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Konferenz-Resümee Canna B: “Was wir brauchen, ist eine Entdramatisierung!“

Konferenz-Resümee Canna B: “Was wir brauchen, ist eine Entdramatisierung!“

Unter dem Motto „Cannabis is our Business“ fand mit der CannaB. am 6. und 7. Dezember 2022 in Freiburg der erste Fachkongress zur Legalisierung von Cannabis in Deutschland statt. In dem von der Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe (FWTM) initiiertem neuen Format wurde anlässlich der aktuellen politisch dynamischen Lage vor allem über die von der Bundesregierung beschlossenen Eckpunkte diskutiert: 163 Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft waren vor Ort. Insgesamt 20 teilnehmende Keynote-Speaker nahmen im Rahmen von rund 20 Fachvorträgen und Podiumsdiskussionen die aktuellen Rahmenbedingungen sowie Maßnahmen kritisch unter die Lupe und gaben einen Einblick in eine mögliche Ausgestaltung der Legalisierung mit konkreten Ansätzen für die unterschiedlichen Beteiligten. Dazwischen gab es reichlich Gelegenheit, zu net(t)zwerken und die Diskussion zu den Themenblöcken in beschaulicher Atmosphäre und bei guter Verköstigung fortzusetzen.

Lisa Haag (CEO MJ Universe GmbH, Herausgeberin von krautinvest.de und Vorstandsmitglied des BvCW) führte durch das Programm.  Am ersten Kongresstag wurden die Schwerpunktthemen „Rechtliche Aspekte des Eckpunktepapiers“ und “Best Practice Süd- und Nordamerika / Schweiz / Thailand” behandelt, am zweiten Tag “Anforderungen und Herausforderungen für die Politik”, “Anbau vs. Import: Nischenthema Hanfanbau in Deutschland” und “Gesellschaftliche Aspekte” sowie “Medizinalcannabis – quo vadis”.

Fachblock 1 „Rechtliche Aspekte des Eckpunktepapiers“: Die Vorträge in Kürze

Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), eröffnete per Live-Schaltung die Vorträge. Er stellte das Eckpunktepapier der Bundesregierung vor und erläuterte den Konsultationsprozess mit fünf Hearings unter dem Motto „Cannabis, aber sicher“, bei dem alle Ministerien mit eingebunden gewesen seien, und auf Basis dessen schließlich das Eckpunktepapier erarbeitet worden sei. Deutschland sei sich der internationalen Verpflichtungen bewusst und sei zu dem Schluss gekommen, dass die Europa- und völkerrechtlichen Ziele und Abkommen wie ein bestmöglicher Gesundheits- und Jugendschutz sowie die Eindämmung krimineller Strukturen besser mit einer kontrollierten Cannabis-Freigabe statt der restriktiven Drogenpolitik der letzten Jahrzehnte erreicht werden können. Zuletzt gab es allerdings Irritationen: Das Eckpunktepapier reicht für eine Beurteilung durch die EU Kommission gar nicht aus. Die Bundesregierung arbeitet daher den Gesetzesentwurf aus – genau dieser Aufwand hätte eigentlich ohne Grünes Licht durch die Kommission vermieden werden sollen.

Rechtsanwalt Kai-Friedrich Niermann stellte Alternativen vor, sollte dieser von der Bundesregierung favorisierte Interpretationsansatz in den Mitgliedstaaten auf Widerstand stoßen – so sei eine Inter-se Modifikation der internationalen Verträge mit Handelsabkommen zwischen legalisierten Staaten denkbar. Aufgrund der internationalen Verträge müsste der Bedarf an Genusscannabis (voraussichtlich 400 Tonnen pro Jahr) sonst vollständig aus innerdeutscher Produktion gedeckt werden. Als letzte Möglichkeit bliebe, Cannabis als Genussmittel national zu entkriminalisieren und Eigenanbau sowie Social Clubs zu ermöglichen. Das eigentliche Ziel des Koalitionsvertrags wäre damit aber verfehlt. Hervorzuheben sei, dass Importe von Medizinalcannabis weiterhin erlaubt seien, diese dürfen aber nicht dem Genussmittelmarkt zur Verfügung gestellt werden. Emeritus Prof. Dr. jur Stephan Quensel warb daraufhin für eine „Ent-Drama-tisierung“ und folglich Über-Regulierung der uralten Kulturpflanze Cannabis sativa L. und diagnostizierte der Gesellschaft insgesamt eine Prohibition-induzierte „THC-Denkblockade“, welche faktisch bloß verhindere, dass das wirtschaftliche und medizinische Potenzial, nicht nur von Drogen- sondern auch Nutzhanf, ausreichend erforscht und ausgeschöpft, bzw. optimal dazu beraten werden kann. Gerade der Rechtsrahmen zu Nutzhanf- und CBD-Produkten bedürfe aus umweltpolitischer und wirtschaftlicher Sicht in Deutschland und Europa dringend einer faktenbasierten Überarbeitung, sei im Eckpunktepapier aber quasi ausgeklammert worden. Das Regelsystem für Cannabis, welches die internationale Ebene, die EU Ebene, die Bundesebene und die Länderebene beschäftigt, sei aktuell komplexer als für schwere Verbrechen wie Vergewaltigung und Mord. Und das, obwohl an Cannabis noch niemand gestorben sei.

