Die neue Verordnung hat Lücken – Senat kündigt Nachbesserung an
Berlin gilt als Deutschlands Cannabis-Hotspot. Nirgendwo sonst in Deutschland ist das einst verbotene Kraut so omnipräsent wie in der Hauptstadt. Auch aus der Politik gab es, anders als zum Beispiel in Bayern, kaum Vorbehalte gegenüber der neuen Gesetzgebung. Eigentlich bieten das politische Klima und die traditionell liberale Haltung der Berlinerinnen und Berliner eine solide Grundlage zur Gründung und Eröffnung von Cannabis Clubs. Eigentlich. Doch Unstimmigkeiten zwischen Senat und Bezirken sorgen in Berlin für Irritation: Die Bezirke sollen laut Senat die Clubs vor Ort kontrollieren, weisen aber alle Verantwortung von sich – zumindest solange ihnen dafür nicht entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
Und zur soliden Basis bedarf es schließlich auch einer handlungsfähigen Verwaltungsebene, die das neue Club-System implementiert und vor allen Dingen auch kontrolliert. Genau an dieser Stelle scheint es aktuell so, als ob der Berliner Senat und die ihm unterstellte Verwaltung ihre Hausaufgaben nicht oder im besten Falle unvollständig erledigt haben. Das hat bereits, ob gewollt oder nicht, zu enormen Verzögerungen bei der Bearbeitung von Club-Anträgen geführt – und könnte bei der Kontrolle der bewilligten Clubs noch für Ärger sorgen. Berlin hinkt weiterhin bei der Bewilligung von Anträgen hinterher.
Die Rolle der Berliner Bezirke
In Berlin fallen den Bezirken eben jene Aufgaben zu, die in Flächenländern in der Regel den Kommunen zufallen. Ergeben sich aus einem neuen Gesetz, wie zum Beispiel dem CanG, Aufgaben für die Kommunalverwaltung, liegt es in Berlin am Senat (der Landesregierung), den Bezirken (Kommunen) Vorgaben und gegebenenfalls Gelder für dessen Umsetzung bereit zu stellen. Das jedoch ist in Berlin bis jetzt nur unvollständig passiert: Das LaGeSo sieht für die Vor-Ort-Kontrolle zwar die Bezirke in der Pflicht. Die wiederum verweisen unter anderem auf nicht vorhandene Mittel.
Phase eins: April bis Oktober- Reden um den heißen Brei
Während den meisten Bundesländern nach Inkrafttreten des neuen CanG klar war, dass die jeweiligen Länder Anbauvereinigungen durch ihre Landesbehörden lizenzieren, aber Kommunen in vielen Bereichen mit der Kontrolle und Überwachung beauftragen, hat man in Berlin über Monate hinweg um Zuständigkeiten gestritten. Im August 2024 hatten sich die Bezirke darauf verständigt, neue Anträge zwar entgegenzunehmen, jedoch „mangels hinreichender Zuständigkeitsregelung zunächst ruhend zu stellen.“
Mitte August 2024 hatte der CDU-geführte Senat dann beschlossen, das krisengeprüfte Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) mit der Lizenzierung und Überwachung der Cannabis Clubs zu betrauen. Bis die entsprechende Verordnung ausgearbeitet und in Kraft getreten war, waren allerdings weitere neun Wochen verstrichen. Zu diesem Zeitpunkt lag Berlin bereits vier Monate hinter den meisten anderen Bundesländern. Selbst im cannaphoben Bayern war die Verwaltung weitaus schneller – hier wird der Anbau der bereits bestehenden Clubs jedoch mit politischen Winkelzügen weiterhin erfolgreich verhindert.
Phase zwei: Oktober bis Dezember – Fehlt da nicht was?
Nachdem der Senat die Verordnung Ende Oktober beschlossen hatte, schienen die Zuständigkeiten geklärt zu sein. Den ersten Club hatte das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf übrigens im Vorfeld genehmigt und die ersten Anbaulizenzen erteilt, als die Zuständigkeiten noch ungeklärt waren. Mit der Verordnung Ende Oktober dachte man daher erst recht, Berlin habe seine Hausaufgaben nun endlich gemacht und es könne richtig los gehen. Doch bis heute ist es bei dem einen bewilligten Antrag geblieben.
So gab es Hinweise auf das nächste Zuständigkeitsproblem: Eine Anfrage Anfang November beim LaGeSo hatte ergeben, dass die Behörde zwar Anbaulizenzen erteilen kann – jedoch verständlicherweise nicht für die Kontrolle der Clubs vor Ort zuständig sei. Kontrollorgan, so das LaGeSo, seien die Bezirke:
“Es gibt keine unklaren Zuständigkeiten im Land Berlin. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSo) ist für die Erteilung der Erlaubnis an Anbauvereinigungen nach KCanG sowie die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten (§ 36 Absatz 1 Nummer 7 und 8 KCanG) im Zusammenhang mit der Erlaubniserteilung zuständig. Für die regelmäßigen Vor-Ort-Kontrollen der Anbauvereinigungen sowie die Verfolgung und Ahndung der Ordnungswidrigkeiten nach § 36 Absatz 1 Nummer 9 bis 36 KCanG sind die Berliner Bezirke verantwortlich.“
Soweit so gut. Doch die Bezirke verweisen auf fehlende Ressourcen oder weisen die Zuständigkeiten gänzlich von sich. Beispiele gefällig?
