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Familie Thomassek wehrt sich gegen Staatsanwaltschaft: “Das ist schizophren.”

Familie Thomassek wehrt sich gegen Staatsanwaltschaft: "Das ist schizophren."

Der Fall Dithmarschen Hanf: Staatsanwaltschaft beschlagnahmt Nutzhanffeld

Ende August wurde die Landwirtin Maren Thomassek aus Dithmarschen (Schleswig-Holstein) von einem Großaufgebot der Polizei überrascht. Über 25 Beamtinnen und Beamte von LKA, Kripo und Polizei durchsuchten Privaträume ihres Wohnhauses, eine Produktionsstätte des vom älteren Sohn geführten Kleinunternehmens Dithmarschen Hanf, sowie gepachtete Ländereien, auf der Suche nach dem, was die Thomasseks bereits seit 2019 staatlich genehmigt anbauen: Nutzhanf mit einem THC Gehalt von weniger als 0,2%.

Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hatte die Beschlagnahme nicht nur sämtlicher Nutzhanfprodukte, sondern (deutschlandweit bislang einzigartig) sogar der erntereifen Hanffelder mit einer Anbaufläche von rund 3,7 Hektar angeordnet. Besonders prekär: Die behördliche Erntefreigabe vom Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) lag bereits vor; dieses Jahr sollten keine Blüten, sondern Hanfsamen geerntet werden. Kann die Sache nicht rechtzeitig geklärt werden, um die diesjährige Ernte noch durchzuführen, wäre das ein immenser wirtschaftlicher Schaden für die Landwirtin – und  möglicherweise reine Schikane seitens der Staatsanwaltschaft. 

 

Rufschädigung ist immer auch geschäftsschädigend

Familie Thomassek wird “unerlaubtes gemeinschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge” vorgeworfen, weil sie den Nutzhanf (selbstverständlich registriertes EU Saatgut) nicht nur landwirtschaftlich produzieren, sondern daraus auch Tee und Hanfsamen über die eigene Homepage und sechs regionale Verkaufsstellen an den Endverbraucher vertreiben. Woran denken ahnungslose Kunden, Nachbarn und Geschäftspartner, wenn sie diese Begründung für ein Ermittlungsverfahren gegen Nutzhanf-Bauern lesen, “unerlaubtes gemeinschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge”? Man assoziiert Mafia, Rauschmittel, Dealer und Schmuggelei. Das Vertrauen in die Thomasseks bzw. deren Produkte dürfte Schaden nehmen und Rufschädigung ist immer auch geschäftsschädigend. Der Fall erinnert stark an die Vorwürfe gegen das hessische Start-Up Green Pioneers; krautinvest.de berichtete. Auch der Großkonzern LIDL musste sich kürzlich vor Gericht wegen angeblichem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz verteidigen.

 

BtM oder nicht BtM, das ist hier die Frage

Was macht ein Nutzhanf-Produkt mit weniger als 0,2% THC vor dem Gesetz manchmal trotzdem zu einem Betäubungsmittel? Antwort: Allein die theoretische Annahme, dass die Endverbraucher:innen durch entsprechende Weiterverarbeitung bzw. Aufkonzentrierung größerer Mengen des erworbenen Produkts genug THC für eine Rauschwirkung zusammenbekommen könnten. Zudem sei im vorliegenden Fall angeblich auch der Verkauf von karamellisierten Hanfsamen als Lebensmittel strafbar – Wie die Staatsanwaltschaft darauf kommt, erschließt sich der Redaktion nicht, denn es gibt für Lebensmittel aus Hanfsamen inzwischen europaweit geltende Regularien.

