Cannabis ist nicht gleich Cannabis – aber wann ist Cannabis dann Cannabis?

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von RA Kai-Friedrich Niermann, KFN+ Law Office

Knapp einem Monat nach Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) haben sich trotz der restriktiven und prohibitiven Ausgestaltung des Gesetzes zahlreiche wirtschaftliche Aktivitäten entwickelt. 

Insbesondere der medizinische Cannabis-Markt scheint förmlich zu explodieren. Für viele Konsumenten, die Cannabis regelmäßig konsumieren, scheint es nun einfacher geworden zu sein, über einen Wechsel ins medizinische System nachzudenken und diesen Wechsel hin zum Patientenstatus auch tatsächlich zu vollziehen. Wann ist Cannabis Konsumcannabis und wann medizinisches Cannabis? Diese Abgrenzungsfrage hat erneut die Debatte über die Cannabisblüte und ihrer medizinischen Anwendung befeuert, wobei die Vertreter der reinen Lehre aufgrund der aktuellen Entwicklung bereits wieder das Ende der Cannabisblüte als Medizin voraussagen. Je aggressiver Telekliniken, Apotheken, Importunternehmen und Hersteller die neuen Möglichkeiten nutzen werden, desto mehr wird diese Debatte weiter an Fahrt aufnehmen. Etwas Zurückhaltung ist deshalb allen Marktbeteiligten durchaus anzuraten!

Darüber hinaus beginnt sich ein schwunghafter Samen- und Stecklingshandel zu etablieren. Nach der Systematik des KCanG ist solches Vermehrungsmaterial kein Cannabis. Cannabis ist vielmehr erst dann Cannabis im Sinne des neuen Gesetzes, wenn es einen Blüten- oder Fruchtstand aufweist (§ 1 Nr. 6 KCanG). Damit übernimmt das KCanG die Definition für Cannabis aus dem internationalen Recht, insbesondere aus Art. 1 der Single Convention von 1961. Auch dort ist Cannabis erst Cannabis, wenn die Pflanze einen Blütenstand oder Fruchtstand aufweist.

Diese Definition von Cannabis, und eine konsequente Auslegung dieser Definition, ist auch die einzige vernünftige Lösung für den privaten als auch den gewerblichen Umgang mit entsprechenden Produkten. Im Ergebnis entspricht diese Definition auch dem Cannabiskontrollgesetz, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zweimal im Bundestag eingebracht haben. Dort sollte der Eigenanbau von drei blühenden Pflanzen gestattet werden. Nunmehr können von der Anbauvereinigung sieben Samen oder fünf Stecklinge an Mitglieder oder Dritte übergeben werden, und man darf alle Samen und Stecklinge gleichzeitig anziehen. So hat der Heimgärtner in seinem befriedeten Besitztum die Möglichkeit, jeweils selbst zu entscheiden, welche Pflanze sich am besten entwickelt hat, und in die Blüte geschickt werden kann. Die anderen müssen dann vor der Blütephase vernichtet werden.

Jede andere Auslegung würde bedeuten, dass ich mich bei Annahme der fünf Stecklinge aus der Anbauvereinigung unmittelbar strafbar mache, was der gesetzlichen Systematik offensichtlich widerspricht.

Konsequenterweise muss dann auch ein gewerblicher Handel mit Samen und Stecklingen möglich sein, da es sich bei Samen und Stecklingen nicht um Cannabis im Sinne des KCanG handelt, und dementsprechend Besitz und Handel nicht pönalisiert sind. Die überwiegenden Gesichtspunkte, die sich bei einer Auslegung nach dem Wortlaut, nach dem Sinn und Zweck, nach der Systematik sowie der Historie des Gesetzes ergeben, sprechen eindeutig für die Zulässigkeit eines entsprechenden gewerblichen Handels.

Dasselbe gilt sogar für eine Mutterpflanzenproduktion in Deutschland. Eine Mutterpflanze geht ebenfalls niemals in die Blütephase, sondern ist zur Anzucht von Cannabispflanzen bzw. zur Produktion von Jungpflanzen oder Sprossteilen bestimmt. Ein Anbau im Sinne des § 2 Abs. 1 Nummer 2 KCanG ist ebenfalls auszuschließen, da eben keine Blütephase vorliegt.

Sofern weibliche Pflanzen von einer männlichen Pflanze befruchtet wurden, weisen diese Pflanzen einen Fruchtstand auf, der dann die Samen enthält. Eine Produktion in Deutschland ist deshalb nicht möglich, da Anbaugenehmigungen für gewerbliche Anbieter derzeit noch nicht vorgesehen sind, sondern der Anbau auf Anbauvereinigungen und medizinische Produktion beschränkt ist. Die Einfuhr muss daher aus dem Ausland erfolgen, und aufgrund des EU-Landwirtschaftsrechts auch nur aus der EU. Dieser Hinweis in der Gesetzesbegründung ist auf Art. 189 der gemeinsamen Marktorganisation zurückzuführen (GMO), und betrifft die Hanfeinfuhren in die Europäische Union. Um hier keinen Ärger mit der Kommission oder andere Mitgliedstaaten zu riskieren, hat der Gesetzesentwurf vorsichtshalber von einem Import aus Drittstaaten abgesehen. Deshalb waren entsprechende Einschränkungen bei den Cannabissamen in Bezug auf die Drittstaaten aufzunehmen. 