Fachblock 2: „Best Practise Süd- und Nordamerika // Schweiz“: Die Vorträge in Kürze

Heiko Hampsink und Joachim Helms (GH Medical bzw. Greenhouse) erläuterten die niederländischen Rahmenbedingungen und das Dilemma des erlaubten Verkaufs und Konsums von Cannabis zu Genusszwecken in Coffeeshops, der allerdings ohne Legalisierung und damit fehlende Regulierung der Herstellung und des Handels stattfindet. Zu den positiven Erfahrungswerten gehöre zumindest eine auffallend niedrige Abhängigkeitsquote von harten Drogen in der niederländischen Bevölkerung; die Unternehmer berieten die thailändische Regierung und den Kongo bei ihren Gesetzesentwürfen zur Cannabis-Freigabe; im Kongo scheiterte das Projekt wegen Korruption. Dr. Lavinia Baltes informierte zu „Weed Care“, einem von mehreren Pilotprojekten zum regulierten Cannabis-Verkauf in der Schweiz. Die Forschungsfrage sei primär, ob und wie legaler Konsum das Konsumverhalten von ohnehin konsumierenden Personen verändert; sekundär werden psychische und somatische Symptome, die Zufriedenheit mit dem Angebot sowie epigenetische Auswirkungen des Konsums untersucht. Der erste Studienarm hat in den ersten sechs Monaten keine Möglichkeit, Produkte in Apotheken zu erwerben, der zweite Studienarm hat von Anfang an Zugang. In den Apotheken sollen durch Beratungsangebote risikoärmere Konsumformen wie Verdampfen angestoßen werden. Autofahren mit THC-Abbauprodukten im Blut, Besitz von mehr als zehn Gramm, Konsum in der Öffentlichkeit und Weitergabe der Produkte bleiben während der Studie, die fünf (plus zwei) Jahre andauert, untersagt. Prof. Dr. Dr. h.c. mult Hans-Jörg Albrecht, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, präsentierte die Entwicklungen in Nord- und Südamerika im Vergleich mit Europa in den letzten 20 Jahren. Er stellt einleitend fest, dass eine vollständige Legalisierung gegen internationales Recht verstoße – und doch wurde sie in Kanada, Uruguay und verschiedenen US-Bundesstaaten durchgesetzt –mit überwältigender Zustimmung in der Bevölkerung in Nordamerika. In Südamerika seien Gewaltverbrechen im Drogenhandel eher Kokain als Cannabis zuzuordnen, daher hatte die Regierung in Uruguay in einem Top-Down Beschluss die Trennung dieser Drogenmärkte favorisiert. Bezüglich Eindämmung des Schwarzmarktes verweist er auf die Fakten: Wenige Jahre nach Legalisierung beziehen in Kanada zwei Drittel ihre Cannabisprodukte aus legalen Quellen – trotz höherer Kosten und Registrierungspflicht. Auch die Konsumquoten würden durch die Legalisierung kaum verändert; sehr stark dagegen die Kosten für die Strafverfolgung: Die Kriminalisierung vieler junger Menschen und überdurchschnittlich vieler Angehörigen von Minderheiten entfalle. Luc Richner (CEO Vigia) referierte zu den Vorzügen eines staatlich kontrollierten digitalen Überwachungs- und Meldesystems (Track & Trace) für Cannabisprodukte vom Anbau bis zur Abgabe an die Konsument:innen, wie es auch im Weed Care Pilotprojekt eingesetzt wird. Dies erleichtere die Abgabe von BtM-Berichten an das BAG gemäß der UN Anforderungen. Beim Vorredner Prof. Albrecht stieß das auf wenig Zuspruch, da das Verfahren an das Sozialpunktesystem im totalitären China erinnere oder zumindest in ein solches eingespeist werden könne.

