Wissenschaftliche Evaluation einer neuen Cannabis-Policy? Darauf kommt es an.

by Moritz Förster

Wissenschaftler könnten im Policy-Prozess das Zünglein an der Waage sein – nämlich dann, wenn durch empirische Daten politische Entscheider:innen überzeugt werden, die bestehende Policy lösungsorientiert und funktional anzupassen. Es stellt sich die Frage: Was muss passieren, dass die Wissenschaft diese Daten auch generieren und analysieren kann? Gerade der Erfolg der geplanten deutschlandweiten Pilotprojekte steht und fällt schließlich mit der wissenschaftlichen Auswertung. Der Soziologe Bernd Werse von der Goethe Universität Frankfurt, und der Volkswirt Justus Haucap, Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, haben an einem Whitepaper “zur Evaluation der Einführung der regulierten Cannabisvergabe an Erwachsene zu Genusszwecken in Deutschland” mitgewirkt. Gemeinsam mit zehn weiteren Forschern. Hier der Link zum White Paper.

Die beiden Wissenschaftler verweisen zudem auf die Relevanz eines interdisziplinären Ansatzes, um möglichst ganzheitlich und differenziert Kausalzusammenhängen auf den Grund zu gehen (und nicht Scheinkorrelationen in die Falle zu tappen). Zudem wünschen sie sich möglichst unterschiedliche Studiendesigns in verschiedenen Regionen in Deutschland – beispielsweise unterschiedliche THC-Obergrenzen oder Preise, um herauszufinden, wie sich dies auf das Konsumverhalten auswirkt.

Darum geht es im Podcast:

  • Bei der Cannabis-Legalisierung sind die vorrangigen Ziele nicht, einen möglichst großen Markt entstehen zu lassen. Übergeordnete Ziele sind Jugendschutz und Produktqualität zu verbessern – das alles, so die Annahme von Karl Lauterbach, lässt sich nur dadurch erreichen, dass legale und regulierte Angebote den illegalen Markt zurückdrängen. Auch in dem White Paper kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass das Cannabisverbot den Konsum dieser Substanz nicht verhindern kann. Die Rede ist von “drastischen negativen Auswirkungen in physischer und psychischer als auch in sozialer und biographischer Hinsicht”. Was verbirgt sich dahinter?
  • Eine Einschätzung: Kann die Bundesregierung mit den Cannabis Clubs und den Pilotprojekten überhaupt ihre Ziele erreichen, den Jugendschutz und die Produktsicherheit für Konsumenten besser zu gewährleisten als aktuell durch den illegalen Markt?
  • Welche der beiden Säule ist denn eher geeignet, die Ziele zu erreichen: Die Cannabis Clubs oder die wissenschaftlichen Pilotprojekte?
  • Eine Forderung: Die neue Regulierung der Cannabis-Politik “wissenschaftlich interdisziplinär zu begleiten und zu evaluieren”. Gilt dies für beide Säulen, also auf die Cannabis Clubs und die Pilotprojekte?
  • Wie können valide Daten im großen Stil gesammelt werden? Wenn Cannabis-Konsument:innen Daten über ihren eigenen Konsum Preis geben müssen, dürfte dies viele abschrecken, überhaupt legal Cannabis zu erwerben. Damit wäre eine Aussage, inwieweit legale Angebote illegale Angebote zurückdrängen, hinfällig…
  • Es heißt auch, dass bereits “vor” Anlauf der neuen legalen Angebote Daten gesammelt werden müssen. Andernfalls ist es logischerweise kaum möglich, festzustellen, wie die legalen Angebote den Status Quo vor der neuen Regulierung verändert haben. Wie aufwendig wäre eine solche vorherige Datenerhebung – und wie weit würde dadurch das Anlaufen der Cannabis Clubs und der Pilotprojekte in die weite Ferne rücken?
  • Es dürfte ein schmaler Grat sein, auf dem sich die Bundesregierung bewegt. Übergeordnetes Ziel ist, herauszufinden, ob legale Angebote den illegalen Markt zurückdrängen (und dadurch auch mehr Jugendschutz gewährleisten). Andererseits muss klar sein, dass es sich nicht um eine quasi-Legalisierung durch die Hintertür handelt, um nicht mit internationalem Recht zu brechen. Wie schwierig wird es, Konsument:innen den Zugang so einfach zu gestalten, dass die Ergebnisse am Ende valide sind, die Pilotprojekte aber noch als wissenschaftliches Projekt durchgehen?
  • In Kanada hat der Konsum unter Jugendlichen allerdings nicht abgenommen, aktuell dürften wir in etwa auf dem Stand vor der Legalisierung sein. In der Theorie dürften Jugendliche durch den zurückgedrängten illegalen Markt zwar schwieriger Zugang zu Produkten haben, die Praxis zeigt ein anderes Bild. Wieso belegt die empirische Entwicklung in Kanada nicht die theoretischen Annahmen in Sachen Jugendschutz – gemessen an weniger Cannabis konsumierenden Jugendlichen?
  • In dem Paper heißt es, dass Erfahrungen von Ländern, die neue Wege jenseits der Prohibition gesucht haben, “ermutigend” seien. In Kanada hat aber auch vier Jahre nach der Legalisierung der illegale Markt noch signifikante Anteile, im stark regulierten Uruguay heißt es, dass die Produktqualität zu wünschen überlässt… In Malta nehmen die Cannabis Social Clubs keine Fahrt auf. Die Niederlande sind alles andere als sehr glücklich mit ihrer halbgaren Lösung, den tolerierten Coffee Shops, warten sehnsüchtig darauf, dass es mit den Pilotprojekten endlich losgeht. Die USA sind wiederum ein regulatorischer Flickenteppich. Von welchen “ermutigenden” Erfahrungen ist die Rede?
  • Ein Ausblick auf das Jahr 2028: Führen die empirischen Daten, die die Bundesregierung nun sammelt dazu, dass der teils emotional geführte Diskurs über Cannabis rationaler wird? Und überzeugen die Daten auch andere Länder auf EU-Ebene, die Vertragstexte anzupassen?

Hinweis: Das Gespräch wurde noch vor dem Leak des ersten Gesetzesentwurfs für die Cannabis-Clubs aufgenommmen.

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