Kampagnen der Unternehmen: Gut für die Industrie, aber regulatorisch sinnvoll?

by Moritz Förster

Erfahrungsgemäß hinkt Europa in vielen wirtschaftlichen Entwicklungen der USA etwas hinterher. Blickt man auf die Cannabis-Industrie, bestätigt sich diese These. In elf Bundesstaaten und in Washington können Erwachsene bereits legal Cannabis erwerben und konsumieren. In vielen Fällen geschah diese Legalisierung durch Abstimmungen. Aber: Abstimmung ist nicht gleich Abstimmung, wie wir im folgenden Beitrag von Kris Krane erfahren. Bevor es überhaupt zu einer Abstimmung kommt, braucht es Kräfte, Zeit und Ressourcen. Und jetzt, da der Weg für legale Märkte mit immensem Wachstumspotenzial (zumal bei 0 gestartet) durch idealistische Vorkämpfer bereitet wurde, klinken sich kapitalstarke Akteure in die Legalisierung und Regulierung ein. Auch in Europa erleben wir, dass sich neue Lobby-Gruppen und Interessengruppen in Stellung bringen, um die gesetzlichen Rahmenbedingungen, nicht nur auf nationalstaatlicher, sondern auch auf europäischer Ebene zu prägen – sei es für CBD-Konsumprodukte oder im pharmazeutischen Bereich.

Dagegen ist auch nichts einzuwenden, es ist im Sinne aller Akteure, dass die Regulierung der legalen Cannabisindustrie voranschreitet. Gerade in der noch so jungen hoch regulierten Cannabis-Industrie brauchen wir den Dialog, um zu wissen wo der Schuh drückt. Aber wer mit Kris Krane gen Übersee blickt, erkennt auch die Gefahren, eines ausschließlich oder vordergründig vom Kapital getriebenen Regulierungsprozess: Die Glaubwürdigkeit von Legalisierung und Regulierung stehen – und damit die Unterstützung durch die Bevölkerung – so auf der Kippe.

Besonders kritisch blickt Kris auf die gescheiterte Abstimmung in Ohio. Dort waren seines Erachtens die Interessen einzelner “Investoren” der Kampagne so offenkundig, dass sie massiv an Glaubwürdigkeit und damit auch an Unterstützung durch die Bevölkerung eingebüßt hat. Angesichts dieser Erfahrung erwartet er mit Spannung den Ausgang der Abstimmungen in Florida und Arizonas im kommenden Jahr. In beiden Staaten werden die Kampagnen durch die Industrie finanziert.

Egal, wie groß unsere ökonomischen Interessen auch sein mögen: Wir sollten uns immer bewusst sein, dass Regulierung in allererster Linie dazu dient, hierzulande sicher, zuverlässig und qualitativ hochwertig Patienten zu versorgen (und zukünftig gegebenenfalls mit gleichen Attributen auch Konsumenten). Für viele Unternehmer, Investoren und Experten eröffnen sich damit spannende und vielversprechende, wie auch gesellschaftlich sinnvolle, Geschäfte.

Viel Spaß bei der Lektüre dieses Beitrags von Kris Krane – sowohl als Unternehmer als auch als Unterstützer eine prägende Figur der Cannabis-Industrie.

Eure krautinvest.de-Redaktion

Ein Beitrag von Kris Krane, der zuerst in englischer Sprache auf Forbes erschien:

Vor nicht allzu langer Zeit traten ausschließlich hartgesottene Aktivisten in den Hauptstädten dieser Welt für eine Cannabis-Legalisierung ein – angetrieben vom Wunsch, Patienten legalen Zugang zu medizinischem Cannabis zu gewähren und den schrecklichen sozialen Missstände, hervorgerufen durch durch den Krieg gegen Drogen, ein Ende zu setzen.

Diese Tage gehen zu Ende.

Auch wenn engagierte Aktivisten die gegenwärtige legale Cannabis-Industrie hervorgebracht haben, erleben wir nun, da die Cannabis-Industrie an Relevanz und Größe gewinnt, immer mehr Unternehmen und Industrieverbände, die selbst Abstimmungen über die Legalisierung in Staaten wie Arizona und Florida initiieren, damit neue legale Märkte entstehen.

Es bleibt abzuwarten, ob das eine gute Sache ist.