Der Branchenverband Cannabiswirtschaft e.V. (BvCW), bei dem auch die Thomasseks mit dem Unternehmen Dithmarschen Hanf Mitglied sind, fasst in der Publikation ELEMENTE 21  zusammen, warum es praktisch ausgeschlossen ist, dass Nutzhanf zu Rauschzwecken missbraucht wird:

  1.  Um ein ähnliches Rauscherlebnis wie bei einer Marihuana-Zigarette zu haben, müssten 23 Nutzhanf-Zigaretten innerhalb von 60 Minuten geraucht werden.
  2. Zur Herstellung eines THC-Extraktes wäre die benötigte Mindestmenge an Nutzhanf ca. 68-fach höher als die des illegalen Marihuanas.
  3. Die aufwändige Weiterverarbeitung von Nutzhanf zur Gewinnung von THC ist zeit- und kostenintensiv, wobei das unterstellte Endergebnis (eine Rauschwirkung) nicht mit Gewissheit erreicht werden kann. In diesem Sinne ist die psychoaktive Wirksamkeit von Nutzhanf vergleichbar mit der von sogenanntem “alkoholfreiem” Bier, welches bis zu 0,49 % Alkohol enthalten darf.

Der BvCW kommt also zu dem Ergebnis, dass “selbst wenn ein Missbrauch von Nutzhanf zu Rauschzwecken in der Theorie nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, dieser unwirtschaftlich, unpraktikabel und in der Praxis als realitätsfremd einzustufen ist.” In anderen Worten: Es ist einfacher, zeitsparender und preiswerter, sein missbräuchliches Rauscherlebnis mit potentem THC-haltigen Cannabis, wie man es auf dem Schwarzmarkt an jeder Ecke bekommt, zu erzielen. Minderjährige besorgen sich schließlich auch nicht Hefe und Obst, um illegal an Alkohol zu kommen,  nur weil es theoretisch möglich ist, sondern bedienen sich am elterlichen Schnapsschränkchen.

Zumindest das Damokles-Schwert der EU Novel-Food Verordnung scheint für Hanftee inzwischen aus dem Wege geräumt zu sein – Das oberste Verwaltungsgericht Polens entschied in einem bahnbrechenden Urteil Anfang 2022, dass unverarbeitete Produkte aus den Blüten und Blättern der Hanfpflanze rechtmäßig als Lebensmittel bezeichnet werden können.  Diese Auslegung muss innerhalb aller EU-Mitgliedsstaaten gleichermaßen gelten.

 

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen? 

Während im Fall Dithmarschen die Staatsanwaltschaft (AZ: 315 Js 4462/22) und das Amtsgericht (AZ: 40 Gs 1877/22) Itzehoe einen bundesweit einzigartigen Präzedenzfall durch Beschlagnahme von behördlich angemeldeten Nutzhanffeldern schaffen und die gesetzlichen Vorschriften päpstlicher als der Papst auslegen, hat die Staatsanwaltschaft Heilbronn im Fall Lidl (AZ: 62 Js 30853/21) zeitgleich anders entschieden: Die Richter sahen das Potenzial der missbräuchlichen Verwendung der verkauften hanfhaltigen Produkte ähnlich realitätsfern wie der BvCW. so dass das Verfahren mangels berechtigtem Strafbarkeitsvorwurf eingestellt wurde. 

“Wir begrüßen die Entscheidung im Fall Lidl sehr, aber es muss gleiches Recht für alle gelten. In der Branche wächst der Eindruck, dass kleine und mittelständische Unternehmen durch Beschlagnahmen und langwierige Verfahren bis zur Insolvenz schikaniert werden, während man die Großen laufen lässt” so Marijn Roersch van der Hoogte, Vize-Präsident des BvCW. Der BvCW wird sein Vereinsmitglied Dithmarschen Hanf unterstützen und sich an die zuständigen Ministerien in Schleswig-Holstein und auf Bundesebene wenden. Der Rechtsanwalt der Familie, Dr. Ferdinand Weis, hat ebenfalls bereits angekündigt, Rechtsmittel einzulegen. 

 

Mit Maren Thomassek im Gespräch

Wir haben Maren Thomassek für ein exklusives Interview gewinnen können, um die Ereignisse noch einmal zu rekapitulieren und über neueste Entwicklungen in dem Fall berichten zu können:

krautinvest.de: Können Sie den wirtschaftlichen Schaden schon beziffern? Gefährdet die aktuelle Situation Ihre Existenzgrundlage?

