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Lex lata und Cannabis: Welche Optionen bietet das internationale Recht?

Lex lata und Cannabis: Welche Optionen bietet das internationale Recht?

Wie kann Cannabis in Deutschland legalisiert werden, ohne gegen die das Einheitsabkommen der Vereinten Nationen zu verstoßen? Eine Frage, die momentan viele Menschen bewegt, die sich mit der Legalisierung von Cannabis als Genussmittel befassen. In dem White Paper „Verpflichtungen und Spielräume nach europäischem und internationalem Recht: ein Weg zu einer nationalen Regulierung des Cannabiskonsums für Erwachsene“ zeigt AugurAssociates verschiedene Optionen über internationale Regulierungspolitik und die möglichen Spielräume von nationalen Cannabis-Legalisierungen auf. Eine Zusammenfassung wesentlicher Argumente:

UN-Konvention 

Die UN-Single Konvention, auch als Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel bekannt, ist ein zwischenstaatliches Vertragswerk mit dem Ziel, die Verfügbarkeit einiger Drogen einzuschränken. Die meisten nationalen Rechtsvorschriften über den Konsum, Herstellung und Vertrieb von Cannabis und cannabisähnlichen Stoffen basieren heute auf dem internationalen Rechtssystem. Die Konvention von 1961 sei, so die Autoren, der einzige Vertrag, der die rechtliche Regelung für Cannabis festlege. Das Übereinkommen von 1988 ergänze es nur; das Übereinkommen von 1971 betreffe nur isolierte Moleküle.

Cannabis wird unter zwei Gesichtspunkten reguliert:

A priori unterliegen die nationalen gesetzlichen Regelungen von Cannabis als mögliches Genussmittel der zweiten Regelungsschiene. In beiden Fällen müsse die Unterzeichnerstaaten jedoch den Missbrauch (“Substanzkonsumstörung”) verhindern, der bei allen Arten von Verwendungszwecken auftreten könne: medizinisch und wissenschaftlich oder “anders als medizinisch und wissenschaftlich”.

Wohlgemerkt sind diese internationalen Verträge keine Gesetze, sondern stellen vielmehr Richtlinien dar, die von jedem Staat in innerstaatlich anwendbaren Gesetzen umgewandelt werden müssen.

Dies sei zugleich Schwierigkeit und Chance der Drogenpolitik, so die Beobachtung von AugurAssociates.

UN-Drogenkontrollsysteme in der Misere?

Die Autoren des White Papers argumentieren, dass die gegenwärtige Drogenpolitik zugleich eine Krise innerhalb der UN-Drogenkontrollsysteme sei. Eine Reihe von Facetten würde zu unterschiedlichen Spannungen innerhalb des Systems der UN führen:

Es gebe zwei Hauptansätze für die Regulierung von Cannabis und Vertragsrecht. Eine sei die Beschäftigung mit dem internationalen Rechtsrahmen (Lex lata). Eine weitere sei der Versuch, die Gesetze zu ändern, um eine bessere Regelung zu erreichen (Lex ferenda).

Gerade die Lex Lata ist im Zusammenhang mit der angekündigten Cannabis-Legalisierung in Deutschland interessant. 

Lex lata: Eine Einhaltung der geltenden Betäubungsmittelabkommen und umfassenderer internationaler Verpflichtungen

Die Reform von Verträgen sei, so AugurAssosicate, ein gefährlicher Weg, der Jahre in Anspruch nehmen könne. Es sei langfristig wahrscheinlich notwendig, neue Praktiken und Regulierungssysteme zu kodifizieren. Die meisten Länder, die sich heute für politische Reformen engagieren, befänden sich in einer merkwürdigen Lage. Ihnen müsse der Spagat gelingen zwischen neuen nationalen Regelungen mit internationalen Verpflichtungen.

Während einige Länder bestreiten würden, dass ein Verstoß gegen die Konvention vorliege (die USA), hätten andere eine “prinzipielle Nichteinhaltung” anerkannt (Kanada) oder sich auf die Überlegenheit der internationalen Menschenrechtsvorschriften gegenüber den kollidierenden Verpflichtungen im Rahmen der Betäubungsmittelabkommen berufen (Uruguay). Einige schließlich behaupten, die Einhaltung sei möglich (Malta).

U.S.: Beispiel einer Verleugnung

U.S.-Beamte hätten argumentiert, dass die Regierung nicht gegen die Bestimmungen des Abkommens verstoßen hätten, da der Anbau, der Handel und der Besitz von Cannabis in mehreren US-Bundesstaaten weiterhin strafbar sei.

Im Jahr 2014 vertrete der Botschafter William Brownfield die Ansicht, dass der bestehende Vertragsrahmen ausreichend flexibel sei, um regulierte Cannabismärkte zu ermöglichen.

Dieses Argument offenbare eine politische Zweckmäßigkeit und stelle somit im weiteren Sinn keinen Paradigmenwechsel in der Drogengesetzgebung dar. Das „Flexibilitätsargument Brownfields enthalte das Hauptziel, durch “eindeutige klare Vertragsverletzungen von Cannabis-Legalisierungsinitiativen auf staatlicher Ebene eine offene internationale Debatte über eine Vertragsreform auszulösen”.

Im Wesentlichen habe die US-Regierung behauptet, dass ihre Politik mit den Verträgen übereinstimme. Sie wolle einen “Raum für Flexibilität und Ermessensspielraum bei der Strafverfolgung” erschaffen.

Da die US-Regierung die Bestimmungen der Übereinkommen, auf die sie ihre Auslegung stützt, nicht dokumentiert hat, ist das INCB mit den rechtlichen Argumenten der USA bezüglich der Flexibilitätskapazitäten der Übereinkommen nicht einverstanden. Das INCB habe seine Einwände jedoch nicht mit der Drohung verbunden, von seiner Sanktionsbefugnis hinsichtlich der Ein- und Ausfuhr von Drogen Gebrauch zu machen.

