Auf der Mary Jane blickten Führungskräfte der Cannabis- und Hanfindustrie auf die Entwicklung seit dem ersten April 2024 zurück. In vielen Punkten herrscht Einigkeit: Die Missbrauchsdebatte rund um Telemedizin sei überzogen, stattdessen brauche es für Genussmittel-Konsument:innen lösungsorientiert echte Alternativen. Die Clubs aber sind überbürokratisiert. Und bei den Pilotprojekten geht die Meinung etwas auseinander, ob von den beantragten in den kommenden Monaten noch welche bewilligt werden.
Sascha Mielcarek, Geschäftsführer von Canfiy, gesteht, die „Dynamik und Geschwindigkeit unterschätzt“ zu haben, mit der sich der Markt entwickelt hat. Das habe die Branche seines Erachtens auch vor positive Herausforderungen gestellt. Allerdings wünscht er sich „mehr politische Stabilität“. Ähnlich sieht es Constantin von der Groeben, Mitgründer und Geschäftsführer von Demecan. Er fordert angesichts der intensiven öffentlichen Debatten, dem Gesetz erstmal eine Chance zu geben. Auch Finn Hänsel, Gründer und CEO der Sanity Group, mahnt: Am Ende wolle man keinem Missbrauch Vorschub leisten, sondern eine breite Versorgung gewährleisten.
Eine Zurückstufung von Cannabis ins Betäubungsmittelgesetz, wie zuletzt von der Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) gefordert, hält Mielcarek für einen Skandal. Das wäre seines Erachtens eine „Niederlage auf ganzer Fläche“, am Ende vor allem für die Patient:innen. Schließlich sei medizinisches Cannabis so nebenwirkungsarm, dass andere Probleme vordergründig seien. Von daher sei die niedrigschwellige Verschreibungsoption durch telemedizinische Angebote auch nicht anrüchig, die Diskussion dagegen „aufgeheizt.“
So fordert Hänsel lösungsorientierte Vorschläge, statt Forderungen nach mehr Restriktionen. Schließlich sei aktuell die Alternative zur Telemedizin, dass sich die Menschen weiter auf dem illegalen Markt versorgen. Dies aber, also jemanden wieder in den illegalen Markt zu schicken, sei hanebüchen. Schlussendlich gebe es bei anderen Medikamenten auch Missbrauch und im Falle von Cannabis hole man immerhin Menschen vom illegalen Markt. Auch von der Groeben mahnt, dass es keinen Konsum-Cannabismarkt gebe. „In Deutschland macht man es mal wieder unglaublich kompliziert“, kritisiert er. Und auch wenn Telemedizin ein Kanal sei, den Begriff des Patienten auszudehnen, so gebe es doch keine andere sicherer Abgabe von Cannabis.
Von der Groeben wünscht sich daher vor allem ehrlich, das eigentliche Risiko zu hinterfragen: Wie gefährlich ist Cannabis wirklich? Wie viele Menschen sind tatsächlich verrückt geworden? Er hofft angesichts der Telemedizin-Debatte, dass die Politik in Deutschland nicht alles überkompliziert regulieret: „Lasst uns da regulieren, wo Gefahren tatsächlich bestehen!“
Insbesondere hofft Hänsel darauf, dass die BLE doch noch Cannabis-Modellprojekte bewilligt, alles andere sei eine vertane Chance. Bislang warte sie „anscheinend“ ab: „Alle Menschen, die keine Indikation haben, müssen eine Alternative haben, sich zu versorgen.“ Und Evidenz sei schließlich „besser als strikte Verbote“. Wie Hänsel wünscht sich auch von der Groeben, endlich Modellprojekte zu genehmigen, fürchtet aber aufgrund des eigenen Behördenkontakts, dass „die Tür zu ist“.
Henry Wieker, Koordinator der Bundesarbeitsgemeinschaft Cannabis Anbauvereinigungen (BCAv), gesteht, dass die Euphorie rund um die Clubs inzwischen verflacht sei, „als man erkannt hat, was man alles machen muss“. 234 seien inzwischen lizenziert, es habe sich eine stabile Gruppe von Gründern gebildet, die „mit der Komplexität der Aufgabe umgehen können“. Wieker weiter: „Von Anzucht bis Abgabe gehört deutlich mehr dazu als der Grow.“ Seine Prognose: In den nächsten zwei bis drei Jahren, werde man sehen, welche Modelle und Clubs, sich durchsetzen werden. Wieker sagt aber auch: „Um ernsthaft eine Rolle zu spielen, bräuchten wir 2.000 bis 5.000 Clubs.“ Dabei spielt er auf das Ziel an, den illegalen Markt zu verdrängen. Das, so Wieker, schaffe man nicht durch „Rumeierei“.
Und wie es nun weiter geht? Finn Hänsel ist sicher, dass die „Büchse der Pandora“ geöffnet ist und man den Geist nicht wieder in die Flasche kriegt. Die Unterstützung für das CanG sei nach oben gegangen, eine progressive Drogenpolitik die richtige Richtung. Allerdings sei Deutschland ein Land der Skeptiker. Die deutsche DNA sei, dass zunächst Bedenkenträger zu Wort kommen. Dem könne man nur mit rationalen Argumenten entgegen treten. Der Sanity-Macher prognostiziert, dass es ein langer Weg werde, bis Politiker Telemedizin nicht nur tolerieren, sondern auch sagen: Gut, dass es passiert! Und vielleicht werde medizinisches Cannabis sogar zum OTC?
Jenseits dessen freut sich von der Groeben als immer noch einziger unabhängiger deutscher Produzent darüber, dass er fortan in Deutschland ohne Limit produzieren kann und endlich ein fairer Wettbewerb mit Akteuren aus dem Ausland herrsche. Demecan habe für die Erweiterungen der Kapazitäten fünf Millionen Euro in die Hand genommen.
Etwas kurz kommt dabei fast der eigentliche große Skandal: Dass das Nutzhanfliberalisierungsgesetz (NLG) durch das Scheitern der Ampel Ende des letzten Jahres noch immer in der Schublade liegt, obwohl das Gesetz höchst wahrscheinlich auch im aktuellen Bundestag eine große Mehrheit finden dürfte. Marijn Roersch van de Hoogte, Vize-Präsident des BvCW und Mitgründer der Hanf-Plattform Hemp Impact trauert immer noch dieser verpassten Chance nach. Immerhin sei das NLG schon durch den Bundesrat durch gewesen. Immerhin zeigt er sich positiv gestimmt, dass es auch in dieser Legislaturperiode die Chance gibt, die Rauschklausel für die Hanfindustrie in Deutschand zu entfernen.
Transparenzhinweis: Der Autor ist auch als Dienstleister für ein Telemedizin-Unternehmen tätig. Dieser Artikel ist davon unabhängig entstanden.