Ich selbst sehe mich in beiden Welten. Ich bin ein langjähriger Befürworter der Cannabis-Politikreform, war Geschäftsführer einer großen drogenpolitischen non-Profit-Organisation, bin aber heutzutage als Mitgründer und Präsident von 4Front Ventures auch ein wichtiger Akteur der Cannabis-Industrie. Einer meiner stolzesten Momente war die Teilnahme an der Party zur Wahlnacht in Denver im November 2012, als Colorado der erste Staat wurde, der Marihuana für alle Erwachsenen legalisierte (zusammen mit Washington). Der Abend war der Höhepunkt jahrzehntelanger harter Arbeit von unterbezahlten (wenn überhaupt bezahlten) Aktivisten. Ihre Arbeit war ausschlaggebend dafür, dass die Wähler in Colorado und Washington der Prohibition von Cannabis, rückblickend ein katastrophales Experiment unserer Nation, ein eindeutiges Ende setzten. Alle waren wir uns in dieser Nacht in Denver und auf einer ähnlichen Feier in Seattle einig, einen Sieg zu feiern, der hart erkämpft und vollauf verdient war. Einen Sieg, der das Leben von Millionen Menschen zum Guten verändern würde. Zugleich war es ein Sieg, bei dem es immer geheißen hatte, dass er nie stattfinden könnte.

Solche Siege waren nur der Anfang einer Reihe weiterer erfolgreicher Initiativen zur Legalisierung. Es folgten Abstimmungen in Oregon, Alaska, Massachusetts, Maine, Nevada, Kalifornien und Michigan. Diese Wahlen setzten die Rahmenbedingungen für Illinois, um Anfang des Jahres als erster Staat Cannabis durch staatliche Gesetzgebung zu legalisieren. All diese Initiativen waren zwar unterschiedlich, sie allesamt wurden aber von Interessenvertretern wie dem Marijuana Policy Project, der Drug Policy Alliance und der American Civil Liberties Union angeführt und geleitet.

Aufgrund des Wachstums der Cannabis-Industrie in den folgenden Jahren beteiligten sich immer mehr Cannabis-Unternehmen an der Finanzierung, Unterstützung und Förderung dieser Legalisierungs-Bewegungen – was durchaus sinnvoll ist, da diese Unternehmen ein finanzielles Interesse an einer voranschreitenden Legalisierung haben. Mehr legalisierte Staaten sind gleichbedeutend mit mehr Geschäftsmöglichkeiten und mehr Märkten, in die man expandieren kann. Ich bin überzeugt, dass es zudem einen moralischen Imperativ für Unternehmen gibt, die finanziell von der Produktion und dem Verkauf von Cannabis profitieren, Bewegungen finanziell zu unterstützen, die dazu führen, dass anderen keine strafrechtlichen Sanktionen für die gleichen Aktivitäten drohen.

Es gab Debatten und Kontroversen über den Einfluss dieser Unternehmen auf die Forderungen der Initiativen. Letztlich hatten aber die Befürworter, die eine sinnvolle öffentliche Regulierung anstreben und selbst normalerweise keine finanziellen Interessen am Ausgang der Abstimmungen haben, das letzte Wort.

Diese Dynamik könnte sich allerdings bei den anstehenden Abstimmungen 2020 ändern – etwa in Florida und Arizona. Im Gegensatz zu früheren Kampagnen werden die vorgeschlagenen Legalisierungsgesetze weitgehend von Cannabisunternehmen selbst und nicht von den einstigen Befürwortern vorgeschlagen. In Arizona, so heißt es, wird die Bewegung weitestgehend von den multinationalen Unternehmern Curaleaf, Harvest Health & Recreation und MedMen unterstützt. Der Florida-Vorschlag “Make It Legal Florida” wurde von MedMen und Surterra, zwei großen Marktakteuren Floridas, mit über einer Millionen US-Dollar unterstützt.

Es überrascht daher nicht, dass diese Initiativen branchenfreundlicher sind als die vorherigen, unterstützt von Befürwortern ohne finanzielle Interessen. Das zeigt sich insbesondere daran, dass in beiden Fällen die vorgeschlagenen neuen Gesetze nur vertikal integrierte Lizenzen ohne eigenen Lizenzen für diejenigen zulassen würden, die nur Produkte anbauen, herstellen oder aber ein Handelsgeschäft betreiben wollen. Und das obwohl die Gesetze, wie es scheint, den Großhandel zwischen den Lizenznehmern zulassen würden. Damit aber nicht genug: In beiden Fällen würde der Staat keine neuen Lizenzen jenseits der bereits bestehenden vertikal integrierten medizinischen Lizenznehmer hinaus vergeben. Das bedeutet, dass es rund 130 Lizenzen bei sieben Millionen Einwohner in Arizona und nur ein paar Dutzend Lizenzen in Florida geben würde, einem Staat mit über 20 Millionen Einwohnern.