Kanada: „prinzipielle nicht Befolgung“

Einen anderen Weg hat Kanada eingeschlagen. Hier werde eingeräumt, dass eine gesetzliche nationale Regulierung des Marktes für den Gebrauch von Cannabis durch Erwachsene so ausgelegt werden müsse, dass sie zu einer Nichteinhaltung der Konvention führe.

Dieser Weg sei ein schwieriger und komplizierter für Kanada. Das Land habe folgenden Auflagen aufweisen und erfüllen müssen:

Die Interpretation der Nichteinhaltung sei in mehreren INCB-Jahresberichten hervorgehoben. Kanada sei sich der internationalen Kontrolle und seiner Führungsrolle in dieser Frage unter den reformorientierten Ländern bewusst und habe einen Status eingenommen, der von der Global Commission on Drug Policy als “respektvolle Nichteinhaltung” beschrieben werde.

Uruguay: Vorrang der Menschenrechtsverpflichtungen

Uruguay habe bereits 2013 versucht, seine nationalen Cannabisgesetze zu ändern. Das südamerikanische Land habe argumentiert, dass seine Legalisierungspolitik voll und ganz mit den ursprünglichen Zielen übereinstimme, die in den Vorwörtern der Drogenkontrollverträge hervorgehoben würden – nämlich mit dem Schutz der Gesundheit und des Wohlergehens der Menschheit. Diese seien aber durch die Drogenkontrollverträge nicht eingetreten.

Die uruguayischen Behörden haben insbesondere argumentiert, dass die Schaffung eines regulierten Marktes für den Cannabiskonsum von Erwachsenen durch Gesundheits- und Sicherheitsbedürfnisse angetrieben werde und daher eine Frage der Menschenrechte sei. Uruguay wies jedoch auch darauf hin, dass dies zu rechtlichen Spannungen innerhalb des Vertragssystems führen könne, die mittel- bis langfristig eine Überarbeitung und Modernisierung erfordern könnten.

So erklärte Diego Cánepa, Leiter der uruguayischen Delegation, auf der CND-Sitzung 2013: “Wir brauchen heute mehr denn je die Führung und den Mut, darüber zu diskutieren, ob eine Überarbeitung und Modernisierung der in den letzten fünfzig Jahren angenommenen internationalen Instrumente erforderlich ist.“

International konforme rechtliche Regulierung?

Der Artikel 2(9) der Single Konvention von 1961, der Cannabis betrifft, das für andere als medizinische und wissenschaftliche Zwecke hergestellt und verwendet wird, formuliere zwei Bedingungen für die Einhaltung dieser Ausnahmeregelung:

Folglich könnten die Vertragsstaaten die Einhaltung des Einheitsübereinkommens in seiner jetzigen Form beanspruchen und gleichzeitig die nicht-medizinische Cannabisindustrie rechtlich regulieren, ohne dass eine Änderung oder ein Vorbehalt erforderlich wären. (Vgl. Malta)

Der Begriff “Industrie” sei nicht definiert und könne verschiedene bestehende Formen umfassen. Darunter könne auch das nicht gewinnorientierte Industriemodell wie das CSC-Modell, das im maltesischen Gesetz vorgesehen ist, begriffen werden.

Die Autoren verweisen auf wesentliche Bestimmungen für den medizinischen Markt, unter anderem für Lizenzen, Verschreibungsregelungen, Dauer der ärztlichen Verschreibung, Vorschriften für Apotheker. So enthalte das Einheitsabkommen von 1961

  1. Keine direkten und klaren Bestimmungen für den “Freizeitgebrauch” mit Ausnahme der Bestimmungen für “andere als medizinische und wissenschaftliche Zwecke”.
  2. Klare intertemporale Flexibilität für die nicht-medizinische Verwendung, die zwischen Artikel 49 und 2(9) gegliedert sind.
  3. Das Verbot sei im Text lediglich als fakultative Ausweichklausel enthalten, die von den Mitgliedstaaten in einer begrenzten Anzahl von Extremsituationen im Bereich der öffentlichen Gesundheit angewandt werden kann.

Während die Auslegungen des internationalen Cannabisrechts sehr unterschiedlich ausfallen, gebe es in der europäischen Politik bislang unterschiedliche Auslegungsansätze für den Cannabiskonsum von Erwachsenen.

Fazit der Autoren des White Papers: Eine flexiblere Auslegung des derzeitigen internationalen Systems, die abweichende nationale Cannabispolitiken sowohl zulasse als auch kontrolliere, sei der beste Weg, um die globale Gesundheit und das Wohlergehen zu schützen.

Disclaimer: Diese Zusammenfassung beruht ausschließlich auf Inhalten des White Papers. 

Die Autoren des White Papers sind: Benjamin-Alexandre Jeanroy, ein ehemaliger Berater des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), derzeit CEO von Augur Associates und Vorstandsmitglied von LEAP Europe. Aurélien Bernard, Gründer von Newsweed, dem Referenzmedium in Frankreich für legale und globale Cannabis-Nachrichten in den letzten acht Jahren. Kenzi Riboulet-Zemouli, der seit 2014 als interdisziplinärer und internationaler Drogenpolitikforscher arbeitet und NGOs, Regierungen und Verwaltungen berät.

Augur Associates selbst ist eine in Paris ansässige Beratungsagentur, die sich für eine nachhaltige und zeitgemäße Cannabis- und Hanfindustrie einsetzt. Das White Paper ist über diesen Link verfügbar.

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