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Funktioniert die Inter-Se-Modification? Cansativas Szenarien für den Umgang mit der Single Convention

Als erster Drogenbeauftragter der Bundesregierung sprach Burkhard Blienert auf der Hanfparade. Sein Versprechen an all Anwesenden: “Die Bundesregierung wird die notwendigen Veränderungen in der Sucht- und Drogenpolitik angehen.” Mit “notwendig”, das hat Bienert inzwischen oft genug betont, ist unter anderem und gerade in diesem Kontext die Legalisierung von Cannabis als Genussmittel gemeint. “Statt Strafpolitik Gesundheitspolitik!”, verspricht Blienert. Im gleichen Atemzug wirbt der SPD-Mann um Verständnis dafür, dass es “noch etwas dauern wird”. Denn: “Niemand von uns hilft ein Gesetz, dass vom nächsten Gericht aufgehoben wird. Niemand kann wollen, dass die kontrollierte Abgabe so schnell endet wie die PKW-Maut”, warnt Blienert. Auch wenn der SPD-Mann es nicht direkt anspricht: Gemeint sind dabei die Hürden durch die Single Convention und auf EU-Ebene.

Das sind auch die Gründe dafür, dass die Jubelarien aus der Industrie unmittelbar nach der Präsentation des Koalitionsvertrages, in dem die Ampel-Parteien versprechen, Cannabis als Genussmittel zu legalisieren, etwas leiser geworden sind. Stattdessen bereiten sich die hiesigen Cannabis-Unternehmen auf Szenarien vor. Unter anderem die Sanity Group und Cansativa präsentierten in den letzten Wochen Analysen zum Genussmittelmarkt. Das Factsheet der Sanity Group thematisiert ein breites Spektrum an offenen Fragen. Auf 44 Seiten geht es vom THC-Gehalt über Jugendschutz über steuerliche Fragen bis hin zum EU-Recht und der Single Convention.

“Die Politik muss im Zuge der Legalisierung eine Regelung finden, mit der nationale Gesetze grundsätzlich nicht gegen internationales Recht verstoßen”, skizziert Cansativa in einer eigenen Analyse mit dem Titel “Möglichkeiten zum Umgang mit internationalen Abkommen bei der kontrollierten Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken in Deutschland” die Ausgangslage.

Erstaunlich kurz hält die Debatte über das EU-Recht – explizit nennen die Autoren das Schengener Abkommen und den EU Rahmenbeschluss 2004/757/JI. Es referenziere unmittelbar auf die einschlägigen UN-Übereinkommen. Die wesentliche Herausforderung, so zumindest die Schlussfolgerung der drei Autoren,  liege demnach darin, eine für alle Beteiligten annehmbare Lösung für die entsprechenden UN-Übereinkommen zu finden, weil sich dann mittelbar auch eine Lösung für die EU-Thematik ergeben werde.

Ob sich die Kommission und der Europäische Gerichtshof damit zufrieden geben wird, kann schlussendlich nur die Zukunft zeigen. Auf krautinvest.de hatte der Rechtswissenschaftler Robin Hoffmann kürzlich noch postuliert, dass für eine Legalisierung eine Änderung des EU-Rechtsrahmens unumgänglich sei. Zugegeben liegt ein vergleichbarer Präzedenzfall, dass ein EU-Staat Cannabis vollumfänglich als Genussmittel legalisiert, bis dato noch nicht vor. Zumindest geben die Antworten, die die Kommission krautinvest.de bislang zur Vereinbarkeit einer Cannabis-Legalisierung mit europäischem Recht hat zukommen lassen, keinen großen Grund zur Hoffnung.

Bleibt die Single Convention das große Fragezeichen, so skizzieren die Cansativa-Autoren Szenarien wie die partielle Nichtbeachtung, die Kündigung und der Wiedereintritt oder eine Änderung des UN-Übereinkommens ebenso wie die “inter se modification” – letzteres scheinen sie zu favorisieren: Mehrere Staaten würden in einem separaten Vertragswerk eine Ausnahmeregelung vereinbaren, sich aber zugleich ganz grundsätzlich zur Single Convention bekennen.