Maren Thomassek: Der Schaden bei Ernteausfall beläuft sich auf rund 5.000 € für mich, wenn man die Pachtkosten und Ausgaben für das Saatgut mitberücksichtigt. Nicht einberechnet sind da all die Arbeitsstunden, die ich umsonst auf dem Feld geleistet hätte. Der Wert der fertigen Produkte, die im Betrieb meines Sohnes geplündert, Verzeihung, beschlagnahmt worden sind,  liegt bei rund 10.000 €. Sowohl mein landwirtschaftlicher Betrieb als auch der Betrieb meines Sohnes, Dithmarschen Hanf, sind Klein(st)unternehmen. Ich gehe in Teilzeit noch einer angestellten Berufstätigkeit nach, um den Hof nach meinen Vorstellungen bewirtschaften zu können. Ich will es so ausdrücken: Es ist grenzwertig, wir stehen noch nicht vor dem Aus. Aber wir können noch gar nicht abschätzen, was noch an Kosten auf uns zukommt, z.B. Anwalts- und Prozesskosten – ich habe nicht einmal eine Rechtsschutzversicherung, weil ich sowas noch nie gebraucht habe.  Mal ganz abgesehen davon möchte ich mir gar nicht ausrechnen, wieviel Steuergelder hier verschwendet wurden. Die hatten ja sogar eine Aufklärungsdrohne im Einsatz und einer der Polizisten erzählte mir, dass wir schon seit 2020 observiert werden, inklusive der sechs Bauernläden, die unsere Produkte verkaufen. Aus Sorge, wir könnten Beweismittel vernichten, stehen wir demnach auch in Zukunft 24/7 unter Beobachtung.  Wie ich ein Hanffeld von 3,7 ha verschwinden lassen könnte, hat mir aber niemand erklärt. Ich habe ehrlich gesagt auch nicht verstanden, wie die überhaupt darauf kommen, dass irgend etwas an unserem Geschäft krumm sein könnte. Denkt man mal logisch nach, dann macht es keinen Sinn, Drogenhanf zwischen Nutzhanf zu verstecken – zumal wir Samen ernten. Zum einen kann der Zoll jederzeit unangekündigt Stichproben nehmen, zum anderen ist es insgesamt unlogisch: Stellen Sie sich hochpotente Drogenhanf-Pflanzen vor, die inmitten von Nutzhanf-Pollen stehen – Die Blütenernte wäre im Eimer und damit auch für den Schwarzmarkt uninteressant. 

krautinvest.de: Wie fühlt man sich, wenn man als Landwirtin wie ein Schwerverbrecher behandelt wird und Vater Staat sogar in die Privaträume eindringt?

Maren Thomassek: Fürchterlich fühlt man sich natürlich, es ist wie ein Albtraum und man weiß gar nicht, wie einem geschieht. Man kann es nicht glauben und denkt, man müsste doch jeden  Moment aufwachen oder dass irgendwer zugibt, dass alles ein schlechter Scherz war. Schock, Schnappatmung, Adrenalin, Zukunftsängste, Enttäuschung. Bei mir kam der Zusammenbruch gleich am Tag der Razzia, bei meinem Sohn ein paar Tage versetzt. Wir hatten uns redliche Mühe gegeben, unser Hanfgeschäft so transparent wie möglich aufzubauen – wir sind sogar anfangs proaktiv zur örtlichen Polizei gegangen und haben ihnen erklärt, was wir anbauen wollen. Aber wir erhielten auch unglaublich viel Zuspruch von Nachbarn, Freunden, Geschäftspartnern und Leidensgenossen,  die ähnliches durchgemacht haben. Die Unterstützung hilft dabei, stark zu bleiben und positiv nach vorne zu schauen.

krautinvest.de: Und wie geht es jetzt konkret weiter?

