“Strains”: Lemoncheesecake Kalashnikova Toxic Super Jack

Doch wann ist ein Strain ein Strain?

by Astrid Hahner

Der Ausdruck “Cannabis-Genetik” ist in aller Munde, doch was verbirgt sich tatsächlich dahinter und welches Potenzial steckt in der molekularen Pflanzenzucht? Ein Einblick in die Grundlagenforschung zur Sortenvielfalt von Cannabis sativa L. sowie eine Analyse weit verbreiteter Missverständnisse. Was müssen Entscheidungsträgern und Konsumenten ohne naturwissenschaftliche Fachkenntnis verstehen, um sich korrekt über Prozess der Sortenentwicklung bzw. -Registrierung austauschen zu können. 

Phänotyp, Chemotyp und Genotyp – Grundlagenwissen und Begriffserklärungen

Wissenschaftler verwenden ein taxonomisches Klassifizierungssystem mit lateinischen Namen in kursiven Lettern, um Lebewesen wie Pflanzen hierarchisch in Gruppen wie Reich, Stamm, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung, Art und Unterart einordnen zu können. Diese Nomenklatur, d.h. Namensgebung ist weltweit einheitlich und erleichtert so die Kommunikation. Solche “Schubladen” sind natürlich immer nur theoretische Hilfsmittel bzw. Denkstützen; die Grenzen einer evolutionären Entwicklung sind in der Realität immer fließend. 

Die Gattung „Cannabis“ gehört – wie übrigens auch der Hopfen – taxonomisch übergeordnet zur Familie der Cannabaceae (Hanfgewächse). Es handelt sich um eine der wenigen zweihäusigen Pflanzengattungen, was bedeutet, dass es getrennt männliche und weibliche Exemplare gibt; zwittrige Pflanzen kommen vor, sind hier aber eher die Ausnahme als die Regel (vgl. im Gegensatz dazu den Aufbau vieler Pflanzen-Blüten mit einem weiblichen Stempel und ringsherum angeordnet vielen männlichen Pollenfäden zur Bestäubung).

Eine allgemeingültige taxonomische Klassifizierung von Arten, also weitere “Schubladen” innerhalb der Gattung Cannabis, ist umstritten; am gängigsten ist die Klassifizierung einer einzigen Art: „Cannabis sativa L.” (Das L. steht als Kürzel für Carl von Linné, den Begründer des taxonomischen Systems, und wird deshalb nicht kursiv gesetzt). Die Art kann dann noch in weitere Unterarten wie Sativa und Indica, unter Umständen zusätzlich Ruderalis, unterteilt werden; diese Unterarten oder Varianten entwickelten sich einst unabhängig voneinander in unterschiedlichen geographischen Regionen. 

Die taxonomische Klassifizierung stützt sich zum einen auf äußerlich erkennbare Merkmale (Phänotyp) der Pflanzen: Die Sativa-Architektur beispielsweise ist hochwüchsig mit relativ schmal gefingerten Blättern und Indica niedrigwüchsig mit breiteren Blattfingern. Ruderalis zeichnet sich u.a. durch Besonderheiten der Blühphase aus; durch Einkreuzen von Ruderalis entstanden die sogenannten “Autoflowering”-Sorten. 

Neben dem Phänotyp können auch die unterschiedlichen Inhalt-/Wirkstoffprofile (Chemotyp) der Pflanzen zur Einordnung herangezogen werden. Indica versteht man beispielsweise traditionell als “Drogen-Hanf” mit höherem Blütenharz-Ertrag bzw. THC-Gehalt, Sativa als “Faser-Hanf”. Besondere Beachtung findet heute in der Praxis das Terpen-Profil.

