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Stimmen aus der Cannabis-Industrie: Euphorie klingt ab, aber der beste “Plan B”?

Stimmen aus der Cannabis-Industrie: Euphorie klingt ab, aber der beste "Plan B"?

Karl Lauterbach sorgt mit seinem neuen Eckpunktepapier für Ernüchterung in der Cannabis-Industrie. Der ganz große Wurf, also der erste vollumfänglich legalisierte Cannabis-Markt in Europa, bleibt in Deutschland zumindest vorerst aus. Andererseits scheint die Kombination aus Cannabis-Clubs und regionalen Modellprojekten der vergleichsweise beste Plan B zu sein, damit eine neue Cannabis-Bewegung und auch die Industrie hierzulande Fahrt aufnehmen. Die Industrie äußert sich eher kritisch.

In einer aktuell laufenden Linkedin-Umfrage von krautinvest.de bezeichneten 62 Prozent der Teilnehmenden das nun vorgelegte Eckpunktepapier als das “zu erwartende Ergebnis”. 22 Prozent sehen als “herbe Enttäuschung”, lediglich 16 Prozent nennen es “einen Meilenstein”. Unter anderem Stephan Kramer, CEO von Heyday, bezeichnet die geplante Regulierung als “markt- und industrieunfreundlich”. Seine Befürchtung: “Durch das ausbleibende Angebot von gewerblichen Cannabisanbietern für den Gelegenheitsgenuss ist nicht auszuschließen und zu überwachen, dass deutsche Privatanbauer Cannabis auf dem Schwarzmarkt verkaufen.” Noch rigoros ist das Fazit von Melanie Dolfen, Inhaberin der Bezirksapotheken: “Die Lauterbach Eckpunkte beerdigen das Wahlversprechen Cannabislegalisierun. Damit wird Cannabis nicht legalisiert sondern privatisiert.” Sie spricht von einem “Förderprogramm für den Schwarzmarkt”. Dolfen weiter: “Transparenz, Qualität, Verbraucherschutz? Ist das alles ein Witz gewesen?”

Genau diese Fragen stehen im Zentrum der Kritik aus der Industrie: Erreicht Karl Lauterbach mit dem nun vorgelegten Eckpunktepapier seine sich selbst gesteckten Ziele – also mehr Jugendschutz und Produktqualität durch Zurückdrängen des illegalen Marktes?

Auch Boris Moshkovits von Alephsana bezeichnet das jetzige Eckpunktepapier vor diesem Hintergrund als “politische Geste”. Seines Erachtens entstehe auf diesem Wege keine nachhaltige Lieferkette. Daher drängt er darauf, bei all dem Tumult um die Legalisierung von Cannabis als Genussmittel, die Interessen der Patietn:innen nicht aus dem Auge zu verlieren: “Vielleicht sollte der Vorschlag der Opposition ernster genommen werden, der eine liberalisierte Verschreibungspraxis vorsieht und den Wegfall des Genehmigungsvorbehaltes. Dann würden mehr Patienten Zugriff auf Medizinalcannabis bekommen und müssten nicht in Clubs oder den Eigenanbau gedrängt werden.”

Säule 1: Die Cannabis Clubs

“Für mich hört sich das nicht danach an, dass es ein schwarzer Tag für den Schwarzmarkt ist, wie der liebe Minister behauptet. Da knallen heute ehr die Korken. Am Ende müssen vielleicht nicht 50.000 Dealer kontrolliert werden, dafür aber 25.000 Clubs….”, kommentiert Stefan Röhrl, Co-Founder der Hempgroup. Niklas Kouparnais, Co-Founder und CEO der Bloomwell Group, sieht es ähnlich: “Durch Cannabis Social Clubs und Eigenanbau, die in Säule eins vorgesehen sind, wird Karl Lauterbach den illegalen Markt nicht zurückdrängen. Das zeigen Beispiele wie Kalifornien, wo eine reine Entkriminalisierung sogar den illegalen Markt gefördert hat.” Und Lars Müller von Synbiotic mahnt an: “Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese Form des Anbaus den Anforderungen hinsichtlich der hohen Nachfrage und Qualität gerecht wird.”