Maren Thomassek: Unser Anwalt hat zunächst einmal eine 17-seitige Eilbeschwerde eingelegt, die es argumentativ in sich hat. Er hat uns aber schon darauf vorbereitet, dass es Monate dauern kann, bis ihm vollständige Akteneinsicht gewährt wird. Unsere Partner-Verkaufsstellen unterstützen uns jedenfalls vollumfänglich und behalten die Produkte im Sortiment. Und auch ich mache weiter, denn ein Beschäftigungsverbot wurde nicht ausgesprochen. Natürlich könnte man es mir so auslegen, dass ich nun sogar mutwillig eine Straftat fortsetze, aber ich gehe ganz fest davon aus, dass die Behörden erkennen werden, dass ich nie etwas Strafbares getan habe. Die Beschlagnahme meiner Felder gilt laut Aussage der Polizei solange, bis sie jemand freigibt. Wenn das bedeutet, dass ich jahrelang Pacht zahlen muss, ohne dass ich das Land bewirtschaften darf, werde ich mich definitiv wehren.

krautinvest.de: Hatten Sie in der Vergangenheit schon ähnlichen Kontakt mit Behörden oder kam die Razzia völlig überraschend?

Maren Thomassek: Wir haben 2021 aus eigener Motivation heraus Proben unserer Tees von der Lebensmittelkontrollbehörde analysieren lassen, weil wir Hanf und Weißdorn als Tee-Mischung anbieten wollten. Eine Mitarbeiterin der Behörde schien dem Thema Hanf skeptisch gegenüber zu stehen und so erhielten wir Ende Januar 2021 eine schriftliche Aufforderung zur Stellungnahme, bzgl. Novel Food Verordnung und BtMG. Diese Stellungnahme haben wir auch geliefert. Da wir anschließend auch nach Rückfrage bei der Lebensmittelkontrollbehörde keine Antwort mehr erhielten dachten wir, das Thema habe sich erledigt. Bis vor ein paar Tagen eben. Ich bin enttäuscht, dass keiner mit uns geredet hat. Kriminalisieren statt kommunizieren – unglaublich!

krautinvest.de: Wie schätzen Sie und Ihr Anwalt Ihre Chancen ein, dass – ähnlich wie im Fall LIDL – die Klage einfach fallen gelassen wird? Sehen Sie die Situation auch als Chance, die Rechte der Nutzhanf-Branche bundesweit zu harmonisieren und stärken bzw. die Politik auf Defizite aufmerksam zu machen?

Maren Thomassek: Die LIDL Entscheidung hilft schonmal, aber wie sich das in unserem Fall entwickeln wird, steht in den Sternen. Es kann einfach nicht angehen, dass aufgrund der undurchsichtigen Gesetzeslage Kleinunternehmer wie wir immer wieder an den Rand des Ruins getrieben werden. Auch, wenn ich einigermaßen hoffnungsvoll nach vorne blicke, bleibt die Verunsicherung und das belastet einfach. Es ärgert mich, dass Bundespolitiker wie Cem Özdemir (Die Grünen) vom Potenzial des Nutzhanfs für den Wirtschaftsstandort Deutschland reden, Aktiengesellschaften sogar Drogenhanfplantagen aus dem Boden stampfen, während wir Probleme damit haben, rauschfreien Hanftee und Hanfsamen aus eigener Produktion in der Region anzubieten. Das scheint schizophren.

krautinvest.de: Da stimme ich Ihnen zu – Der Themenkomplex Schizophrenie passt lustigerweise sogar zu der Erkenntnis, dass man als unschuldige Person in Deutschland rund um die Uhr observiert werden kann, wenn man sich beruflich mit Hanf beschäftigt. Wer da keine “paranoiden Schübe” bekommt hin und wieder…. Na, lassen wir das. Werden Sie eigentlich Schadensersatz / Schmerzensgeld fordern?

Maren Thomassek: Sollte es zum Prozess kommen und wir diesen gewinnen, dann ist das ein klares Ja. Schadensersatz allein schon aus Prinzip. 

 

Die gute Nachricht

Wenige Sekunden, nachdem wir das Telefonat beendet hatten, meldete sich die Polizei bei Frau Thomassek und überbrachte die freudige Botschaft, dass sie unter polizeilicher Aufsicht die beschlagnahmten Hanffelder zunächst abernten darf.

 

 

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