Cannabis: Die ideologischen Grabenkämpfe haben begonnen

by Moritz Förster

Ein Kommentar

Ein Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium hat die gesamte Medizinalcannabis-Branche in helle Aufregung versetzt. Der telemedizinische Zugang soll extrem limitiert, der Versand von Medzinalcannabis-Blüten durch Apotheken verboten werden. Das wäre wohl gleichbedeutend mit mindestens einer Halbierung des gegenwärtigen Marktvolumens. Es stellt sich die Frage nach den Motiven des BMG.

Der Referentenentwurf verweist einerseits auf den rasanten Anstieg der Importmengen, andererseits auf eine Inkongruenz von Privatrezepten verglichen mit GKV-Verordnungen. Zudem heißt es, dass über die telemedizinischen Plattformen Cananbisblüten zu medizinischen Zwecken ohne jeglichen oder ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt bezogen werden können und die Patient:innen auch keinen persönlichen Kontakt zu pharmazeutischem Personal der Apotheke hätten, so sie sich denn für eine Versandapotheke entscheiden. So weit so gut. Das ist allerdings alles mehr oder weniger eine deskriptive Beschreibung des Status Quo. Wo ist das eigentliche Problem?

Der Referentenentwurf vermeidet bewusst den Begriff „Missbrauch“, obwohl man spürt, dass dieser pauschale Verdacht der Argumentation tief zugrunde liegt: Wer ’nur‘ per Fragebogen medizinisches Cannabis erhält, ist in vielen Fällen eigentlich gar kein Patient. Der Haken an der Sache: Es existieren keine Daten, die einen solchen Missbrauch belegen. Das Thema wird öffentlich zwar rauf und runter diskutiert, aber weder die Kammern von Ärzten oder Apotheken, noch die Experte-Organisationen für Suchtthemen können präzise benennen, wie viele Cannabis-Patient:innen ihre Medizin ‚missbrauchen‘ (wie immer auch dies aussehen soll).

Offiziell niederschreiben musste man im Referentenentwurf nun also ein anderes Anliegen, als einen solchen nicht zu belegenden ‚Missbrauch‘ einschränken zu wollen. Angemerkt sei, dass im übrigen Medikamenten-Missbrauch von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland nichts außergewöhnliches ist. Jedes Jahr sollen beispielsweise Menschen in siebenstelliger Zahl Schlafmittel missbräuchlich einnehmen (wohlgemerkt ebenfalls geschätzt) – von so vielen Cannabis-Patient:innen sind wir in der Summe noch weit entfernt! Umso mehr stellt sich die große Frage, wieso nun ausgerechnet für medizinisches Cannabis, aber für keine anderen verschreibungspflichtigen Medikamente Sonderregeln gelten sollen.

Das BMG verweist darauf, dass es sich bei „Cannabisblüten zu medizinischem Zwecken um ein Arzneimittel mit Suchtrisiko und weiteren gesundheitlichen Risiken, insbesondere Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung bei jungen Menschen handelt“. Es verschweigt aber, dass dieses „Suchtrisiko“ von medizinischem Cannabis nirgendwo wissenschaftlich belegt ist (anders als bei anderen verschreibungspflichtigen Medikamenten…). Und das Argument der Gehirnentwicklung bei jungen Menschen läuft ins Leere, da ja gerade in der medizinischen Therapie deutlich besser das Alter kontrollieren werden kann als in einem florierenden illegalen Markt. Online ID-Checks sind kein Hexenwerk und kommen heutzutage noch bei ganz anderen Sachen als bei medizinischem Cannabis zum Einsatz.

Am gravierendsten dürfte aber die Frage wiegen, wieso der Gesetzgeber einerseits über Cannabis-Anbauvereinigungen und Home Grow einen möglichst flächendeckenden Zugang zu Cannabisblüten schaffen und im Fall von Blüten als Arzneimittel den niedrigschwelligen Zugang aufgrund eines „Suchtrisikos“ aber einschränken möchte. Das „Suchtrisiko“ medizinischen Blüten sollte aufgrund der strengen pharmazeutischen Standards ja eher ab als zu nehmen (wenn es denn in dem Fall überhaupt existiert). Um es anders zu sagen: Wieso sollte jemand, der sich über den eigenen Anbau, über einen Club oder gar über den komplett unkontrollierte illegalen Markt versorgt ein geringeres Risiko haben als ein Patient in der medizinischen Versorgung?

Dass dieser Referentenentwurf – wie er es selbst für sich in Anspruch nimmt – die „Arzneimittelversorgung und damit zugleich der Patientensicherheit“ stärkt, darf daher getrost in Frage gestellt werden. Im Kern geht es, das ist die einzige logische Schlussfolgerung, um etwas ganz anderes: Um tief verwurzelte ideologische Vorbehalte gegenüber Cannabis – und damit um die Errungenschaften des Cannabis-Gesetzes der noch SPD-geführten Ampel-Regierung. Ganz grundsätzlich um die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz von Cannabis in unserer Gesellschaft.

1 comment

Chrissi S Juli 19, 2025 - 8:46 pm

extrem gut formuliert und auf den Punkt gebracht bei angenehmen und interessanten lesefluss.
man spürt wie der Verfasser hinter jedem seiner Wörter steht und nach Sätzen sucht die die Idiotie beschreiben

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