Säule 2: Pilotprojekte

Andere Industrieteilnehmer erachten dagegen die zweite Säule als spannender, die Modellprojekte. “Es bleibt noch vieles unbeantwortet. Warten wir also auf nach der Sommerpause wenn das nächste Eckpunktepapier zur Säule 2 kommt”, kommentiert der Apotheker Sven Lobeda. Und Müller hofft, dass die “Politik vor allem im Hinblick auf die zweite Säule und die Modellregionen auf die langjährige Expertise der Wirtschaft” zurückgreift. Auch Kouparanis blickt gespannt auf das Gesetz für die zweite Säule: “Viel wird daher davon abhängen, dass der Gesetzesentwurf für die zweite Säule Modellprojekte so reguliert, dass diese Konsument:innen einen unkomplizierten und möglichst flächendeckenden Zugang ermöglichen.”

Ausgiebig widmet sich auch Finn Hänsel, CEO der Sanity Group, den Pilotprojekten: “Bei der Einführung von Pilotprojekten halten wir es für unabdingbar, dass diese flächendeckend eingeführt werden, um eine vergleichbare Datengrundlage zur Überprüfung der Auswirkungen des legalen Verkaufs unter verschiedenen Bedingungen zu schaffen. Einzelne, regionale Modellregionen, zudem mit einem Opt-in-Ansatz, schaffen einen ‘Flickenteppich’, der das erklärte oberste Ziel der Bundesregierung, den Jugend- und Gesundheitsschutz flächendeckend zu fördern und den illegalen Markt zu bekämpfen, nicht ausreichend unterstützt. Die Umsetzung von Pilotprojekten muss parallel und nicht nachgelagert zur Entkriminalisierung erfolgen, damit, insbesondere durch eine mögliche EU-Notifizierung, keine weitere, wertvolle Zeit für den Aufbau der Lieferketten verloren geht.”

Benedikt Sons, CEO von Cansativa, sieht es ähnlich: “Die angekündigten Modellprojekte können perspektivisch die Vorstufe für einen deutschlandweiten Markthochlauf darstellen, sofern mit dieser Maßnahme den Zielen der Bundesregierung Rechnung getragen werden kann. Voraussetzung hierfür ist zum einen die wissenschaftliche Begleitung des Vorhabens und zum anderen die Klärung wirtschaftlicher Fragen rund um die Produktion, Lagerung, Lieferung und Distribution von Cannabisprodukten.”

Positives

Es gibt aber auch durchaus freudige Stimmen. Etwa von Luc Richner, CEO Vigia AG: “Aus Sicht von Cannavigia empfinden wir dies als bedeutenden Schritt in die richtige Richtung für die gesamte Industrie an. Ich bin froh, dass es vorangeht und bin der Meinung, dass die Pilotprojekte gegenwärtig die einzige Form darstellen, mit der man eine Legalisierung prüfen kann. Die beiden Phasen können definitiv als nächster wichtiger Schritt nach vorne angesehen werden.” Der Autor, Forscher, Berater Sebastian Marincolo bringt die ambivalente Stimmung auf den Punkt: “Es ist eine herbe Enttäuschung, die zu erwarten war, und… es ist ein Meilenstein!”

Zur Erinnerung

Sowohl im Koalitonsvertrag im November 2021 als auch im ersten Eckpunktepapier im Herbst 2022 hatte die Ampel-Regierung noch einen vollumfänglich legalisierten Markt angestrebt. Statt eines Gesetzesentwurfs für dieses Vorhaben, präsentierte sie nun ein weiteres Eckpunktepapier, das in Säule 1 einen Gesetzesentwurf für nicht-kommerzielle Cannabis Clubs mit bis zu 500 Mitgliedern vorsieht, die für den eigenen Konsum Cannabis anbauen dürfen, in Säule 2 deutschlandweite Pilotprojekte, in denen in verschiedenen Regionen zeitlich begrenzte legale Märkte entstehen, um deren Auswirkungen auf den illegalen Markt zu evaluieren. Da der Gesetzesentwurf für die Entkriminalisierung und das Legalisieren des Eigenanbaus durch Social Clubs und zu hause einfacher ist, soll dieser noch im April vorliegen. Der Gesetzesentwurf für die Modellprojekte folgt, so Lauterbach, dann im Sommer. Hier dürfte auch der Bundesrat noch eine Rolle spielen, ebenso wie eine Notifizierung durch die EU Kommission. Von daher darf man gespannt sein, wann wir in Deutschland die ersten Modellprojekte erleben, an denen deutlich mehr Industrie-Teilnehmer partizipieren können als an den Cannabis Clubs.

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