, Rückruf-Resilienz und eine Finanzierung, die mehr kann als die nächste Palette vorzufinanzieren. Für Marken ist die Strategie erstaunlich simpel: jetzt Vertrauen und Wiedererkennbarkeit aufbauen, Prozessfähigkeit beweisen, Supply-Sicherheit liefern – und sich genau an der Schnittstelle aus Authentizität und Standardisierung positionieren. Denn die Kaufwelle rollt. „Build now, exit later“ ist kein Spruch, es ist das Designprinzip dieses Marktes im 2025/26-Fenster.
Die gute Nachricht: Es gibt Platz für die, die Prozesse, Kapital und Compliance verheiraten – und die zugleich verstehen, dass Kultur kein Nice-to-have ist, sondern Nachfrage treibt. Die schlechte: Für alle anderen wird der Markt kleiner. High Tide x Remexian ist deshalb kein Einzelfall, sondern ein Weckruf. Und die USA liefern die Zündschnur: 280E lockern, Kapital mobilisieren, Multi-Purchase ermöglichen – der Rest ist Execution. Wir sind an dem Punkt, an dem man nicht mehr fragt, ob Konsolidierung kommt. Die Frage lautet nur noch: Mit welcher Geschwindigkeit – und auf wessen Bilanz.
Über den Autor
Falk Altenhöfer ist ein erfahrener Unternehmer und Investor mit einem Fokus auf die Cannabisbranche. Nach erfolgreichen Projekten in der digitalen Plattformökonomie und SaaS-Lösungen unterstützte er Investoren bei Marktstrategien und Investments. Seit 2019 ist er in der Cannabisindustrie aktiv, sammelte bei iCAN in Israel wertvolle Einblicke und hilft heute Gründern, Startups aufzubauen, Investor Relations zu managen und Wachstum zu skalieren. Zudem berät er Family Offices, mittelständische Unternehmen und Business Angels beim Einstieg in den Cannabismarkt.
Disclaimer: Keine Investmentempfehlung. Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.