Zu Marketing-Zwecken verwendet man die Bezeichnungen oft, um den zu erwartenden psychotropen Effekt einer Sorte zu beschreiben; Sativa werden dabei energetisierende und geistig stimulierende Eigenschaften zugeschrieben, Indica eher beruhigende und schlaffördernde. Fast alle Sorten von Cannabis sativa L. sind inzwischen aber Hybride, da die Unterarten intensiv miteinander gekreuzt wurden, so dass die phänotypischen und chemotypischen Erkennungsmerkmale der “Ur-Ahnen” längst verschwimmen.

Inzwischen gibt es eine weitere elegante Methode, das “Verwandtschaftsverhältnis” von verschiedenen Pflanzen zu analysieren, und zwar anhand ihres Genotyps. Dabei werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf der Ebene der Erbsubstanz (DNA) festgestellt. 

Cannabis Genomics 

DNA ist eine lange Molekülkette im Zellkern und enthält universal nur vier verschiedene Basen (die “Buchstaben” des genetischen Codes): Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Thymin (T). Entschlüsselt man ein einziges Gen, so erhält man bereits Dutzende Din-A4 Seiten von Buchstabenreihen mit G,A,C und T in unterschiedlichen Kombinationen. 

Die Zelle nutzt die DNA quasi als Matrize, anhand derer bestimmte Grundbausteine (Aminosäuren), die frei im Zellsaft herumschwimmen, aneinandergereiht werden; durch Faltung der so entstehenden Aminosäuren-Ketten entstehen dann Proteine/Enzyme in ihrer dreidimensionalen, funktionalen Struktur. Mutationen bzw. Variationen in der DNA können dazu führen, dass die Endprodukte anders gefaltet sind und somit in ihrer Funktionalität von “der Norm” abweichen. Beispielsweise kann ein Enzym im Zellstoffwechsel einer Zelle so verändert sein, dass die Zelle statt eines Flavonoids “Typ A” vermehrt ein Flavonoid “Typ B” herstellt (fiktives Beispiel, siehe unten). 

Wichtig ist, zu begreifen: Die Genotypisierung wird erst dann praxisrelevant, wenn man die GATC Buchstabenreihen (d.h. Basen-Sequenzen / Fluoreszenzfarbstoff-Marker wie im Beitragsbild) mit phänotypischen und chemotypischen Merkmalen in Beziehung bringen kann! Dann erst sollte man davon sprechen, den “genetischen Code geknackt” zu haben.

Zur Veranschaulichung ein fiktives, stark vereinfachtes Beispiel: 

(…) TTG GGA TCA (…)  ⇔  Pflanze mit gelbgrünen Blütenpollen; enthält Flavonoid A

(…) TTT GGA TCC (…)  ⇔ Pflanze mit orangeroten Blütenpollen; enthält Flavonoid B

An dieser Stelle dämmert es den Leser:innen wahrscheinlich, dass Genomanalysen (d.h. die Analyse der Gesamtheit aller Gene) und die Zuordnung von entsprechenden Phäno- bzw. Chemotypen sehr komplex werden können und riesige Datenmengen anfallen. Neben einem gut ausgestatteten molekularbiologischen Labor zum Isolieren und Sequenzieren der DNA-Proben sind sehr leistungsstarke Computer und statistische Auswertungstools die Voraussetzung. Eine gewisse Fehleranfälligkeit in jedem einzelnen Schritt muss in der Bewertung der Ergebnisse berücksichtigt werden, von möglichen Pipettier-Fehlern über Proben-Verunreinigungen oder -Verwechslungen bis hin zu Denkfehlern in den Computer-Algorithmen, welche per se nur so gut sein können wie die Daten zu Genotyp, Phänotyp und Chemotyp, mit denen sie “gefüttert” und trainiert werden. 

Die Firma Puregene AG in der Schweiz ist meines Wissens nach das erste Unternehmen in Europa, welches sich in Zusammenarbeit mit verschiedenen akademischen Partnern an diese Herkules-Aufgabe heranwagt. Mit Erlaubnis der Schweizer Gesundheitsbehörde (BAG) wurden hier nach eigenen Angaben über 1.500 Cannabis-”Strains” (dazu später) aus aller Welt importiert, angebaut, sequenziert und analysiert. 