Themenblock: „Anforderungen und Herausforderungen für die Politik“:

Der Wirtschafts- und Sozialpolitische Sprecher der FDP im Landtag Baden-Württemberg Nicolai Reith erläuterte die aktuelle politische Großwetterlage auf Landesebene in Bezug auf das Eckpunktepapier. Entstigmatisierung sei klares Ziel der Legalisierung, dazu bedürfe es der Förderung des Dialogs in der Gesellschaft, sowie Klarheit bezüglich der Zuständigkeiten und der Finanzierung. Die viel zu lange Zeit unterfinanzierten Aufklärungs- und Präventionsprogramme seien beispielsweise Sache der Landkreise, die Gelder dafür müssen aber vom Bund kommen. Das Vorhaben sei ein Mammutprojekt und müsse gut durchdacht werden, um langfristigen Bestand zu erreichen, daher bat der Politiker um Geduld und Verständnis in der Bevölkerung bezüglich der Umsetzung des Koalitionsvertrags. Bezüglich des geplanten Werbeverbots unterstrich er, dass hiermit keine produktbezogene Aufklärung gemeint sei, sondern beispielsweise Cannabis-Werbung auf Fußball-Trikots (etc.).

Fachblock 3 „Medizinalcannabis – quo vadis“: Die Vorträge in Kürze

Dr. Christiane Neubaur (VCA) forderte die bundesweite Vereinheitlichung und Vereinfachung der Identitätsprüfung und kritisierte die weitverbreitete Ablehnung in der Ärzteschaft und Behörden, welche speziell Kassen-Patienten unterversorgt zurückließe – nach wie vor würden 40% der Kostenübernahme-Anträge in erster Instanz abgelehnt. Die Pläne des G-BA deutete sie als drohende weitere Rückschritte und forderte eine Novellierung des Cannabis-als-Medizin-Gesetzes, um die Verordnung zu erleichtern. Dr. Neubaur plädierte überdies dafür, bei Legalisierung des Genussmittelmarkts parallel Cannabis auch als OTC Arznei einzuordnen, um vor allem älteren Patient:innen den Gang in ein Cannabis-Fachgeschäft zu ersparen und deren Beratung durch Apothekenpersonal zu gewährleisten – Genussmittel dürften laut Apothekenbetriebsordnung auch gar nicht dort abgegeben werden. Die Apotheker Prof. Dr. Martin J. Hug und Dr. Christian Ude präsentierten anschließend die lückenhafte Evidenzlage zur Wirksamkeit von Cannabis anhand von Auswertungen aus der Cochrane-Datenbank, versäumten aber zu erwähnen, dass die Lückenhaftigkeit eine Folge nicht stattgefundener bzw. erschwerter klinischer Forschung ist und nicht etwa aussagt, dass Cannabis als eins der ältesten bekannten pflanzlichen Arzneimittel nicht wirkt, oder dass es keine ausreichende „Real World Evidence“ zu den Wirkungen und Nebenwirkungen der Therapie gibt – diese Punkte wurden im Anschluss lebhaft diskutiert.

Fachblock 4 „Anbau vs. Import: Nischenthema Hanfanbau in Deutschland“: Die Vorträge in Kürze

