Die Schweiz hat eine langjährige Cannabis-Tradition und gilt für CBD-Blüten als einer der Hotspots Europas. Im Gegenteil ist der Markt für medizinisches Cannabis bislang noch nicht so richtig in Schwung gekommen. Obwohl seit über zwei Jahren – zumindest in der Theorie – Unternehmen in der Schweiz produziertes medizinisches Cannabis anbauen, verkaufen und auch exportieren dürfen, wurden 2023 gerade einmal vier Tonnen medizinisches Cannabis nach Deutschland exportiert, im ersten Halbjahr 2024 hat laut BfArM noch gar kein Handel mit Unternehmen in Deutschland stattgefunden. Ändern will dies unter anderem das Unternehmen Marry Jane – das bereits beachtliche Mengen an CBD-Blüten für ganz Europa produziert, hierzulande in Sachen Medizinalcannabis aber noch nicht so richtig auf dem Radar steht. Gelingt der anvisierte Spagat zwischen CBD und medizinischen THC-Blüten?
Der erfahrene Rechtsanwalt Daniel Haymann spricht rückblickend von einem “großen Schritt”, als die Schweiz im Sommer 2022 Cannabis von der Liste der “verbotenen” Betäubungsmittel streicht und dies fortan als “kontrollierte Substanz” gilt. Anders als in Deutschland sei Cannabis damit zwar immer noch ein “Betäubungsmittel”, könne nun aber medizinisch ohne “Ausnahmebewilligung” verschrieben werden. Die Swissmedic, also das Schweizerische Heilmittelinstitut, kontrolliere seitdem ähnlich wie die Cannabisagentur in Deutschland Anbau und Warenfluss von medizinischem Cannabis. Aber: Um exportieren zu dürfen, müssen die Unternehmen zunächst einen Partner im Zielland finden. Wie viele Unternehmen sich dafür in der Schweiz bereits in Stellung gebracht haben? Haymann: “Dies kann kaum quantifiziert werden, da diese Daten nicht öffentlich zugänglich sind.” Die hohe Nachfrage in Deutschland habe seines Erachtens aber in der Schweiz dazu geführt, dass “zahlreiche Unternehmen sich für den Export vorbereiten, die notwendigen Bewilligungsprozesse durchlaufen und Partnerschaften aufgleisen”. Weitere mögliche Exportländer seien beispielsweise Polen, Australien und die tschechische Republik. Ein “Hot topic”, O-Ton Haymann, im Moment die Ukraine.
Eines der Unternehmen, die sich gerade für den Export positionieren: Marry Jane – wohlgemerkt nicht zu verwechseln mit der Mary Jane, das große Cannabis-Event in Berlin mit nur einem “r”. 2017 in der Schweiz gegründet zählt Marry Jane nach eigenen Angaben heutzutage zu den größten Cannabis- und CBD-Produzenten Europas. Mit 15.000 Quadratmetern betreibe das Unternehmen die größte Indoor-Anlage Europas, lässt es verlauten. Manuel Kalleder, Director Corporate Affairs, verweist gegenüber krautinvest.de auf bereits bestehende Vertriebs- und Tochtergesellschaften in West- und Osteuropa sowie eine Lizenz, um THC-haltiges Medizinalcannabis zu vertreiben. Mit dem Anbau des THC-haltigen Medizinalcannabis habe die Marry Jane im zweiten Quartal des laufenden Jahres begonnen, die dafür erforderliche GACP-Lizenz im Dezember 2023 erhalten. Im April, berichtet Kalleder, seien erste Stecklinge und Mutterpflanzen gesetzt worden. Damit baut sich das Unternehmen jenseits von CBD-Blüten – in der Schweiz wohlgemerkt bis zu ein Prozent THC – eine zweite Säule auf. Insgesamt verfüge das Unternehmen über etwa 250.000 Pflanzen, darunter 3.500 Mutterpflanzen und ganz verschiedene Genetiken am Schweizer Standort. 2024 will Marry Jane in 80 Ernten 20 Tonnen Cannabis produzieren und bediene laut Kalleder die gesamte Wertschöpfungskette “vom Anbau über die Produktion bis zum Einzelhandel”. Der Großteil davon bleibt freilich CBD – das Ziel für die neu zweite Säule: Medizinalcannabis soll zukünftig zehn Prozent der Produktion ausmachen.