Ein Sprecher des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf auf Anfrage am 6. Dezember 2024:
„Zuständig für die Genehmigung von Anbauvereinigungen nach dem KCanG ist das LaGeSo. Gleiches gilt für sämtliche Kontrollen, die im Zusammenhang mit den vorgenannten Vorgängen stehen.“
Weiterhin heißt es aus dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf:
„Die Ordnungsbehörden sind… darüber hinaus ggf. auch im Rahmen von Gewerbekontrollen, bei denen Verstöße festgestellt werden (z.B. im Zusammenhang mit Jugendschutzregelungen) zuständig. Für diese neuen, zusätzlichen Aufgaben benötigen die Bezirke allerdings eine entsprechende Personal- und Sachmittelausstattung sowie Schulungen für die zuständigen Dienstkräfte, um auch rechtssicher arbeiten zu können… Bislang sind den Bezirken weder die erforderlichen Personal- und Sachmittel, noch Schulungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt worden, um den vorstehend dargestellten Aufgaben überhaupt nachkommen zu können.“
Auch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sieht sich im Dezember nicht in der Lage, die Cannabis-Clubs vor Ort zu kontrollieren. Antwort auf eine Anfrage vom 9. Dezember 2024:
„Die bezirklichen Ordnungsämter sehen sich hinsichtlich der Umsetzung des KCanG im Kern fachlich nicht betroffen. Zum einen sind die Ordnungsämter mit ihren Fachbereichen ‘Gewerbeangelegenheiten’ sowie ‘Veterinär- und Lebensmittelaufsicht’ lediglich im Hinblick auf gewerbsmäßig agierende Betriebe zuständig. Da Anbauvereinigungen im Sinne des KCanG nicht gewerbsmäßig betrieben werden können, haben auch die Senatsverwaltungen für Wirtschaft, Energie und Betriebe sowie für Justiz und Verbraucherschutz bereits bestätigt, dass eine Zuständigkeit der Ordnungsämter in dieser Hinsicht nicht hergeleitet werden kann. Zum anderen sehen die Leiterinnen und Leiter der Berliner Ordnungsämter eine Verortung der in Rede stehenden Zuständigkeit auf Bezirksebene als nicht praktikabel an, da eine einheitliche Verwaltungspraxis in zwölf Berliner Bezirken – nicht zuletzt auch aufgrund mehrerer in Betracht kommender Fachämter – erfahrungsgemäß kaum zu gewährleisten sein wird und lediglich zu einer Zunahme an Bürokratie führt.“
Doch damit nicht genug. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg erklärt:
„Die Leiterinnen und Leiter der Ordnungsämter haben den Senat dazu aufgefordert, dem Prinzip der Konnexität folgend und dem § 33 Absatz 2 Satz 1 KCanG Rechnung tragend, eine adäquate Personal- und Sachmittelausstattung zu erfahren, soweit den Ordnungsämtern Zuständigkeiten im Zusammenhang mit Cannabis zugewiesen werden sollen, da eine wirksame Umsetzung der bundesgesetzlichen Vorschriften ansonsten nicht gewährleistet ist.“
Das Bezirksamt Lichtenberg bezeichnet die Rolle der „Ordnungsämter“ als bisher nicht abschließend geklärt. Das Bezirksamt Mitte lässt am 6. Dezember verlauten, dass eine Abstimmung mit dem Senat noch nicht erfolgt sei. Stellt aber ebenfalls klar, dass man davon ausgehe, dass die Hauptverwaltung für „mehr Aufgaben auch mehr Mitarbeitende bereitstellt“. Auch aus dem Bezirksamt Pankow heißt es am 10. Dezember 2024, dass das KCanG Aufgaben zwar den Bezirken zuweise, eine „diesbezügliche Zuständigkeitsregelung innerhalb des Bezirksamtes Pankow von Berlin gegenwärtig nicht bekannt“ sei.
Egal, wo man fragt – der Tenor der Bezirke ist unisono der gleiche: Zusätzliche Aufgaben erfordern mehr Personal und finanzielle Mittel. Bevor diese nicht zur Verfügung stehen, sieht man sich nicht in der Lage und nicht in der Verantwortung, Kontrollen vor Ort auszuführen. Von „klaren Zuständigkeiten“ wie vom Senat formuliert, ist man weit entfernt.
