Genehmigungsvorbehalt ade? GKV stellen sich stur

by Moritz Förster

Zum vierten Jahrestag des Cannabis-Gesetzes forderten die Akteure der Cannabis-Industrie im März vehement, die bürokratischen Hürden für das Verschreiben von Cannabis abzuschaffen, mindestens zu vereinfachen. Der Wunsch vielerseits: Der Genehmigungsvorbehalt soll weg. Was die Gesetzlichen Krankenkassen davon halten? Nicht viel, wie krautinvest.de auf Anfrage erfahren hat. Setzen die Cannabis-Lobbyisten auf Überzeugungsarbeit, haben sie bei den GKV noch einen langen wie steinige Weg vor sich.

Kurz und knapp antwortete der GKV-Spitzenverband auf sechs konkrete Fragen von krautinvest.de mit zwei verlinkten Stellungnahmen – ohne aber auf die Fragen selbst einzugehen. Wohlgemerkt stammt die erste Stellungnahm zum Gesetzesentwurf vom 19. September 2016 (also noch vor der Verabschiedung des Gesetzes “Cannabis als Medizin”), die “aktuellere” der beiden – eine Reaktion auf einen Antrag der AfD-Fraktion – datiert auf den 18. März 2019 . Seit über zwei Jahren, so der Eindruck, haben sich die Ansichten beim GKV-Spitzenverband in Sachen medizinischem Cannabis nicht geändert. Ein Umstand, der bei den allermeisten Akteuren der cannabinoidbasierten Pharma-Industrie wenig Hoffnung hervorrufen dürfte.

Kritikpunkte des GKV-Spitzenverbandes in seinen beiden über zwei bzw. über viereinhalb Jahre alten Stellungnahmen:

  • Die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Cannabisblüten zulasten der GKV wird den Anforderungen für eine arzneimittelrechtliche Zulassung nicht gerecht. Zumindest ist keine Leistungspflicht der GKV erfüllt.
  • Die einem Therapieversuch mit Cannabis zugrundeliegende Evidenz ist in den meisten vorgesehenen Anwendungsgebieten unbefriedigend.
  • Mit Cannabisarzneimitteln werden erstmals Arzneimittel als Leistung der GKV erbracht, deren therapeutischer Nutzen in vielen Anwendungsgebieten unklar bis zweifelhaft ist.
  • Die Ergebnisse der Begleiterhebung sind nicht ausreichend, um eine Leistungspflicht der GKV zu begründen.

Eine Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Cannabis zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung steht laut GKV-Spitzenverband daher im Widerspruch zu den für die allgemeine Versorgung mit Arzneimitteln geltenden Normen. Sie sei weder mit dem Solidarprinzip der GKV noch mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot vereinbar.

2019 beklagt der Spitzenverband zudem eine “steigende Belastung der gesetzlichen Krankenversicherung durch Canabisarzneimittel” aufgrund der relativ hohen Abgabepreise für Cannabisarzneimittel und
der steigenden abgegebenen Mengen.

Und was vertreten die Cannabis-Lobbyisten?

Wirft man einen Blick auf die Standpunkte der Cannabis-Industrie, wird rasch klar, wie verhärtet die Fronten sein dürften. Es prallen Welten aufeinander.

Der Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen (BPC) wünschte sich anlässlich des vierten Jahrestages des Gesetzes “Cannabis als Medizin” “noch mehr mutige Kassen, die Verordnung ohne Antragshürden ermöglichen sowie mutige Politik, die Ärzt:innen zukünftig wieder die Verordnungshohheit, Entscheidung rein nach medizinischen Gesichtspunkten überlässt”. Als Chance nennt der BPC die “Aufnahme der Cannabistherapie in den GKV-Leistungskatalog ab 2023”. Was nach Ansicht des BPC zukünftig sinnvoll sei? “Die Abschaffung des Genehmigungsvorbehalts hinsichtlich einer Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen”. Zur Erinnerung: Rund 40 Prozent der Anträge sollen aktuell abgelehnt werden.

Auch Jürgen Neumeyer, Geschäftsführer vom Branchenverband der Cannabiswirtschaft (BvCW), wünscht sich, dass Bürokratie abgebaut und die Ablehnungsquote der Krankenkassen gesenkt wird. Sebastian Schütze, Mitglied der Geschäftsführung und Director Policy beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und Leiter der Industriearbeitsgruppe Cannabis, spricht angesichts der derzeitigen Rechtslage von “großen Vorteilen bei ansonsten austherapierten Patienten”. Seine Kritik am Genehmigungsvorbehalt: Er führe zu regional sehr unterschiedlichen und insgesamt (zu) hohen Ablehnungsquoten. “Im Prinzip ist die Frage, ob ein Patient oder eine Patientin mit Cannabis behandelt werden kann, damit auch eine Frage des Wohnorts.” Schütze fordert einheitliche Maßstäbe und Vorgehensweisen und will den “Ermessensspielraum der Kassen an klarere Vorgaben koppeln”.

Was sind die gemeinsamen Nenner?

Wenig. Am ehesten dürfte der GKV-Spitzenverband durch zwei Faktoren zu überzeugen sein: Evidenz und Wirtschaftlichkeit. Fraglich ist nur, wie es zum Dialog kommen kann und ab welche Fakten die GKV überzeugen könnten. Sinkende Preise für Blüten und ein besseres Nebenwirkungsprofil als – beispielsweise harte Schmerzmittel – könnten sicherlich gute Argumente sein, so den niet- und nagelfest belegbar. Grundsätzlich dürfte die Cannabis-Industrie zum Dialog bereit sein: Schließlich schützt der Genehmigungsvorbehalt Ärzte:innen bis zu einem gewissen Grad vor Regressansprüchen – sollte er alternativlos wegfallen, darf bezweifelt werden, ob mehr Patienten:innen mit Cannabis-Medikamenten therapiert werden.

Wie wichtig ist der Standpunkt des GKV-Spitzenverbandes für die Zukunft

2019 ärgerte sich der GKV-Spitzenverband, darüber dass der Gesetzgeber eigene Vorschläge nicht aufgegriffen hat. Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass er nach der ersten Enttäuschung bereiter sein sollte, den Dialog aufzunehmen und kooperativ Lösungen zu suchen. Eigentlich.

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