Während die CBD-Blüten abhängig von der jeweiligen rechtlichen Laage in den einzelnen Ländern in ganz Europa vertrieben werden, will sich Marry Jane mit Medizinalcannabis zunächst auf den eigenen heimischen Markt und Deutschland fokussieren, auch andere europäische Märkte und Länder würden laut Kalleder aktuell geprüft. Für den Handel arbeite das Unternehmen mit AMP – Alternative Medical Products – zusammen, Teil der gleichen Investmentgesellschaft wie Marry Jane.
“Komplexe Anforderungen des Heilmittelrechts”
Vor dem aktuell bereits großen Angebot und dem Preisdruck in Deutschland scheut sich Manuel Kalleder nicht: “Hier wird sich durchsetzen, wer auf konstantem Niveau die qualitativ besten Produkte für die Patienten bereitstellen kann. Wir brauchen nicht mehr Produkte allgemein, sondern einen höheren Anteil von qualitativ hervorragenden Produkten.” Auch preislich geht er davon aus, mit den Produkten aus der Schweiz mithalten zu können. Zwar stehe die Schweiz für höhere Produktions- und Lohnkosten – auf der anderen Seite aber auch für “geringere Energiekosten als in vielen anderen Ländern der EU”.
Wieso sich die Prozesse in der Schweiz seit August 2022 etwas hinzogen, erläutert Haymann: “Viele ehemalige CBD-Produzenten, die auf medizinisches Cannabis umsteigen wollten, standen vor der Herausforderung, sich mit den komplexen Anforderungen des Heilmittelrechts auseinanderzusetzen, insbesondere mit den GMP-Standards und der Pharmakopöe – ein schwieriger Prozess. Ohne eigene GMP-Zertifizierung mussten sie ihre Produktion nach GACP-Standards ausrichten und strategische Partnerschaften mit GMP-zertifizierten Unternehmen eingehen, was viel Zeit in Anspruch nahm. In einigen Fällen waren sogar gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen erforderlich.” Auch Marry Jane hat selbst keine GMP-Zertifizierung. Kalleder verweist darauf, dass GACP bereits Anbau und Vortrockung der Produkte ermögliche.
Laut Haymann eine weitere Herausforderung: Es hätten nur wenige Unternehmen den hohen Qualitätsansprüchen gerecht werden können. Wer Extrakte oder Tinkturen herstellen wolle, müsse erhebliche Beträge investieren, die sich, so Haymann “viele Unternehmen während des ‘CBD-Winters’ nicht leisten konnten”, gerade auch angesichts angespannter Kapitalmärkte. Zudem habe es bis 2022 in der Schweiz keine Verschreibungen von Blüten gegeben, erklärt Claudia Zieres-Nauth, vom führenden Schweizer Branchenverband IG Hanf. Das habe “die Nachfrage und damit die Produktion niedrig” gehalten. Auch die hohen regulatorischen Hürden in Deutschland und Kosten für die Registrierung von Sorten und Batches stellen ihres Erachtens eine Herausforderung dar.
Bis dato hat sich mit Cannavigia bereits ein führendes Software-Unternehmen aus der Schweiz europaweit einen Namen gemacht – insbesondere in der medizinischen Cannabis-Industrie. Ob dort zukünftig auch Unternehmen mitmischen, die direkt mit der Blüte arbeiten und von ihren Erfahrungen mit CBD-Blüten profitieren können? Zumindest Haymann ist überzeugt, dass “sich die Früchte der längeren Vorbereitungsphase der Schweizer Cannabisexporteure” bald auszahlen werden. Und Zieres-Nauth betont: “Wir bewegen uns mit deutlichen Schritten in den nächsten vier bis fünf Jahren auf eine umfassende Regulierung des Cannabismarktes als Genussmittel zu.” Dies werde ihres Erachtens auch die Entwicklung des Marktes für medizinisches Cannabis beeinflussen, prognostiziert sie mit Verweis auf die bereits laufenden Pilotversuche. Haymann versichert: “Die Schweiz hat hohe Produktionsstandards, im europäischen Vergleich erstaunlich tiefe Stromkosten und Innovationskraft und ist durchaus in der Lage, längerfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Wir Schweizer sind nicht dafür bekannt, die schnellsten zu sein. Aber wenn wir bereit sind, dann ‘sitzt’s'”.