Daraus ergaben sich laut Unternehmen bis 2021 über 6.000 einzigartige Cannabis Genotypen aus 25 000 individuellen Pflanzen; somit wurde das Projekt zur weltweit größten Datenakquise zur Sortenbewertung und Merkmalsfindung. Im Handbuch zum Puregene Field Day 2021 heißt es: “Vieles, was in der Cannabis-Branche falsch läuft, ist auf die fehlende Regulierung von Sortenstandards und Sortenbezeichnungen zurückzuführen.” In den folgenden Abschnitten soll erläutert werden, warum das so ist.

Cannabis “Strains” – Fluch und Segen der Sortenvielfalt

Um eines vorweg zu nehmen: „Strain“ ist die umgangssprachliche Bezeichnung für eine Gruppe von Cannabispflanzen, die  (möglicherweise) aus der gleichen oder einer ähnlichen Zuchtlinie stammen. Wissenschaftlich wird der Ausdruck Strain (Stamm) im Gebiet der Mikrobiologie zur taxonomischen Gruppierung von Bakterien, Pilzen und Viren benutzt, niemals aber in der Botanik.

Die Entwicklung verschiedener Cannabis-Sorten (“Strains”) lag wegen der Prohibition lange Zeit in der Hand von “Hobby-Züchtern” und somit fernab jeglicher regulatorischen Kontrolle. Dadurch ist leider eine Situation entstanden, wo aus verschiedenen Samen und Setzlingen mit der gleichen Sortenbezeichnung auf dem Etikett nicht unbedingt Pflanzen mit den proklamierten Eigenschaften dieser Sorte heranwachsen. 

Die Zuchten sind schlichtweg nicht ausreichend über mehrere Generationen stabilisiert worden, bevor sie unter einer neuen Namensschöpfung als “neue Sorte” angepriesen werden. Mehr zum Thema Cannabis-Genetik und Sortenstabilisierung erfahren Sie zum Beispiel bei Sensiseeds:

Stellen Sie sich vor, Sie gehen zu einer Baumschule und kaufen einen Granny Smith für Ihren Garten, aber bei der ersten Apfelernte stellen Sie enttäuscht fest, dass Sie unwissentlich doch einen Boskop gepflanzt haben. Stellen Sie sich vor, Sie ziehen aus den Samen eines Cripps Pink Apfels eine neue Generation Bäume und erhalten keine Cripps Pink mehr, sondern Apfelbäume mit zum Teil süßen, zum Teil sauren, zum Teil gelbbackigen und zum Teil mehligen Früchten… So ähnlich kann Ihnen das mit unzureichend stabilisierten Cannabis-”Strains” leider durchaus passieren – und der Fehler setzt sich bei der Namensgebung weiterer Kreuzungen später entsprechend fort.

Warum das alles wichtig ist? Nun, unabhängig von möglicherweise optimalen Anbaubedingungen wird eine schlechte/ unpassende Genetik ein minderwertiges Produkt erzeugen; aus einem Haflinger wird sich schließlich auch im besten Rennstall kein Rennpferd entwickeln. Der Haflinger entfaltet seine genetischen Vorzüge wie Robustheit und Muskelkraft auf ganz anderen Gebieten, wo wiederum ein Rennpferd unbrauchbar wäre. 

So ähnlich kann man sich das auch bei der Pflanzenzucht vorstellen – manche Zuchtlinien überzeugen durch einen hohen Ertrag, andere durch besonders hohe Toleranz gegen Dürreperioden, wieder andere durch angeborene Resistenzen gegen bestimmte Schädlinge. 

Geistiges Eigentum: Wem gehört die Sorte?