Die Co-Autoren Ioana Freise, Head of Regulatory & Public Affairs bei Cansativa, sowie Katanja Kurth-Grieser, Cansativas Head of Legal (und auf dem Beitragsbild zu sehen), auch Jakob Sons – Cansativa-Mitgründer und Rechtsanwalt -wirkte an dem Papier mit – erörterten uns auf schriftlichem Wege über das vorliegende Papier hinausgehend die juristische Komplexität auf dem Weg zum legalen Markt.

krautivnest.de: Warum bringt ihr euch als Unternehmen in diese Debatte ein und was habt ihr für Ziele und Erwartungen?

Funktioniert die Inter-Se-Modification? Cansativas Szenarien für den Umgang mit der Single Convention

Ioana Freise, Cansativa

Ioana Freise: In der Debatte gibt es viele Stimmen, die das internationale Recht als unüberwindbare Hürde betrachten. Dem möchten wir konstruktive Argumente entgegensetzen, denn unsere globalen Institutionen sind auch deshalb so erfolgreich, weil es immer Möglichkeiten zur Anpassung bestehender Regelungen gibt. In Deutschland ist es uns bereits gelungen den Bereich Medizinalcannabis im Einklang mit völkerrrechtlichen Verträgen zu regeln. Nun haben wir die Chance, auch für die kontrollierte Abgabe von Genusscannabis eine Vorreiterrolle in Europa einzunehmen.

Als zentrale Plattform für den Import und Vertrieb von Medizinalcannabis in Deutschland sehen wir uns als Wegbereiter der Demokratisierung des Cannabismarktes. Da wir die gesamte Lieferkette überblicken, ist uns die Komplexität der Legalisierung als politisches Vorhaben bewusst. Aus diesem Grund haben wir uns den Spielraum genauer angeschaut und konkrete Gestaltungsmöglichkeiten skizziert. Eines vorweg: Den einen Königsweg gibt es nicht. Erfolgsversprechender ist vielmehr eine Kombination aus multilateralen Lösungen und dem Schmieden internationaler Koalitionen auf Grundlage eines konstruktiven Dialogs. 

krautinvest.de: Was meint ihr konkret, wenn ihr von Spielräumen und Lösungen sprecht?

Katanja Kurth-Grieser: Häufig diskutiert werden eine partielle Nichtbeachtung der Single Convention und anderer Abkommen sowie die Möglichkeit eines Aus- und Wiedereintritts mit Vorbehalt. Der erste Weg wurde im Rahmen der kanadischen Cannabislegalisierung eingeschlagen. Der zweite Weg fand Anwendung in Bolivien, als man dort auf den regionalen Stellenwert des Kokastrauchs Rücksicht nehmen wollte. Beides sind Möglichkeiten, mit dem Konflikt zwischen nationalen Interessen und internationalem Recht umzugehen; sie können allerdings nicht als langfristige Lösung gelten. 

Unserer Ansicht nach sollte die Bundesregierung stattdessen auf bi- und multilaterale Lösungen hinarbeiten. Wir haben in unserer Erörterung diesbezüglich auf die Möglichkeit einer sogenannten „inter se modification“ verwiesen, die auf dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge basiert. Diese sieht im Wesentlichen vor, dass willige Vertragsparteien von einzelnen Bestimmungen eines Abkommens abweichen können. Voraussetzung hierfür ist, dass diese Möglichkeit der Modifikation nicht explizit ausgeschlossen wurde, andere Vertragsparteien in der Erfüllung ihrer Pflichten nicht beeinträchtigt werden und die abweichende Bestimmung nicht unvereinbar mit der Verwirklichung von Ziel und Zweck des zugrunde liegenden Vertrages ist. 

