Die Reklassifizierung im Medizinischen Cannabisgesetz (MedCanG) – Chancen und Herausforderungen für die öffentliche Apotheke

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Sven Lobeda, Apotheker

Die Legalisierung ist in aller Munde und die Diskussionen werden teilweise unsachlich und überemotional geführt. Meiner Meinung nach überlagert diese Diskussion die Aussichten für Cannabispatient:innen und versorgende Apotheken. Über das MedCanG und die Auswirkungen wird viel zu wenig gesprochen. Einen kleinen Überblick über Chancen und Herausforderungen gibt der nachfolgende Artikel.

Mit Reklassifizierung ist die Änderung des Betäubungsmittelstatus gemeint. Durch Streichen einiger Positionen in der Anlage 3 des Betäubungsmittelgesetzes(BtmG), in denen aller verkehrsfähigen und verordnungsfähigen Betäubungsmittel(BtM) aufgeführt werden, werden zukünftig die Cannabisblüten, die Extrakte, Dronabinol und das Fertigarzneimittel Sativex ®, eine Kombination aus delta-9-Tetrahyddrocannabinol(THC)  und Cannabidiol(CBD) „nur“ noch verschreibungspflichtig. Lediglich das synthetische THC-Analogon Nabilon im Canemes® bleibt weiterhin Betäubungsmittelpflichtig.

Das bedeutet für Apotheken, Praxen und Krankenhäuser, aber auch Patient:innen eine Vielzahl positiver Entwicklungen und einige Herausforderungen. Wichtig ist, zum Stichtag alle vorhandenen ( am Lager befindlichen) Cannabinoidarzneimittel aus der jeweiligen BtM-Dokumentation auszubuchen.

Die Versorgung medizinischer Cannabispatienten wird sich vereinfachen. Die rosa Rezepte (Muster 16) auf denen zukünftig verordnet werden kann, müssen innerhalb von 28 Tagen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenkasse oder bis zu 3 Monate als Privatrezept eingelöst werden. Bisher musste das BtM-Rezept innerhalb von acht Tagen inkl. Ausstellungsdatum in einer Apotheke vorgelegt werden. Hier entspannt sich der Druck für Patient:innen zügig eine versorgende Apotheke zu finden. Auch Apotheken haben länger Zeit die Substanzen zu besorgen und die Rezeptur herzustellen. Auch wenn es bereits seit zwei Jahren möglich ist, ein BtM-Rezept auch nach acht Tagen zu beliefern, solange es rechtzeitig vorgelegen hat, gibt es viele Kolleg:innen die Befürchtungen vor Retaxationen (Regressen) der Krankenkasse haben.

Ein bisher wenig beachtetet Vorteil ist die Ausstellung im (Speziellen) ambulanten Palliativbereich. Wo bisher umständlich BtM-Rezepte ausgestellt wurden und eine schnelle Versorgung absolut prioritär ist, können zukünftig sogar E-Rezepte ausgestellt werden. Gerade im palliativen Setting wird sich die zügige Versorgung mit Cannabinoiden bedeutend verbessern. Die Pflegedienste haben weniger Probleme mit der Lagerung, da zukünftig kein Tresor mehr benötigt wird. Ein Punkt der auch in Apotheken für enorme Erleichterung sorgt. Können zukünftig die Blüten und Extrakte wie normale verschreibungspflichtige Ausgangssubstanzen gelagert werden. Bei den Blüten bleibt das Thema Stäube und Kontaminationsschutz bestehen, aber eben nicht mehr im Tresor.

Auch die aufwendige und bisher nur gering entlohnte Dokumentation reduziert sich auf ein Minimum. Lediglich die normale steuerrechtliche Warenbuchung findet zukünftig statt. Kein Aufbewahren von Unterlagen über drei Jahre, kein versenden von Abgabemeldungen ans Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das in Praxen, Krankenhäusern und Apotheken. Hier bleibt mehr Zeit am und mit den Patient:innen.

Es ist nun auch bedeutend leichter im Notfall Rezepturausgangssubstanzen wie Blüten oder Extrakte bei schlechter Verfügbarkeit zwischen Apotheken zu tauschen, die kein Filialverbund, also keinen gemeinsamen Inhaber:in haben. Das erleichtert gerade bei Lieferengpässen enorm die Versorgungsqualität. Lediglich die trotzdem erneut stattfindende Ausgangsstoffprüfung auf Identität muss in der annehmenden Apotheke stattfinden.

Es spricht für viele Vorteile, doch bei all dem Licht gibt es zumindest ein paar neue Herausforderungen die ein wenig Schatten auf die neue Qualität der Patient:innenversorgung werfen können.

Sobald das Gesetz veröffentlicht ist, können BtM-Rezepte zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht mehr abgerechnet und damit beliefert werden. Die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung sagt ganz klar, dass nur Nicht-BtM im Zusammenhang mit einem BtM verordnet werden dürfen. Zum Beispiel Ein Schmerzpflaster mit einem Medikament gegen die Nebenwirkung der Verstopfung. Da für den Hashcode, also die bedruckten Daten der Rezeptur, das gesamte Feld benötigt wird, kann nur eine Rezeptur verordnet werden pro Rezept. Es besteht daher ein enormes Restaxationsrisiko für Apotheken.

Ich bitte alle Ärzte, sobald das Gesetz veröffentlicht und in Kraft getreten ist, das zu berücksichtigen. Es gibt sonst viele Rückfragen seitens der Apotheken. Ein neues korrigiertes Rezept, kann dann einfach per Telematik ausgestellt und direkt per KIM, dem sicheren Nachrichtendienst im Gesundheitswesen direkt an die Apotheke geschickt werden. Da das fehlerhafte Originalrezept bereits vor Ort ist, ist dies keine Zuweisung und damit absolut rechtskonform. 

Die Hemmschwelle vieler Ärzt:innen, die Ausstellung von BtM-Rezepten sei zu aufwendig fällt nun. Ich denke es wird nicht zu einer Flut von Spaßverordnungen im Privatmarkt kommen, aber die Zahlen werden definit steigen. Ich hoffe die etablierten Anbieter im Privatmarkt sind sich Ihrer Verantwortung bewusst und die grenzenlose Gier nach Geld überwiegt nicht dem medizinischen Versorgungsgedanken. 

Ärzt:innen können sich zukünftig Cannabisblüten und – extrakte einfach auf Arztausweis holen, ich bin sehr gespannt wie das in der Praxis aussehen wird. 

In Summe sind die Chancen für alle Akteure in der Cannabinoidtherapie bedeutend größer als die Herausforderungen. Packen wir es gemeinsam an und sorgen dafür das das MedCanG eine enorme Erleichterung für uns alle bringt und helfen wir Patient:innen früher, schneller und unkomplizierter, wenn bisherige Therapien versagen und die Cannabinoidtherapie der letzte Pfeil im Köcher ist. 

Es ist eine Chance und ich freue mich sie zu nutzen!

Disclaimer: Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

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