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INDICA – Interdisziplinäre Forschungsdatenbank zu Cannabis als Medizin

Indica unternimmt einen Neustart. Es handelt sich bei dem Projekt um den Versuch, ähnlich wie bei der Begleiterhebung, Real-World-Evidenz zu schaffen. Der Unterschied: Der Online Fragebogen kann sowohl von Patient:innen als auch Behandler:innen (inklusive Pflegekräften, Heilpraktiker:innen, Therapeuten) ausgefüllt werden, die Datenerhebung beschränkt sich also nicht auf Cannabis-Patient:innen mit Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Auch Erfahrungen bezüglich der Verwendung von Cannabis- und Hanf/CBD-Produkten in Selbstmedikation bzw. ohne pharmazeutische Zulassung finden im Indica Projekt Beachtung. Der Fragebogen ist nun in deutscher, englischer und niederländischer Sprache freigeschaltet. Indica war ursprünglich ein Projekt der Hochschule Merseburg und der Berliner Cannabis Hilfe e.V. Diesen beiden Ideengebern haben sich im Laufe der Arbeit an dem Projekt weitere Mitwirkende angeschlossen. Dazu gehört auch das Mutter-Unternehmen von krautinvest.de,  MJ Universe GmbH und für den niederländischen Part Rinus Beintema (Medican Campus Nederland B.V.) und Tim Freese  (Medican Campus Germany GmbH). Das Projekt lebt jedoch vom Mitwirken Vieler, die mit ihren Fallberichten gemeinsam einen wertvollen Fundus an Informationen und Wissen für alle schaffen – im besten Sinn des Konzeptes Citizen Science. Erfahrungen können unter folgender Website geteilt werden: https://www.indica-data.com

Wir haben Gundula Barsch, eine der Initiatoren des Projektes und Professorin für Soziale Arbeit. Medien. Kultur an der Hochschule Merseburg, eingeladen, als Gastautorin für krautinvest.de über Hintergründe, Ansätze und Beweggründe des Projekts zu schreiben.

INDICA - Interdisziplinäre Forschungsdatenbank zu Cannabis als Medizin

Von Prof. Dr. Gundula Barsch:

Bis heute haftet der Cannabismedizin der Makel fehlender medizinischer Evidenz an. Dies wird regelmäßig zu einem Grund, auch das längst vorliegende empirische Wissen von Betroffenen zu ignorieren – Einsichten, die vielfach durch Selbstmedikation gesammelt wurden. Das Verkennen der Bedeutung dieses empirischen Erfahrungsschatzes hat oft schwerwiegende Konsequenzen für diejenigen, die bei ihrer Suche nach Möglichkeiten für Gesundheitsvorsorge, Heilung, Bewältigung von Leiden oder therapeutischer Ergänzung von Therapien auf Cannabismedizin setzen wollen. Hier setzen wir mit dem Projekt Indica, seinen Forschungsmethoden und seiner Ausrichtung an.

Citizen Science

Die Tatsache, dass auch zum Thema „Cannabis als Medizin“ gegenwärtig vor allem über Betroffene und nicht mit ihnen geforscht wird, hat uns ermutigt, unserem Projekt einen grundsätzlich anderen forschungsstrategischen Rahmen zu geben.
Das Indica-Projekt greift in seiner Umsetzung auf den Forschungsansatz von Citizen Science zurück. Vor dem Hintergrund kritischer Einwände zu anderen wissenschaftlichen Arbeitsweisen, mit denen Daten gesammelt, statistisch ausgewertet und daraus Schlussfolgerungen abgeleitet werden, setzen wir auf den unmittelbaren Einbezug von Betroffenen in die Forschungsarbeit. (1) Bereits die zentralen Forschungsinteressen von Indica wurden und werden über Beteiligung und Mitbestimmung von Menschen formuliert, die sich Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung von Krankheits- und Leidenszuständen durch Cannabis erhoffen. Dies sichert, dass deren Perspektiven bereits in der Startphase des Forschungsvorhabens einen zentralen Stellenwert erhalten. (2) Vor diesem Hintergrund wurden und werden auch die Erhebungsinstrumente gemeinsam mit Betroffenen entwickelt, getestet und für die Datenerhebung freigegeben. Auf diese Weise sind Cannabispatienten aktiv am Forschungsprozess beteiligt. (3) Die Gruppe der Cannabispatienten ist der Hauptakteur, der mit seiner Datenspende den Aufbau der Forschungsdatenbank ermöglicht. Cannabispatienten sind es auch, die ihre Angehörigen, Behandler oder andere Betroffene motivieren, sich an der Datensammlung zu beteiligen. (4) Die Auswertung der Daten erfolgt wiederum nach Schwerpunkten und mit Fokus auf Sachverhalte und Zusammenhänge, die eine unmittelbare praktische Bedeutung für die Betroffenen haben. (5) Die Zusammenstellung der gefundenen Befunde und deren Deutung erfolgt wiederum in einem diskursiven Prozess mit den Beteiligten und mit Bezug auf deren reale Lebensbezüge. (6) Die aktive Beteiligung der Cannabispatienten schließt mit der Veröffentlichung der vorliegenden Ergebnisse und deren öffentliche Debatte bis hin zur Formulierung neuer Einsichten und Erkenntnisse ab. Mit diesen Merkmalen ist Indica einer modernen, dialog- und beteiligungsorientierten Wissenschaftskommunikation verpflichtet.