Durch zielgerichtete Selektion auf bestimmte Merkmalskombinationen und deren Kreuzung können in Zukunft maßgeschneiderte, bedarfsorientierte Cannabis-Sorten entwickelt werden – und das ganz ohne gentechnische Manipulation des Erbgutes (GMO). Während für THC-haltiges Cannabis das Kriterium zur Selektion in der Vergangenheit einzig der Geruch/Geschmack bzw. das beste “High” war, wurden wichtige agronomische Eigenschaften in der Sortenentwicklung schlicht vernachlässigt. 

Viele großartige Sorten aus dem Indoor-Anbau, wo sie oft massiv gedüngt und mit Pestiziden vor Krankheiten geschützt werden, funktionieren daher unter ökologischen Bedingungen outdoor einfach nicht. Cannabis könnte fast überall umweltfreundlich ohne Lampen, Bewässerungs- und Klimaanlagen draußen auf dem Feld wachsen, aber dazu müssen erst einmal die richtigen Sorten für den biologischen Anbau im Freien und je Region entwickelt werden – so wie das bei allen anderen landwirtschaftlich genutzten Kulturpflanzen auch getan wurde und wird.

Gang und Gäbe ist, dass für (registrierte) Kulturpflanzen bestimmte Sortenprüfungsmatrizen existieren, welche für Cannabis erst noch entwickelt werden müssen. Solche Matrizen enthalten Vorgaben z.B. bezüglich des Wertes für Anbau und Nutzung, agronomische Merkmale wie Krankheitsresistenz und Unterscheidungsmerkmale, Homogenität und Beständigkeit über die Generationen, sowie Gestalt/Wuchs und die chemische Zusammensetzung einer Sorte. 

Diese Sortenprüfungsprotokolle für registrierte Sorten sollen Erzeuger und Verbraucher vor betrügerischen Möchtegern-Sorten (“Strains”?!) schützen. Aus dem gleichen Grund existieren auch Qualitätskontrollbehörden für Saatgut, wie z.B. die Internationale Vereinigung für Saatgutprüfung (ISTA). Für Blütencannabis wurden in Europa bereits vereinzelt Standards beim Naktuinbouw (Niederländischer Inspektionsdienst für den Gartenbau) etabliert. 

Um auf das vorherige Beispiel einzugehen: Wer Granny Smith kauft, erhält Granny Smith. Der Vergleich der Analysenzertifikate verschiedener Medizinalcannabis-Batches, welche ein und denselben Sortennamen tragen, jedoch aus anderen Herkunftsländern stammen, beweist: Das ist bei Cannabis (noch) nicht so. Als Zwischenlösung bietet sich laut Dr. Ruckle (CSO Puregene) aktuell an, die Authentizität einer Sorte anhand ihres genetischen Fingerabdrucks festzustellen.

Während vermehrt zu beobachten ist, dass die Industrie mit Wortmarken bestimmte Sorten für sich beanspruchen und monopolisieren will (vgl. auch den kürzlich bei krautinvest.de veröffentlichten Gastbeitrag von RA Dr. Oliver Stöckel: “Monopolisierung von Cannabis-Sortenbezeichnungen wie ‘Jack Herer’ durch Marken?”), hoffe ich, dass dieser Beitrag aufzeigt, dass für die Entwicklung und Zertifizierung einer stabilen, wirklich innovativen neuen Sorte sehr viel mehr Aufwand betrieben werden muss. Auch wenn man generell die Patentierung von Lebewesen ablehnt: Wer sich die Arbeit macht und entsprechend Zeit und Geld in eine saubere und reproduzierbare Sortenentwicklung investiert, der sollte auch die Möglichkeit haben, die Früchte seiner Arbeit entsprechend schützen zu lassen.

Die Frage nach dem Patentrecht hat mich vor einigen Wochen dazu bewogen, mich vertieft mit dem Thema auseinanderzusetzen und es wurde mir klar, dass die Cannabis-Sortenentwicklung irgendwo an der Schnittstelle zwischen Cannabisregulierung, Sortenregulierung und Patentregulierung steht und es nicht nur an klar definierten Vorgaben fehlt, sondern auch Jahrzehnte an Forschung und Entwicklung aufzuholen sind. 

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