Für Stecklinge war das nicht erforderlich, da Art. 189 GMO insofern für Jungpflanzen nicht einschlägig ist. Daher können auch Stecklinge importiert werden, auch im Wege des Versandhandels, sofern das exportierende Land keine entsprechenden Beschränkungen vorsieht und den Export erlaubt.

Die Gesetzesbegründung in der BT-Drucksache 20/8704, Seite 91 zu § 1 Nummer 6, nach der auch Stecklinge bzw. die ungeerntete Cannabispflanze als Cannabis im Sinne des Gesetzes gelten sollen, ist nicht vertretbar, und kann an dieser Stelle in der Begründung auch nicht nachvollzogen werden, da sich diese Aussage klar gegen den Wortlaut von §1 Nr. K KCanG stellt. Darüber hinaus sind einzelne Sätze in einer Gesetzesbegründung im Rahmen der historischen Auslegung nicht bindend, wie zuletzt der Bundesgerichtshof am 18.4.2024 im Rahmen seines misslichen Obiter Dictums zur nicht geringen Menge nochmal klargestellt hat, sondern allenfalls ein Indiz, das insgesamt mit der vollständigen Gesetzesbegründung und mit den anderen Auslegungsmethoden zu gewichten ist.

Denn es ist doch gerade das Ziel des Gesetzgebers, den Eigenanbau als Teil der Strategie zur Bekämpfung des illegalen Marktes zu erlauben. Soll dieses Ziel erreicht werden, muss auch ausreichend Vermehrungsmaterial für Konsumentinnen und Konsumenten zur Verfügung stehen. Eine gewerbliche Lieferkette bietet in der Regel hierfür die besten Voraussetzungen.

Insbesondere die Erwähnung der juristischen Personen in § 26 Abs. 1 Nummer 1 KCanG, die Vermehrungsmaterial (Samen und Stecklinge!) an Anbauvereinigungen liefern, spricht eindeutig dafür, dass eine kommerzielle Lieferkette für Vermehrungsmaterial vom Gesetzgeber gewünscht ist. In der Gesetzesbegründung zu dieser Dokumentationspflicht des erhaltenen Vermehrungsmaterials werden die gewerblichen Anbieter ebenfalls nochmals ausdrücklich erwähnt. An keiner Stelle des Gesetzes wird ausgeschlossen, dass Vermehrungsmaterial an Konsumenten nicht durch gewerbliche Händler in Deutschland abgegeben werden können. Die Pflicht zur Dokumentation der Lieferungen gewerblicher Händler an die Anbauvereinigungen wurde aufgenommen, um sicherstellen zu können, dass keine Versorgung aus dem Schwarzmarkt erfolgt, so die Gesetzesbegründung.

Die einschränkenden Regelungen für den Umgang mit Samen und Stecklingen gelten nur für Anbauvereinigungen. Nach der Konzeption des Gesetzes erfüllen Anbauvereinigungen aber eine andere Funktion als der gewerbliche Handel. In den Anbauvereinigungen soll gerade die Chance genutzt werden, die die soziale Kontrolle der nicht gewerblichen Vereinigung im Hinblick auf ihre Mitglieder bietet, insbesondere auf die Heranwachsenden. In dem die Verpflichtung zur Aufklärung über die Risiken von Cannabis, auch über Vermehrungsmaterial, in der Vereinigung besteht, und diese Aufklärung durch die eigenen Mitglieder des Vereins in persönlichen Konstellationen vor Ort stattfinden muss, ist sichergestellt, dass jedes Mitglied ausreichend erreicht und über den Konsum von Cannabis aufgeklärt werden kann. Außerdem soll bei Anbauvereinigungen eine übermäßige Kommerzialisierung verhindert werden, wie zuletzt noch mal durch die Umsetzung der Protokollerklärung von Karl Lauterbach im März dieses Jahres deutlich wurde. Versandhandel und Lieferung seitens der Anbauvereinigungen würden eine Kommerzialisierung begünstigen. Deshalb wurden die Lieferung und der Versand mit einem Bußgeld belegt. 

Bisher wurde nur ein Fall aus Norderstedt von der Firma Bigger Trees bekannt, in denen das Ordnungsamt zusammen mit der Polizei alle Stecklinge zerstört hat und ein Verfahren eingeleitet wurde. Auf welcher Grundlage hier vorgegangen wurde, ob strafrechtlich oder verwaltungsrechtlich, ist bisher nicht bekannt. Alle weiteren gewerblichen Bemühungen, Cannabis Stecklinge und Samen zu verkaufen, sind bis dato unbehelligt geblieben.

Es bleibt also spannend, und zu wünschen, dass der heimische Cannabis-Markt endlich mit zwei weiteren, neuen und legalen Produkten eine gewisse Art von Aufschwung erleben darf.

Hinweis: Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

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