Indica und ihr Beitrag zu einer evidenzbasierten Cannabismedizin

Die evidenzbasierte Medizin ist innerhalb der Medizin eine neue Entwicklung. Sie versteht sich vor allem als eine rationale Wissenschaft ärztlichen Handelns, nach der ärztliche Kunst wissenschaftlichen Prinzipien zu folgen hat. Mit dieser Leitidee wird umfänglich verlässliches Wissen gesammelt, damit in der Praxis Mediziner und Patienten gute und passende Entscheidungen für eine Therapie treffen können. Unsere Datenbank ist eine Methode, mit der Case-Reports sowohl von Behandlern als auch von Patienten zum großen Thema „Cannabis als Medizin“ systematisch und mit digitalen Mitteln gesammelt werden. Wir haben die Erwartung, auf diese Weise innovative Ergebnisse vorlegen zu können und wollen uns in das allgemeine Bemühen einreihen, Erfahrungen mit dem therapeutischen Nutzen von Cannabis zu sammeln und aufzubereiten. In diesem Sinne schaffen wir mit der Sammlung von Case Reports medizinische Evidenz (wenn auch in einer geringen Evidenzklasse).

Mehr Durchsetzungskraft für Cannabismedizin in einer empathischen Krankenbehandlung

Natürlich wollen wir auch Beiträge zu Entscheidungsfindungen in politischen und planerischen Prozessen von Gesundheitsvor- und -fürsorge liefern und Unterstützung für Betroffene und deren Behandler in Bezug auf problemorientierte, lebensnahe Lösungen für alltagspraktische Probleme geben. Aber dies ist nur der kleineste Teil unseres Engagements.

Viel zentraler ist uns, Voraussetzungen zu schaffen, um möglichst schnell auch in Bezug auf Cannabismedizin zu einer empathischen Krankenversorgung zu kommen, die Evidenz, klinische Erfahrung und Patientenpräferenzen integriert. Dabei geht es uns nicht allein darum, einer Medizin, die pharmakologischen Wirkmitteln eine zentrale Rolle zuspricht, ein weiteres Heilmittel hinzuzufügen. Vielmehr legen wir Wert darauf, dass sich mit unserem Projekt auch die Chancen für die Entfaltung des sanativen Potenzials von Kommunikation im Rahmen einer Behandlung erweitern (vgl. Varnholt 2008, S. 43): Erst die gemeinsame Suche nach einer für den jeweiligen Patienten bestmöglichen Behandlung mit Cannabismedizin bringt wesentliche Sichtweisen des Patienten in die therapeutische Praxis ein. Sie gibt auf der einen Seite inneren Faktoren sowohl des Patienten als auch des Arztes Raum und Gewicht (u. a. Einstellungen, Erwartungen und Konditionierungen). Sie gibt auf der anderen Seite aber auch äußeren Faktoren der Behandlung, die gemeinsam zu finden ist, einen angemessenen Stellenwert z. B. die Art der Kommunikation zwischen den Beteiligten, des therapeutischen Settings, des Designs der verwendeten Mittel zur Heilung (vgl. Schröter, Grunwald 2022, S. 12ff). Auf diese Weise werden wesentliche Faktoren angesprochen, die zu Impulsen für die Selbstregulation und damit für die Selbstheilung werden können. Unser großes Ziel ist, mit Indica die Chancen einer emanzipierten und mündigen Kommunikation zu Cannabismedizin zu erweitern und so die heilende Kraft des „inneren Arztes“ tatsächlich heilwirksam und damit wirkmächtig werden zu lassen.

Fakultativ:

Der amerikanische Wissenschaftsjournalist Norman Cousin (1915-1990) berichtet von einer Begegnung mit Albert Schweizer, der als „Urwaldarzt“ berühmt geworden und 1952 mit den Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde: „Als ich Albert Schweizer fragte, wie er sich erkläre, dass überhaupt jemand nach der Behandlung durch einen afrikanischen Medizinmann hoffen könne, gesund zu werden, sagte er, ich verlangte von ihm ein Geheimnis zu enthüllen, das die Ärzte schon seit Hippokrates mit sich herumtrügen. ‚Aber ich will es Ihnen trotzdem verraten,‘ sagte er … Der Medizinmann hat aus dem gleichen Grund Erfolg wie wir auch. Alle Patienten tragen ihren eigenen Arzt in sich. Sie kommen zu uns, ohne die Wahrheit zu kennen. Wir sind dann am erfolgreichsten, wenn wir dem Arzt, der in jedem Patienten steckt, die Chance geben, in Funktion zu treten.“ (zit. Nach Schröter, Grundwald 2022, S. 13)

Literatur:

Schröter, Hartmut, Grunwald, Elisabeth (2022): Der Placebo- und der Nocebo-Effekt: Illusion, Fakten und die Realität. Wie positive oder negative Gedanken die Gesundheit und unser Leben beeinflussen. Rotona Verlag Amerang
Varnholt, Renate, Rhoda Mandy (2008): Mündige Kommunikation. Zur Soziologie des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient. RV-Verlag Ulm

Über Indica

Indica, die Interdiziplinäre Forschungsdatenbank zu Cannabis als Medizin, startet mit Schwung und überarbeiteter Webseite in das Jahr 2023. Die zentrale Idee des Projektes bleibt jedoch gleich: Wir wollen über Forschungsmethoden von Citizens Science einen Beitrag leisten, mehr medizinische Evidenz für die Anwendung von Cannabis als Heilmittel zu schaffen. Nur so kann es gelingen, dieser Heilpflanze zu dem Platz in der Medizin zu verhelfen, der ihrem großen Potenzial entspricht.

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