Krautinvest

Zum bayerischen Gutachten über „völker- und EU-rechtliche Grenzen einer Cannabis-Legalisierung in Deutschland“

Von Nikolai Straimer und Roman Herpich

Das vom bayerischen Gesundheitsminister beauftragte Gutachten über „völker- und EU-rechtliche  Grenzen einer Cannabis-Legalisierung in Deutschland“ mag in den konservativen Kreisen der Opposition für eine gewisse Genugtuung gesorgt haben. Inhaltlich hält es jedoch keine Überraschungen bereit. Dass hinsichtlich der Vereinbarkeit der kontrollierten Abgabe mit EU- und Völkerrecht unterschiedliche Rechtsauffassungen existieren, dürfte inzwischen bekannt sein. Entgegen der Auffassung des Autors des Gutachtens verhält es sich aber keinesfalls so, dass das geplante Vorhaben zweifellos nicht rechtskonform umsetzbar wäre.

Das Gutachten geht zwar auf nahezu alle möglichen Begründungsmodelle für eine völker- und europarechtskonforme Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken ein, lässt jedoch an den entscheidenden Stellen die erforderliche Tiefe vermissen. Bei einer bestimmten Rechtfertigung des Vorhabens ist die fehlende Auseinandersetzung besonders auffällig, denn sie wird mit nur einem Satz in einer Fußnote des Gutachtens abgehandelt.

Durchführung eines wissenschaftlichen Modellprojekts

Bei dieser, im Gutachten nur beiläufig erwähnten, Rechtfertigung einer kontrollierten Abgabe handelt es sich um die Durchführung eines wissenschaftlichen, großangelegten Modellprojekts zu den Auswirkungen einer kontrollierten Abgabe von Cannabis als Genussmittel auf den Gesundheits- und Jugendschutz sowie auf die Schwarzmarkt- und Kriminalitätsbekämpfung. Dass die Bundesregierung grundsätzlich eine solche wissenschaftliche Untersuchung vornehmen möchte, ergibt sich insbesondere aus dem bereits veröffentlichten Eckpunktepapier, in dem unter dem Punkt „VI. Evaluation“ die Evaluierung der gesellschaftlichen Auswirkungen u.a. auf den Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz und auf den Bereich der Straßenverkehrssicherheit nach vier Jahren und darüber hinaus vorgesehen ist.

Umso bemerkenswerter ist es daher, dass diese Rechtfertigung einer kontrollierten Abgabe im Gutachten mit der Behauptung abgelehnt wird, dieser „Ansatz“ verkenne

„[…] offensichtlich sowohl die Intentionen der Bundesregierung als auch die Reichweite des entsprechenden Ausnahmetatbestandes des UN-Rechts.“ (siehe Fußnote 53, S. 30, Wegener, Völker- und EU-rechtliche Grenzen einer Cannabis-Legalisierung in Deutschland, Hervorhebung durch die Autoren).

Insoweit stützt sich der Autor des Gutachtens bei der Ablehnung dieses Legalisierungskonzeptes auf zwei Argumente: Erstens entspräche ein solches Modellprojekt nicht den Intentionen der Bundesregierung. Zweitens müsse der Ausnahmetatbestand zur Inverkehrbringung von Cannabis aus wissenschaftlichen Zwecken eng ausgelegt werden und würde eine derartiges wissenschaftliches Modellprojekt nicht stützen.