Fairness halber muss man darauf hinweisen, dass die Anzahl der Lizenzen in Arizona mit denen in Illinois vergleichbar ist. Dort hat die staatliche Legislative das Legalisierungs-Gesetzt verabschiedet. Den 130 vertikal integrierten Lizenznehmern in Arizona würde es auch erlaubt sein, Produkte untereinander zu verkaufen. Dies ermöglicht einen echten Großhandel, der dem Volumen des aktuellen staatlichen medizinischen Programms entspricht. Der Staat würde auch die Lizenzen erweitern, wenn mehr Apotheken aufmachen (die Anzahl der Cannabis-Apotheken darf zehn Prozent aller staatlichen Apotheken nicht übertreffen). Auch eine Handvoll neuer Lizenzen für Sozial-Unternehmer wären zulässig. In Florida könnte sich der Gesetzgeber dafür entscheiden, weitere Lizenzen auszugeben, obwohl er sich damit wahrscheinlich gegen die starke Lobby der gut kapitalisierten Unternehmen der ansässigen Industrie wenden würden.

Das soll nicht heißen, dass es prinzipiell eine schlechte Sache ist, bestehenden medizinischen Akteuren bei der Lizenzierung für Konsumprodukte für Erwachsene oberste Priorität einzuräumen. Im Gegenteil: Medizinischen Lizenzinhabern den einfachen Übergang in den Konsumbereich für Erwachsene einzuräumen, macht aus Policy-Sicht Sinn. Schließlich ist dies der schnellste Weg hin zu einem regulierten Markt ist. Die Akteure verfügen bereits über die Infrastruktur für Anbau, Produktion und Einzelhandel, um einen neuen Konsummarkt für Erwachsene rasch zu bedienen.

Allerdings reicht dieses Vorgehen alleine nicht aus, um den Anforderungen des neuen Marktes gerecht zu werden. Dieser wird größer sein als das bestehende medizinische Programm. Deshalb sollten die zur Abstimmung stehenden Vorschläge so konzipiert sein, dass sie den Staat dazu autorisieren und ermutigen, weitere Lizenzen auszuhändigen, falls die Nachfrage dies erfordert. Man muss zudem in Betracht ziehen, dass der Zugang der Patienten zu eher medizinischen Produkten (z.B. reines CBD oder hochwertige THC-Nahrungsmittel) nicht beeinträchtigt wird. Daher sollten sowohl medizinische als auch Unternehmen im Erwachsenen-Konsumbereich überlegen, die derzeitige Produktionskapazität ihrer jeweiligen staatlichen medizinischen Programme unverzüglich auszuweiten, um mit bestehenden Produktionen die Nachfrage der Patienten weiter bedienen zu können und gleichzeitig noch ausreichend zusätzliche zu produzieren. Parallel dazu gehen auch neue Lizenzinhaber an den Start, so dass niemand dazu verleitet wird, Cannabis von nicht regulierten Quellen zu beziehen.

Für Industrie freundliche Initiativen gibt es Präzedenzfälle. Allerdings hat die große Mehrheit Lizenzierung herausgegeben, die die bestehende Anzahl medizinischer Lizenzen deutlich übersteigen. In Nevada durften nur bestehende Inhaber medizinischer Lizenzen den Markt Konsummarkt für Erwachsene bedienen – und selbst an einer zweiten Vergaberunde konnten nur bereits existierende Inhaber von Cannabis-Lizenzen teilnehmen. Allerdings war dies in der Abstimmung selbst noch nicht so vorgesehen. Dort wurde die Frage, wer nach den medizinischen Lizenzinhabern weitere Lizenzen erhält, den staatlichen Regulierungsbehörden überlassen.