Solange die Verordnung weder Personal noch ein Budget vorsehe, sehen sich die Berliner Bezirke außerstande, die gesetzlich notwendigen Kontrollen zu gewährleisten. Dennoch bestätigt das LaGeSo, dass man durch die „[…] neue Verordnung vom 29. Oktober 2024 nur in einem spezifischen Bereich (Cannabiskonsumgesetz) zuständig wurde, während alle anderen Aufgaben weiterhin den Bezirken obliegen.“ Genau diese Aufgaben weisen die Bezirke aber von sich.
Wie so oft liegt auch hier der Teufel im Detail. In Artikel acht der Berliner Ordnungswidrigkeiten-Zuständigkeitsverordnung werden die Aufgaben des LaGeSo definiert. Im Rahmen der neuen Cannabis-Club Verordnung wurde dieser Artikel Ende Oktober um Buchstabe 1c ergänzt. Gemäß des neuen Wortlautes ist das LaGeso zuständig „für Ordnungswidrigkeiten nach § 36 Absatz 1 Nummer 7 und 8 des Konsumcannabisgesetzes vom 27. März 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 109, S. 2), das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juni 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 207) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung.“
Artikel neun der Berliner Owi-Zustänigkeitsverordnung hingegen definiert die genauen Aufgaben der Ordnungsämter. Der Senat hatte Ende Oktober jedoch nur Artikel acht, bei dem es um die Aufgaben des LaGeSo geht, ergänzt. Artikel neun hingegen steht bis heute unverändert da. Ohne eine offizielle Zuständigkeit gibt es bei den Ämtern eben auch kein Personal und kein Geld für die Kontrolle der Cannabis Clubs.
Phase drei: Januar bis ???? Die Verordnung muss nochmal geändert werden
Umso verwunderlicher also, dass der Senat am 7. November 2024 erklärt, dass es „keine unklaren Zuständigkeiten“ gebe und man bei der Verordnung Ende Oktober alles richtig gemacht habe. Trotzdem plane der Senat „zur Sicherstellung einer klaren Rechtssystematik die Anpassung der OWi-Zuständigkeitsverordnung. Eine entsprechende Vorlage befindet sich aktuell im ressortübergreifenden Abstimmungsverfahren.“
Heißt das im Umkehrschluss, dass die derzeitige Verordnung die Rechtssystematik nicht sicherstellt, während einige Clubs bereits Gras verteilen?
Fakt ist: Vor in Kraft treten dieser Ergänzung ist eine Kontrolle des ordnungsgemäßen Cannabis-Club Betriebs eigentlich gar nicht möglich. Jetzt könnte man meinen, dass es Clubs, die bereits anbauen, egal ist, ob das Ordnungsamt vorbei schaut oder nicht. Das Problem beschreibt Aleksandra Vujinović, Corporate Cannabis Rechtsanwältin und Mitgründerin der auf unter anderem auf Cannabis-Clubs spezialisierten CLA Cannabis Law Academy:
„Während 15 Bundesländer bereits funktionsfähige Strukturen geschaffen haben, ringt Berlin über ein halbes Jahr nach der vom Gesetzgeber geschaffenen Möglichkeit der Beantragung einer Anbauerlaubnis für Cannabis Clubs mit grundlegenden Fragen zur Zuständigkeit und Administration. Anstatt eine zentrale Anlaufstelle für die Genehmigung und Kontrolle von Anbauvereinigungen zu schaffen – wie es der Gesetzgeber vorgesehen hat und in den meisten anderen Bundesländern umgesetzt wurde –, hat Berlin die Verantwortung für die Überwachung und Kontrolle der Anbauvereinigungen auf die Ordnungsämter der zwölf Bezirke verteilt. Diese wurden jedoch ohne ausreichende Fachexpertise, klare Vorgaben oder notwendige Ressourcen mit der Aufgabe betraut. Die bisherigen Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Von den rechnerisch möglichen 600 Anbauvereinigungen in Berlin wurden bislang lediglich 23 Anträge gestellt, von denen nur eine einzige Lizenz erteilt wurde – und das lediglich im Rahmen der Auffangzuständigkeit des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf. Gerade Berlin bildet damit zusammen mit Bayern und dem Saarland das Schlusslicht der Legalisierung. Berlin riskiert, durch Untätigkeit, Überregulierung und mangelnde Abstimmung die Entwicklung einer rechtssicheren und flächendeckenden Regulierung erheblich zu behindern. Es ist schon bedenklich, wie lange und in welchem Ausmaß sich ein Bundesland unbeschadet über Bundesgesetze hinwegsetzen darf.“
Kurzum: In Bayern werden Cannabis-Clubs bis heute durch politisches Kalkül verhindert, in Berlin verbummelt ein Schwarz-roter Senat die Umsetzung des CanG auf dem Verwaltungsweg. Bleibt zu hoffen, dass die kommende Änderung allen Seiten Rechtssicherheit verschafft und Berlin dann mit acht bis zwölf Monaten Verspätung den Boden für den legalen Club-Anbau bereitet hat.
Die Recherchen für diesen Beitrag wurden redaktionell unterstützt von Lisa Haag.