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Gemeinsames Cannabis-Statement: So sieht der Policy-Prozess in der EU aus

Gemeinsames Cannabis-Statement: So sieht der Policy-Prozess in der EU aus

Deutschland, Luxemburg und Malta veröffentlichen ein gemeinsames Statement zur der, ihres Erachtens nach, gescheiterten internationalen Drogenpolitik. Das ist schön und gut, aber um europäische Verträge zu ändern,  brauchen sie weitere Mitstreiter – und dafür läuft Deutschland die Zeit davon. Die Frage nach dem Ausweg aus der Zwickmühle von nationalen Legalisierungsbestrebungen innerhalb des EU-Rechtsrahmens bleibt ungeklärt.

Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte laufe keineswegs in Richtung der einst gesetzten Ziele. Im Gegenteil. Statt zu mehr Gesundheits- und Jugendschutz beizutragen, sei der unkontrollierte Drogenkonsum angestiegen, der Konsum und die Folgen von Cannabis ließen sich aktuell nicht kontrollieren – lassen die drei Staaten gemeinsam verlauten. Zeit neue Wege zu beschreiten. In Malta und Luxemburg, bis dato die europäischen Querulanten in Sachen Cannabis, wird der Jubel groß sein, mit Deutschland ein europäisches Schwergewicht an ihrer Seite zu haben. Nicht nur das: Deutschland hat sich mit vehementen Forderungen nach einer kompletten Legalisierung der gesamten Wertschöpfungskette gleich an die Spitze der Bewegung gesetzt.

Doch bis zur Änderung europäischer Gesetzestexte ist noch ein langer Weg. Mehr als symbolischen Aufforderungscharakter hat das aktuelle Statement zunächst nicht. Auch wenn dessen Wert nach jahrzehntelanger Stigmatisierung nicht zu unterschätzen ist, bleibt das eigentliche Problem bestehen: Deutschland braucht eine kurzfristige Lösung, wie die bundesweite Legalisierung im Einklang mit dem Schengener Abkommen, Artikel 71, und dem Rahmenvertrag von 2004 funktionieren soll. Ansonsten fliegt der Bundesregierung der schöne, öffentlichkeitswirksame Plan vor dem Europäischen Gerichtshof um die Ohren und alle drei Koalitionspartner stehen wie begossene Pudel dar. Ein Scheitern der Cannabis-Legalisierung wird Wählerstimmen kosten, zu viel mediale Aufmerksamkeit hat die Bundesregierung aufgewirbelt.

Sprich, die drei Länder, Deutschland, Luxemburg und Malta, brauchen Mitstreiter. Und zwar zügig. Sollte eine Änderung wirklich erforderlich sein, muss im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zunächst die Kommission die Initiative ergreifen und Gesetzesanpassungen ausarbeiten. Dazu auffordern können sie sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat der Europäischen Union, der Ministerrat. Liegt der Entwurf einmal vor, müssen sowohl das Europäische Parlament, mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen, als auch der Rat, schlussendlich mit qualifizierter Mehrheit dem Gesetzesentwurf zustimmen. Gut möglich, dass der Gesetzestext bis zur finalen Verabschiedung (oder Ablehnung?) noch ein bisschen Ping-Pong in den EU-Gremien und ihren Vermittlungsausschüssen spielt.

Wie stimmen das Europäische Parlament und der Rat?

Das Abstimmungsverhalten im Europäischen Parlament zu prognostizieren, ist schwierig, da sich die einzelnen Vertreter einerseits Parteien, andererseits Mitgliedsstaaten zuordnen lassen. Wie werden beispielsweise Sozialdemokraten aus Frankreich stimmen, einem Land mit sehr restriktiver Cannabis-Politik? Wie werden Christdemokraten aus den Niederlanden stimmen, einem Land das seit Jahrzehnten nach neuen Wegen in der Cannabis-Regulierung sucht und dabei durchaus in die ein oder andere Sackgasse gestolpert ist? Bilden Liberale und Grüne länderübergreifend im Parlament eine pro-Cannabis-Allianz? Was ist, wenn sie in ihren Heimatländern mit Konservativen koalieren?

Im Ministerrat erschwert der Begriff “qualifiziert” die Ausgangslage: Erforderlich sind “Ja-Stimmen” von 55 % der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % der EU-Bevölkerung vertreten. Nichts gegen Malta und Luxemburg. Aber Deutschland muss nach mehr und vor allem größeren Verbündeten Ausschau halten. Frankreich ist zur restriktiv Cannabis gegenüber, selbst die in vielen Dingen als liberal geltenden skandinavischen Länder pflegen Vorbehalte gegen die Pflanze. In Osteuropa profiliert sich bislang nur Tschechien – Vertreter des Landes sollen übrigens ebenso wie niederländische an dem gemeinsamen Treffen mit deutschen, niederländischen und luxemburgischen Vertretern beigewohnt haben. In Südeuropa dürften die Hoffnungen am größten sein: Portugal hat wahrscheinlich die erfolgreichste Drogen- und Suchtpolitik eingeführt, vor allem auch weil das Land tiefer als irgendein anderes im Heroin-Schlamassel steckte. Eine Schande, dass sich nicht mehr Länder von diesem Erfolgsmodell etwas abgucken. Spanien mit Sicherheit, auch Italien könnten gewillt sein, neue Wege zu gehen. Die Niederlande ohnehin, auch wenn die aktuelle konservative Regierung in der ein oder anderen Zwickmühle mit der eigenen Wählerschaft stecken wird.

Anfang September kommen die Gesundheitsminister bei einem inoffiziellen Treffen zusammen. Dies ist die nächste Gelegenheit für Karl Lauterbach, nach weiteren Verbündeten Ausschau zu halten und für eine Zeitenwende zu werben – gegebenenfalls bereits Stimmen zu sammeln, um die Kommission zur Initiative aufzufordern. Denn, das ist das Positive am gemeinsamen Statement: Nüchtern und faktenbasiert analysiert es, wie groß die Diskrepanz zwischen Zielsetzung und eigentlicher Entwicklung bei Cannabis ist – ganz zielorientiert, pragmatisch, ohne jede Ideologie. Von daher wäre Cannabis die Gelegenheit für europäische Organe, oft gerühmt für ihre deliberative Entscheidungsfindung, zu beweisen, wie viel Kraft das rationale Argument in der EU tatsächlich genießt.

Ob das Ganze rechtzeitig genug kommt, um Zweifel des EuGH an einem deutschen Gesetzesentwurf auszuräumen, der kommendes Jahr verabschiedet werden soll, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht bleibt die naheliegende Lösung ein groß angelegtes Projekt im Namen der Wissenschaft? Und wenn dann irgendwann rückblickend am 15. Juli 2022 drei Staaten eine radikale Neuausrichtung europäischer Cannabis-Regulierung eingeläutet haben sollten, umso besser.

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