Philip Schetter (CEO Cantourage) ging noch einmal auf das Dilemma ein, dass die innerdeutsche Produktion von Genusscannabis unter den vorliegenden Rahmenbedingungen wohl kaum den Bedarf decken kann. Bernd Frank (CEO BAFA Neu) machte in einem brennenden Vortrag deutlich, dass Hanfanbau alles andere als Nischenthema sei, sondern enormes Potential für die deutsche Landwirtschaft sowie angrenzende Industrien freisetzen könnte: Hanfanbau sei aufgrund der Wuchseigenschaften quasi ohne Pestizide, Herbizide, Insektizide und Fungizide möglich und dabei äußerst Wasser- und Düngemittel-sparend. Hanf verbessere die Bodenqualität und sei sowohl selbstverträglich als auch ideale Zwischenfrucht zwischen der Getreide- und Mais-Ernte. Es handele sich um eine Bastfaserpflanze mit holzigem Kern („Schäben“); aus den leichten und reißfesten Fasern ließen sich Dämmstoffe, Textilien, Material für die Autoindustrie, Papier, biologisch abbaubare Plastik-Alternativen und sogar Glukose herstellen; aus den saugfähigen Schäben Pressholz, Tiereinstreu, Mulch, Wandbeton, u.v.m.. Die Samen stellen ein sehr hochwertiges Nahrungsmittel  für Mensch und Tier dar, und sogar die Blätter und Blüten könnten noch zur Herstellung von CBD-Produkten oder Futter-Silage verwendet werden – die Sorge, Nutzhanf könne missbräuchlich verwendet werden, sei an den Haaren herbeigezogen, ähnlich wie die Einstufung von CBD als Novel Food. Dr Stefan Gall und Christian Halle (Mabewo) gingen noch auf die regulatorischen und operativen Herausforderungen bei der Indoor-Cannabis-Produktion in der Schweiz ein. Dr Nils Borchard (DLG) schloss die Vortragsreihe mit dem Plädoyer, dass deutsche Landwirte sehr wohl 400 Tonnen Genusscannabis nach GACP Richtlinien herstellen könnten – wenn die Regelwerke entsprechend attraktiv gestaltet würden. Dieser würde einfach niedrigere THC-Konzentrationen erreichen als bei Indoor-Produktion. Zur optimalen Verwertung von Nutzhanf fehlten aktuell die Subventionen analog anderer Feldfrüchte; außerdem müsse in die industrielle Infrastruktur und natürlich die Erforschung des Potentials „Rohstoff Hanf“ generell investiert werden. Aktuell seien für die Weiterverarbeitung des Hanfstrohs die Transportwege zu den speziellen Fabriken z.B. zu weit (deutschlandweit gibt es nur fünf), damit unrentabel und nicht ökologisch. 10-15 Prozent der deutschen Ackerflächen könnten perspektivisch mit Hanf/Cannabis bestellt werden, denn außer dem Erntegerät seien keine Neuanschaffungen für den Durchschnitts-Landwirt nötig.

Fachblock 5 „Gesellschaftliche Aspekte“: Die Vorträge in Kürze

Georg Wurth (DHV), welcher vor gut 20 Jahren der erste Legalisierungs-Lobbyist Deutschlands war, nahm die Rolle des Advocatus diaboli ein und schätzte, dass mit 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Legalisierung in Deutschland kommen wird – mit 40-prozentiger Wahrscheinlichkeit könne sie auch jetzt noch misslingen. Dass ausgerechnet Deutschland als drittes Land der Welt auf föderaler Ebene Cannabis als Genussmittel legalisieren wolle, sei nicht weniger als ein historisches Ereignis. Wurth ermahnte angesichts vergangener Erfahrungen, dass z.B. vor 20 Jahren die Schweiz beinahe legalisiert habe und inzwischen wieder restriktiveren Kurs fahre – ähnlich die Situation in Spanien, nicht verfrüht den Druck auf Politik auf Bundes- wie auch Länderebene und in den Kommunen zu lockern. Ein Koalitionsvertrag werde nämlich nie zu 100 Prozent umgesetzt, unter den Tisch fallen meist die Themen, wo am wenigsten Gegenwind zu befürchten sei. Philipp Ferrer kommentierte in seiner Funktion als Mitglied des BvCW Präsidiums die Eckpunkte ein letztes Mal aus Sicht des deutschen Branchenverbandes der Cannabiswirtschaft. Daniel Kruse (EIHA) schloss die Vorträge mit einem Einblick in die Hanf- und Cannabis-Regulierung auf EU-Ebene. Neben den Regularien für den Nutzhanfanbau bedürfe es nachgebesserte, sachgerechte Vorgaben bezüglich CBD (in Lebensmitteln und Kosmetik), den Lebensmittel- und Futtermittelbereich generell, sowie Unbedenklichkeits-Studien mit Realitätsbezug.

Fazit

Die spannenden Vortragsblöcke wurden durch einen Sponsoren-Block der Sanity Group zu Regulierungsmodellen entlang der Wertschöpfungskette, anschließenden Fragerunden, Networking-Möglichkeiten und Podiums-Diskussionen abgerundet. Als Zuschauer:in fiel auf, dass die befürwortende Szene zur Cannabis-Legalisierung in sich tief gespalten ist: Je nach perspektivisch wirtschaftlicher Profitmöglichkeit kämpfte man leidenschaftlich für die Interessen der Lager Nutzhanf-, Genussmittel- oder Medizinalcannabis-Markt, statt gemeinsam am Fortschritt zu arbeiten, der allen gerecht wird und niemanden aus dem zukünftigen Geschäft ausklammert. Die Pläne für eine Fortsetzung der CannaB. im nächsten Jahr laufen bereits an.

Transparenzhinweis: krautinvest.de ist Medienpartner der CannaB.vor g

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