Lebensmittel aus Hanfsamen schützen vor Mikronährstoffmangel

Ein Interview mit Roger Urs Bottlang, Harmonius GmbH (CH)

by Astrid Hahner

Laut der “Global Burdon of Disease” Studie der WHO zählt eine ungesunde Ernährung, noch vor Alkohol und Rauchen, heute zu den größten Risikofaktoren für chronische Erkrankungen weltweit. Die Studie identifiziert als Ernährungsfehler vor allem einen zu geringen Verzehr an Gemüse und Obst als wichtige Mikronährstoff-Lieferanten, Vollkorn, Ballaststoffen, Nüssen und Samen und mehrfach ungesättigten Fettsäuren, wie Omega-3-Fettsäuren. Dazu kommt ein zu hoher Verzehr an Fleisch, Wurstwaren, industriell verarbeiteten Nahrungsmitteln, zuckerhaltigen Getränken, Salz und Trans-Fettsäuren.

Der Schweizer Gastronom und Unternehmer Roger Urs Bottlang (Harmonius GmbH) kämpft seit Jahren darum, dass Krankheitsprävention durch gesunde Ernährung mehr Bedeutung beigemessen wird. Sein Lösungsansatz: Lebensmittel aus Hanf(samen), unter anderem Tofu, Brotbelag und Milchersatz. Wir haben ihn bei der Cannabis Medicinalis in Basel angetroffen, wo er als einziger Aussteller Lebensmittel statt Medikation in den Fokus rückte.     

Hintergrund: Mikronährstoffmangel trotz Überflussgesellschaft

Jede einzelne Zelle und jede Körperfunktion ist angewiesen auf die Zufuhr entsprechender Vitamine, Mineralien und Spurenelemente von außen, um korrekt arbeiten zu können, freie Radikale zu neutralisieren, sich zu regenerieren, Entzündungen entgegen zu wirken, die Liste ist lang. Die Idee, es komme vor allem auf den Eiweiß-, Kohlenhydrat- und Fettanteil (d.h. Makronährstoffe) in Lebensmitteln an, ist inzwischen längst widerlegt. 

Körperliche und geistige Belastungen, Stress, Genussmittel aber auch die Einnahme von Medikamenten erhöhen den Bedarf an Mikronährstoffen noch mehr, da mehr davon verbraucht werden. Intensivierte Landwirtschaft mit chemischen Düngemitteln und ein Anstieg der Umweltgifte führen dagegen zu einer Verarmung der Böden an Mikroorganismen, Mineralien und Spurenelementen, was in logischer Schlussfolgerung dazu führt, dass unsere Lebensmittel, die darauf wachsen, immer weniger der lebenswichtigen Bausteine enthalten. Lange Transportwege und Lagerung der Lebensmittel sowie industrielle Verarbeitung/Konservierung verschärfen die Situation weiter. Die Mehrheit der Menschen leidet langfristig an Mikronährstoffmangel, mit oft fatalen Folgen.

krautinvest.de: Roger, du bist als gelernter Gastronom schon seit den 90er Jahren Hanfunternehmer. Erzähl uns, wie du zu der Erkenntnis kommst, dass Hanferzeugnisse wertvoll für eine gesunde Ernährung sind.

Roger Urs Bottlang: Ich lernte schon als Kind, was es für ältere Menschen bedeutet, wenn sie mit 10 – 15 Tabletten pro Tag im Medikationsplan vom Spital zu uns kamen. Meine Eltern führten eines der ersten privaten Altersheime in der Schweiz. Ich hatte also mehrere Omis und Opis, das war klasse! Wir hatten einen eigenen Gemüsegarten, Beerensträucher, Obstbäume, Hühner und Kaninchen. Vieles, was bei uns auf den Tisch kam, stammte also aus eigener Produktion direkt vor der Haustüre. 

Ältere Menschen nehmen Nährstoffe nicht mehr so gut auf. Umso wichtiger ist eine ausgewogene Ernährung. Diese sollte Omega-3 Fettsäuren enthalten (vor allem für Herz-Kreislauf-Patient:innen), leicht verdauliche Proteine, viele Ballaststoffe für den Stuhlgang, Vitamine (vor allem B-Vitamine) und natürlich eine ausgewogene Mineralstoff Palette. Mit einer frischen und ausgewogenen Ernährung und sehr ballaststoffreich ging es den meisten Bewohner:innen schon nach wenigen Tagen viel besser und oft konnten einige der Medikamente wieder reduziert oder abgesetzt werden. Sie hatten eine bessere Verdauung und einen einfacheren Stuhlgang. Dies ist leider oft nicht unbedingt das, was die Pfleger:innen wollen, weil sie dadurch mehr Arbeit haben – lieber ist ihnen, “die Verdauung mit Medikamenten zu steuern.” Als Koch – ich habe in einem Vegan-Restaurant meine Ausbildung absolviert – habe ich später Pfleger:innen mit solchen Ansinnen aus meiner Küche geworfen – die  Bewohner:innen zu pflegen ist schließlich ihr Job und Gesundheit geht vor Bequemlichkeit. Da sollte man vielleicht eher etwas bezüglich des Personalmangels in der Pflege tun.  