Entgegen dieser im bayerischen Gutachten aufgestellten Thesen entspricht das Legalisierungskonzept in Form eines wissenschaftlichen Modellprojekts jedoch genau den Intentionen der Bundesregierung, die bereits im Eckpunktepapier die Evaluation des Gesetzes angekündigt hat. Dort findet sich auch der Hinweis, dass das Bundesministerium für Gesundheit bereits einen Auftrag zur Erhebung von Indikatoren vergeben hat, um herauszuarbeiten, welche Daten während der kontrollierten Abgabe ermittelt und evaluiert werden müssen. „Eine Basiserhebung soll noch vor Inkrafttreten des Gesetzes durchgeführt werden.“[1] Die Bundesregierung will somit insbesondere feststellen, dass die Ziele wie z.B. der Gesundheits- und Jugendschutz, sicherlich aber auch die Kriminalitäts- und Schwarzmarktbekämpfung, durch eine kontrollierte Abgabe besser erreicht werden können als durch die gegenwärtige Situation ohne jeglichen Minderjährigen- und Konsumentenschutz und dass es sich bei dem geplanten Vorhaben tatsächlich um eine Maßnahme handelt, die diesen Zwecken vollumfänglich dient. Dabei handelt es sich um ein Vorhaben, das nur durch eine großangelegte Umsetzung auf nationaler Ebene überhaupt erst nachweisen kann, dass die Eindämmung des Schwarzmarktes und Förderung des Gesundheitsschutzes durch eine kontrollierte Abgabe besser erreicht werden. Wie soll eine Pilotstudie, die z.B. nur die Abgabe in wenigen Städten betrifft, auch darlegen, dass Schwarzmarkt und Drogenkriminalität auf nationaler Ebene bekämpft werden können? Dass die aus dem Völkerrecht stammende Ausnahme im Falle des Vorliegens eines wissenschaftlichen Zwecks grundsätzlich solche wissenschaftlichen Modellprojekte zur kontrollierten Abgabe von Cannabis möglich macht, folgt bereits aus Beispielen unserer Nachbarländer wie zum Beispiel das geplante, niederländische „Wietexperiment“, das in 79 Coffeeshops in 10 niederländischen Kommunen den Vertrieb von heimisch hergestelltem Cannabis gestatten wird. Auch dort sollen – wie im Eckpunktepapier der deutschen Bundesregierung in ähnlicher Weise angedeutet – die Auswirkungen einer kontrollierten Abgabe auf den Gesundheitsschutz sowie die Kriminalitätsbekämpfung ermittelt werden. In der Schweiz hat bereits ein weiteres wissenschaftliches Pilotprojekt in der Stadt Basel begonnen.

Reichweite des völkerrechtlichen Ausnahmetatbestandes

Damit geht auch das zweite, im Rahmen des Gutachtens aufgeworfene und für die Ablehnung des wissenschaftlichen Modellprojekts herangezogene Argument, nämlich der „notwendigen“ engen Auslegung der völkerrechtlichen Ausnahmen – also der strikten Beschränkung der Gewinnung, Herstellung, Ausfuhr, Einfuhr, Verteilung, Verwendung und des Besitzes auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke – in Anbetracht der anvisierten und nötigen Dimension eines solchen wissenschaftlichen Vorhabens fehl. Insbesondere mangelt es seither (und berechtigterweise) an einer näheren Definition des Begriffs des „wissenschaftlichen Zwecks“. Auch aus der bundesverfassungsrechtlichen Terminologie, die einen wissenschaftlichen Zweck als Unterfall des öffentlichen Zwecks ansieht und darunter alles erfasst, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist, sowie der Tatsache, dass ein solches Projekt einen wissenschaftlichen Ansatz verfolgen und von fachlich und wissenschaftlich erfahrenen Personen durchgeführt werden muss, lässt sich kein Rückschluss auf den notwendigen Mindest- oder Maximalumfang eines wissenschaftlichen Modellprojekts ziehen. Zwar existiert der Grundsatz, dass Ausnahmetatbestände eng auszulegen sind. Daraus folgen aber unter Berücksichtigung des konkret verfolgten Untersuchungsgegenstands nicht zwangsläufig Anforderungen an die Ausgestaltung eines wissenschaftlichen Modellprojekts. Für die gewünschte Weiterentwicklung des Rechts aufgrund gesellschaftlichen Wandels sowie wissenschaftlicher Erkenntnisse wäre eine enge, restriktive Auslegung des Begriffs des „wissenschaftlichen Zwecks“ sogar schadhaft. Im Ergebnis kann daher ein wissenschaftliches Modellprojekt, das sich auf das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erstreckt, nicht pauschal mit einem Verweis auf eine gebotene, enge Auslegung von Ausnahmetatbeständen abgelehnt werden, wie es aber in dem vom bayerischen Gesundheitsminister beauftragten Gutachten geschieht.