Der berüchtigste Versuch von Unternehmern, sich durch Abstimmungen zu bereichern, war die “Responsible Ohio legalization initiative” 2015. Die Wahl hätte Marihuana für alle Erwachsenen in Ohio legalisiert, aber die Gebiete für den Anbau auf zehn spezifische Immobilienstandorte beschränkt. Wie sich herausstellte, befanden sich diese zehn Standorte im Besitz der Geldgeber des Vorschlags. Treffenderweise bezeichneten diese sich gleich als “Investoren” und nicht als “Spender”. Wie bei jeder Initiative weiß man nicht, wieso diese letztlich gescheitert ist. Sicherlich kann man argumentieren, dass eine verzerrte Abstimmung mit wenigen jungen Menschen scheitert. Oder dass eine Kampagne, die auf ein Maskottchen mit einem riesigen Marihuana-Käfer-Kopf namens Buddy setzt, dazu verdammt war, nach hinten loszugehen. Aber in einer Zeit, in der alle anderen Abstimmungen erfolgreich waren oder nur sehr knapp scheiterten, lediglich 36 Prozent der Stimmen zu erhalten, deutet zweifellos darauf hin, dass unternehmerische Gier und Übertreibung zum Scheitern des Ohio-Vorschlags beigetragen haben.

Weder die Florida-Initiative noch die Arizona-Initiative sind annähernd so ungeheuerlich wie das “Responsible Ohio”-Verfahren. Beide werden gut finanziert und in einem Jahr der Präsidentschaftswahlen zur Abstimmung stehen. Tendenziell beteiligen sich dann auch mehr Jugendliche an der Abstimmung. Wenn ich Wetten würde, würde ich Geld auf Arizonas Initiative setzen und auf Floridas Niederlage. Dies aber nur, weil Florida eine 60%-Schwelle benötigt, damit die Legalisierung durchgeht. Eine Schwelle, die noch nirgendwo im Land erreicht wurde.

In einem Wahljahr, in dem die Wähler möglicherweise mit der Aussicht auf 70 Jährige an der Spitze der beiden großen Parteien konfrontiert sind, ist es umso wichtiger, dass die beiden Kampagnen junge Wähler ansprechen. Sollten junge Wähler, die tendenziell dazu neigen würden, sich für eine Legalisierung zu entscheiden, diese Wahl-Initiativen schlichtweg als eine Möglichkeit sehen, Cannabis-Unternehmen zu bereichern, könnten sie der Wahl fern bleiben. Das Gleiche gilt für Menschen mit Migrationshintergrund, die sich der öffentlichen Debatte über die Notwendigkeit der Cannabis-Legalisierung immer bewusster werden. Dafür müssen Themen wie soziales Unternehmertum, Gerechtigkeit und auch ein Weg zur Teilnahme an der Industrie für die Gemeinschaften, die am stärksten von Marihuana-Verbot betroffen sind, aufgegriffen werden.

Wenn wir zukünftig auf den Morgen des 4. November 2020 zurückblicken und uns fragen, warum die Legalisierung bei der Abstimmung in zwei prominenten Staaten gescheitert ist, lohnt es sich zu überlegen, ob die Cannabis-Industrie zu weit gegangen ist und ob sie wieder die wichtige Arbeit von Interessenvertretungen unterstützen sollte, anstatt zu versuchen, diese Kampagnen selbst zu betreiben.

Über den Autor

Kampagnen der Unternehmen: Gut für die Industrie, aber regulatorisch sinnvoll?

Kris Krane ist Mitgründer und Präsident von 4Front, einem führenden Investment- und selbst am Markt agierenden Unternehmen der legalen Cannabisindustrie. Er arbeitete gemeinsam mit Cannabisunternehmen an regulatorischen wie unternehmerischen Strategien in den Vereinigten Staaten und weltweit. Kris ist rund um den Globus regelmäßiger Referent auf Konferenzen und Veranstaltungen der Cannabisindustrie. Bevor er bei 4Front arbeitete, setzte er sich in Washington dafür ein, die kontraproduktiven Drogen- und Marihuana-Gesetze zu reformieren, zuerst als stellvertretender Direktor der “National Organization for the Reform of Marijuana Laws” (NORML) und dann als geschäftsführender Direktor von “Students for Sensible Drug Policy”, die er zur größten Studentenorganisation in den Vereinigten Staaten aufbaute. Insgesamt hat Kris 20 Jahre in der Cannabisindustrie gearbeitet.

Dieser Beitrag erschient zuerst auf Forbes. Kris Krane ist dort regelmäßiger Autor. Gastartikel müssen nicht die Meinung der krautinvest.de-Redaktion wiederspiegeln.

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