Zum Hanf kam ich zunächst 1997 durch die “Duftsäckli Zyt” in der Schweiz; das heißt, ich habe zunächst in einer Grauzone operiert und mit THC-haltigem Cannabis angefangen. Damals habe ich gut hundert jugoslawischen Kriegsflüchtigen eine Möglichkeit bieten können, Fuß zu fassen, so dass sie anschließend anderweitig eine Anstellung finden konnten. Ab 2011 habe ich mich nur noch auf den Hanfsamen für die menschliche Ernährung fokussiert. Hanfsamen sind vermutlich das älteste bekannte und auch gesündeste Grundnahrungsmittel für die Menschheit. 

Hanfsamen sind sehr nährstoffreich, neben einem unvergleichbar hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren (Omega-3 zu Omega-6 im optimalen Verhältnis), was Entzündungen eindämmt und den Cholesterinspiegel positiv beeinflusst, und allen essentiellen Aminosäuren, enthalten sie viel Vitamin E, B1, B2 sowie Mineralstoffe und Spurenelemente wie Calcium, Magnesium, Eisen, Zink und Kalium und natürlich viele Ballaststoffe. Außerdem enthalten Hanfsamen noch eine Menge sekundäre Pflanzenstoffe, die bekanntlich antioxidativ wirken und so die Zellen schützen.

Mit unserem Hanf-Tofu – die Methode der Herstellung ist inzwischen von einem Forschungs- und Entwicklungslabor  patentiert – konnte ich bereits das erste Spital als Kunden gewinnen. In Altersheimen und Pflegeeinrichtungen braucht es noch sehr viel Aufklärung. Vor allem das Thema “Hanf” schreckt viele Menschen noch ab, die Produkte überhaupt zu probieren.

Heute wird viel Unfug mit CBD in Hanfsamen Produkten angeboten. Diese verletzen meist die Novel-Food-Verordnung, manchmal sogar das Betäubungsmittelgesetz. Solche Geschichten werfen ein schlechtes Licht auf Firmen, die Hanfsamen als hochwertiges Nahrungsmittel vermarkten wollen.

krautinvest.de: “Der Mensch ist, was er isst.” und den Satz des Hippokrates „Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel sein.” kennt wohl jeder. Was hast du zu diesem Thema in der Praxis beobachten können? Sind Mediziner Experten für Ernährung oder zumindest für das Thema für Krankheitsprävention und -behandlung sensibilisiert?

Roger Urs Bottlang: Tja, ich habe ja bei dem Ärztekongress in Basel meine Produktpalette ausgestellt und Häppchen dargereicht. Viele Akademiker (Ärzte, Forscher usw.) kamen zu mir an den Stand und fragten mich, was ich denn mit Nahrungsmitteln bei dem Kongress wolle. Mehr noch, sie unterstellten mir, dass ich eventuell Edibles verteile. 

Ich sagte Ihnen, dass man bei der Behandlung von Krankheiten nicht nur auf Medikamente setzen sollte; viel wichtiger wäre eine gesunde Ernährung, damit sich der Körper wieder regenerieren kann. Sie staunten allesamt über meine Antwort, stimmten aber zu. 

Nein, viele Ärzte haben leider von einer gesunden Ernährung keinen blassen Schimmer, weil das Thema ja auch in ihrer Ausbildung stiefkindlich behandelt wird. Stattdessen lernen sie jahrelang, wie man mit Medikamenten Symptome unterdrückt, die ja Warnsignale sind, dass irgendetwas im Körper in Schieflage geraten ist. Leider. Dabei ist gerade die Ernährung das Allerwichtigste, die Basis für einen gesunden Körper und sogar Geist.

krautinvest.de: Der Ökologe Joseph Poore von der britischen Oxford-Universität hat 2019 berechnet, dass ein vegan lebender Mensch durchschnittlich jedes Jahr zwei Tonnen Treibhausgase einspart, darunter 670 Kilogramm CO2. Früher haben Veganer ihren Proteinbedarf häufig mit Fleisch- und Milchersatz Produkten aus Soja gedeckt. Was ist der Vorteil von Fleisch- und Milchersatz Produkten aus Hanfsamen? Gibt es Nachteile?