Das heißt natürlich nicht, dass die Bundesregierung den Weg eines wissenschaftlichen Modellprojekts beschreiten wird. Es gibt, wie selbst das Gutachten aufzeigt, weitere Begründungsformen, die die Bundesregierung als Grundlage für die Einführung  der kontrollierten Abgabe heranziehen kann. Dazu zählt auch die Rechtsauffassung, nach der die Einführung eines Erlaubnisregimes die europarechtlichen Hürden überwinden kann. Denn der Wortlaut des relevanten EU-Rechts richtet sich ausschließlich gegen Handlungen, die „ohne entsprechende Berechtigung“ vorgenommen werden. Durch die Einführung eines strikten Erlaubnisvorbehalts wird dieser Auffassung nach die erforderliche „Berechtigung“ geschaffen, die im Sinne des Wortlauts des einschlägigen Europarechts als weitere Form eines berechtigten Inverkehrbringens neben den bekannten völkerrechtlichen Ausnahmen (d.h. neben den Ausnahmen bei Verfolgung wissenschaftlicher oder medizinischer Zwecke) angesehen werden kann. Zudem steht es der Bundesregierung selbstverständlich offen, das Gesetz auf mehrere Begründungen zu stützen, soweit diese konsequent und nachvollziehbar die Legitimation des Gesetzes sowie die Erreichung der angestrebten Ziele tragen. „Würde man das Gesetz – wie dies bspw. im Rahmen der Verschreibungsfähigkeit von Cannabis gehandhabt wurde – an eine Begleiterhebung koppeln, insbesondere die Beteiligten am legalen Verkehr dazu verpflichten, an einer solchen mitzuwirken, ließe sich […] die Behauptung eines (auch) wissenschaftlichen Zwecks der Legalisierung vermitteln.“[2] Wie dargestellt, deuten die Ausführungen im Eckpunktepapier, insbesondere der Verweis auf die erfolgende Datenerhebung und Evaluation, auf eine derartige Begleiterhebung hin. Insofern kann man möglicherweise der Tatsache etwas Positives abgewinnen, dass selbst der bayerische Gesundheitsminister im Rahmen der Pressekonferenz zur Vorstellung des beauftragten Gutachtens mehrfach vom bevorstehenden „Experiment“ der Bundesregierung spricht.

[1] Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken, S. 12.

[2] Lichtenthäler/Oğlakcıoğlu/Sobota, „Wenn die Ampel auf Grün schaltet…“: Neuralgische Punkte einer Cannabisfreigabe, NK 2022, 228 (233 ff.).

Über die Autoren:

Zum bayerischen Gutachten über „völker- und EU-rechtliche Grenzen einer Cannabis-Legalisierung in Deutschland“

Roman Herpich und Nikolai Straimer sind Rechtsanwälte bei der Wirtschaftskanzlei Melchers mit Standorten in Heidelberg, Frankfurt am Main, Mannheim und Berlin und gehören zur Fokusgruppe “Cannabis Law” der Kanzlei. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bayreuth absolvierten sie ihre zweiten Staatsexamina in den OLG Bezirken Zweibrücken bzw. Bamberg. Die beiden Rechtsanwälte sind auf hoch regulierte Märkte spezialisiert und beraten nationale und internationale Unternehmen im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Die Schwerpunkte liegen dabei in den Bereichen Regulierung, Lizenzierung, Marketing und Compliance.

E-Mail:
r.herpich at melchers-law.com
n.straimer at melchers-law.com

Die mobile Version verlassen