Wir glauben, dass sich hieraus Spielräume ergeben, um gemeinsam mit willigen Staaten Abkommen zu schließen, die streng zweckbezogen einen gemeinsamen Umgang mit Cannabis zu Genusswecken ermöglichen, ohne dabei nicht-teilnehmende Staaten zu beeinträchtigen. Wenn beispielsweise Länder wie Kanada oder Deutschland unter hohen Gesundheitsschutz- und Sicherheitsanforderungen ein Abkommen zum Betreiben von Handel schließen, dann ist nicht ersichtlich, weshalb dies gegen das Ziel der Single Convention verstoßen sollte. 

Umstritten ist bei der „inter se modification“ allerdings die Frage, ob wir uns überhaupt im Anwendungsbereich des Wiener Übereinkommens bewegen. Denn dies ist nur der Fall, wenn die Möglichkeit der Modifikation mehrseitiger Verträge zwischen zwei oder mehreren Parteien dem Grunde nach als kodifiziertes Gewohnheitsrecht angesehen wird. Zumindest wurde zum Auftakt des Wiener Übereinkommens geäußert, dass die Veränderung multilateraler Verträge durchaus keine ungewöhnliche Praxis zur damaligen Zeit darstellte.

krautinvest.de: Ein möglicher Austritt, ein Bruch, eine Reform und multilaterale Abkommen: Ist mit dem Aus- und Wiedereintritt oder einem Verstoß gegen das Abkommen das Problem nicht gelöst?

Katanja Kurth-Grieser: Zwar hat auch Deutschland nachvollziehbare Gründe, um in einer Übergangsphase eine Abweichung von der Single Convention zu tolerieren. Der Aus- und Wiedereintritt mit Vorbehalt dürfte jedoch allein aufgrund des politischen Zeitplans ausscheiden. Aus demselben Grund kommt auch eine kurzfristige Änderung der Single Convention nicht in Betracht.

Klar: Das langfristige Ziel besteht darin, die Single Convention auf den Stand der Zeit zu bringen: Eine saubere, rechtssichere Regelung ist schließlich ein wesentlicher Beitrag zur Vereinbarkeit mit dem Europarecht und der europäischen Rechtsprechung. Dennoch braucht es auch unabhängig vom internationalen Recht in Europa klare Regeln, etwa zu unserem gemeinsamen Binnenmarkt und zum Umgang mit Cannabistourismus. Die vor Kurzem stattgefundenen Gespräche zwischen Deutschland, Luxemburg, Malta und den Niederlanden sind in diesem Zusammenhang als starkes Signal aufzufassen. Sie zeigen, dass viele Länder in Europa aktuell ihren Umgang mit Cannabis überdenken.

krautinvest.de: Wo liegen die Herausforderungen für die Bundesregierung, wenn es darum geht, diesen Weg so einzuschlagen?

Ioana Freise: Die politische Herausforderung liegt vor allem in der Bereitschaft, im Sinne der Betroffenen und der politischen Überzeugung der Bundesregierung vorrübergehende Spannungen auszuhalten. Diese Kapazität ist keine juristische Frage, sondern hängt stark vom politischen Willen der Bundesregierung ab. Mit der kontrollierten Abgabe zu Genusszwecken wird Deutschland zum globalen Vorreiter, gewissermaßen zu einem Normenentrepreneur. 

Vor diesem Hintergrund halten wir es für sinnvoll, die Legalisierung unmittelbar mit in Deutschland angebautem Cannabis umzusetzen und in der Übergangsphase einen Verstoß gegen internationale Abkommen in Kauf zu nehmen. Das erwartete Cannabisgesetz sollte daher deutlich machen, dass die vereinbarten Regelungen den Zielen der UN-Übereinkommen entsprechen und aus nationaler Sicht für notwendig erachtet werden. Parallel dazu sind auf UN-Ebene sowie mit potenziellen Handelspartnern Gespräche aufzunehmen. Internationale Koalitionen sind die Voraussetzung dafür, um gemeinsame Reformen anzustoßen.

Mit einem solchen breit gefassten Ansatz wird die Bundesregierung als geachteter Partner nicht nur den eigenen Zielen eines besseren Jugend- und Gesundheitsschutzes gerecht, sondern stärkt gleichzeitig die internationale Zusammenarbeit und leistet einen wichtigen Beitrag zur Reform der internationalen Drogenpolitik.

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