Roger Urs Bottlang: Ein Nachteil ist aktuell noch der Preis. Wir ernten weniger als 1 Tonne Hanfsamen von einem Hektar Hanffeld. Auf der gleichen Fläche könnten mehrere Tonnen Soja produziert werden. 

Der Anbau von Hanf ist sogar CO2 negativ. Er bindet 5 mal mehr CO2 als ein Baum. Hanf hat aber den Vorteil, dass die ganze Pflanze verarbeitet werden kann, d.h. außer Samen zu ernten könnte man den faserigen “Abfall” noch für Textilien und Baumaterialien nutzen. Ein Haus, welches z.B. mit Hanfkalk gebaut wurde, kann atmen, so dass sich dort kein Schimmel bildet. Soja ist außerdem oft genmanipuliert und muss extrem gespritzt werden, was wiederum die Umwelt belastet und negativ auf den Kreislauf der Natur zurückwirkt. 

Hanfsamen enthalten bis zu 30 Prozent wertvolles Eiweiß, das dem körpereigenen sehr ähnlich und daher leicht verdaulich ist. Es dient in unterschiedlichsten Lebensmitteln auch als idealer Ersatz bzw. gesunde Alternative zu Fleisch oder Milch, da es alle acht essentiellen Aminosäuren enthält, sowie einen hohen Anteil an gesunden mehrfach ungesättigten Fetten, die in unserer westlichen Diät oft fehlen. Außerdem schmecken Hanfsamen herrlich nussig.

Im Gegensatz zu Soja und anderen Hülsenfrüchten enthalten Hanfsamen außerdem keine sogenannten Phyto-Östrogene – mir ist im Bodybuilding-Bereich manchmal aufgefallen, dass manche Männer, die viel Proteinshakes mit Soja zu sich nehmen, sichtbar Brüste entwickeln. Das kann mit Hanfprotein nicht passieren. 

krautinvest.de: Rückblickend auf 25 Jahre in der Branche – Was waren deine größten Erfolge, womit hattest du am meisten zu kämpfen und was erwartest du von der Zukunft?

Roger Urs Bottlang: Die letzten 25 Jahre waren hart. Ich wurde immer wieder als Idealist ohne Ziele betitelt, ein Träumer, usw. Ideen gibt es ja tonnenweise, doch die Konzerne werden nicht in viele davon investieren, zum Teil wohl, weil die Rahmenbedingungen und Regularien oft sehr kompliziert gemacht sind. Jedenfalls dafür, dass es sich um eine normale landwirtschaftliche Nutzpflanze handelt. Im Gegenteil, die Politik findet doch immer wieder neue Gründe, wieso Hanf bzw. hanfhaltige Lebensmittel nicht verkehrsfähig sind. 

Ich habe mir den Kopf ein paar Mal heftig angeschlagen, weil mein Wissen ausgesaugt wurde, und die potentiellen Partner dann hinter meinem Rücken ihr eigenes Ding damit gemacht haben. Mit mäßigem Erfolg, soweit ich weiß.

Die Zukunft braucht Investoren. Sei es in der Medizin, im Bereich Baustoffe, Textilien oder ganz einfach, um hanfhaltige, nährstoffreiche und vor allem regionale Nahrungsmittel entwickeln zu können, wie unseren Hanf Tofu, der eine echte Innovation ist: Zu 100% Hanfsamen und Wasser und frei von jeglichen Hilfs und Zusatzstoffen. Die Haltbarkeit im Kühlschrank beträgt 12 Monate und man braucht wirklich nicht viel davon, weil der Tofu dank des hohen Nährstoffgehalts sehr gut und lange sättigt.  

Über Roger Urs Bottlang:

Der gelernte Gastronom und Hotelfachmann absolvierte seine Ausbildung zum Koch im ersten biologisch-veganen Restaurant der Schweiz und kann auf eine bewegte Lebensgeschichte mit vielen Auslandsaufenthalten zurückblicken, unter anderem lebte und arbeitete er in San Francisco, USA. Seit 1997 begleitet ihn dabei stets die Hanfpflanze, die er als unvergleichliches Geschenk der Natur verehrt. Mit seiner Firma Harmonius verfolgt er die Vision, den Menschen das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung und nachhaltige Lebensweise näherzubringen. Nicht zuletzt teilt er über seinen Blog regelmäßig ausgefallene vegane Rezeptideen mit Hanftofu, Hanfdrink, und Co. 

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