Eckpunkte 2.0 – die abgesagte Cannabis-Legalisierung!

by Gastautor

Ein Gastbeitrag von Kai-Friedrich Niermann, Rechtsanwalt bei KFN+ Law Office

Nach langem Warten hat die Bundesregierung nunmehr ihre nationale Cannabis-Strategie für die nächsten Jahre vorgestellt. Im Ergebnis eine herbe Enttäuschung, angesichts des im Koalitionsvertrages im November 2021 vereinbarten eigentlichen Zieles, der Abgabe von Cannabis an Erwachsene in lizensierten Geschäften. Mit dem „Cannabis Club“ und Modellprojekt Plan, der sog. „CARe“-Lösung, ist die richtige Legalisierung und der angekündigte Paradigmenwechsel auf Jahre hinausgeschoben, wenn nicht sogar ganz abgesagt. Das Vorgehen der Bundesregierung wird auch viele EU-Partnerländer enttäuschen, die auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Adressierung des einschlägigen EU-Rechts gehofft haben. Deutschland hat sich mit dieser Entscheidung von einer möglichen Vorreiterrolle in der EU verabschiedet.

In vielerlei Hinsicht müssen die vorgelegten Eckpunkte nachgebessert werden, um überhaupt eine Verbesserung zum jetzigen Status Quo zu erreichen. Im Sinne einer deutlichen Deregulierung mit dem Ziel, Polizei und Justiz zu entlasten, sind die vorgeschlagenen Regelungen zu kompliziert und verschieben den Kontrolldruck lediglich, statt ihn tatsächlich abzubauen. Im Sinne des gewünschten Paradigmenwechsels sollte Cannabis als Genussmittel verstanden werden, dass gewisser Regulierungen bedarf, und nicht weiterhin als „Betäubungsmittel“ angesehen werden. Wir müssen uns von den Jahrzehnte altem Stigma lösen, dass Cannabis eine gefährliche Droge mit gesundheitsgefährdenden Missbrauchspotenzial ist, sondern einen entspannten, gesellschaftlichen Umgang hiermit einüben, ohne die Gefahren zu verharmlosen und die Prävention zu vernachlässigen. Wir müssen anerkennen, dass Cannabis eben nicht nur eine gesundheitspolitische Frage ist, sondern auch eine von Menschenrechten und einer gerechteren Gesellschaft.

Anderenfalls werden wir den Erfolg dieser gesellschaftlichen Reform gefährden, und weiterhin Frustrationen bei Konsumenten und Strafverfolgern in Kauf nehmen.

Cannabis „Social“ Clubs – die drohende Überregulierung

Zum einen ist die erlaubte Besitzmenge von 25 g deutlich zu gering. Ein sachlich gerechtfertigter Grund für diese Grenze ist nicht ersichtlich, während auf der anderen Seite für die Polizei eine Möglichkeit verbleibt, weiterhin Kontrollaktivitäten zu entfalten. Hier sollte eine deutliche Erhöhung erfolgen, zum Beispiel auf 50 g, um jeglichen Anreiz zur Kontrolle zu nehmen.

Ebenso ist das Verbot des Vor-Ort-Konsums in Cannabis Clubs sowie der eingeschränkte Konsum im öffentlichen Raum nicht nachzuvollziehen. Ein sachlicher Grund hierfür ist ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere in Clubs, die sich eigens für den Zweck des Anbaus von Cannabis gegründet haben, sollte der gemeinsame Konsum in dem geschützten Sozialraum des Vereins, abseits der Öffentlichkeit, möglich sein. Oder soll der gemeinsame Konsum von Cannabis generell ausgeschlossen werden? Dürfen sich Mitglieder dann gar nicht mehr treffen, um gemeinsam zu konsumieren?

Wie man rechtssicher den Ausschluss des Konsums in der Öffentlichkeit definieren will, so dass ein entsprechendes Verbot von den Ordnungsbehörden auch praktikabel umgesetzt werden kann, stelle ich ebenso in Frage. Im Zweifel wird dadurch lediglich wieder ein erhöhter Kontrolldruck ausgelöst, der in der Konsequenz sogar die völlige Verdammung von Cannabis aus dem öffentlichen Raum bewirken könnte.

Den gemeinschaftlichen, nicht gewinnorientierten „Cannabis Clubs“ soll vorerst die alleinige Bürde der im besten Falle sogar klimaneutralen Versorgung der Konsumenten obliegen, obwohl sie nur ein Baustein in der gesamten Versorgungskette sein können. Für die Cannabis Clubs werden bürokratische Hürden aufgebaut, die äußerst kritisch zu sehen sind und die womöglich viele Projekte davon abhalten werden, eine entsprechende Gründung vorzunehmen.

So müssen zahlreiche Berichts- und Dokumentationspflichten eingehalten werden. Die Höchstabgabemenge von 50g bzw. 30g für unter 21-Jährige pro Monat an die Mitglieder muss kontrolliert werden, und damit in zwei verschiedenen Mitgliedergruppen, mit wohlmöglich einer THC-Obergrenze für Gruppe der unter 21-Jährigen. Der Kontrolle und Verfolgung von etwaigen Verfehlungen der Cannabis Clubs wären hier Tür und Tor geöffnet.

Gesundheitspolitischer Alarmismus

Bei diesen vorgeschlagenen Regelungen handelt es sich um gesundheitspolitischen Alarmismus, der nicht erforderlich ist und sich am Ende kontraproduktiv auf das gesamte Vorhaben auswirken wird. Mitglieder, die mehr als 50g pro Monat Cannabis konsumieren möchten, werden die Ausnahme sein und in der Regel wissen, was sie tun, ohne sich selbst zu gefährden. Auf der anderen Seite nimmt man bewusst eine Überregulierung in Kauf. Die Gefahr besteht, dass nur wenige Vereine und deren Leitungen diese bürokratischen Hürden in Kauf nehmen werden.

Eine Anwendung von Strafvorschriften über den Besitz von 25 g in der Öffentlichkeit hinaus ist strikt abzulehnen. Eine Überschreitung sollte allenfalls als Ordnungswidrigkeit gelten, bei dem für die Polizei das Opportunitätsprinzip gilt. Ausschließlich nichtlizenzierter Handel und/oder die Abgabe an Kinder und Jugendliche sollten weiter strafrechtlich bewertet werden. Ebenso sollte es möglich sein, Cannabis unentgeltlich an andere abgeben zu können.

Cannabis raus aus dem BtMG?

Wie der drogenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Heidenblut, am 13.4.2023 auf Instagram mitteilte, soll für die erste Säule der Entkriminalisierung Cannabis im BtMG verbleiben. In der Konsequenz würde das bedeuten, dass der gewünschte Paradigmenwechsel ausbleibt und eine stigmatisierende Perspektive für Cannabis als Betäubungsmittel verbleibt.

Die erfolgte Erhöhung des Grenzwertes von 0,2 auf 0,3% THC soll nach Aussage von Bundesminister Cem Özdemir im Juli im Bundestag beschlossen werden. Zuvor hat sein Ministerium bei der Vorstellung der Gesetzesinitiative aber darauf hingewiesen, dass ein Missbrauch zu Rauschzwecken bei Nutzhanf weiterhin ausgeschlossen sein muss.

Die Empfehlungen des 54. Sachverständigenausschusses beim BfArM, der die Bundesregierung zu § 1 BtMG bei den Änderungen der Anlagen des Gesetzes berät, sollen daher anscheinend nicht umgesetzt werden. Diese Vorschläge aus dem Jahr 2021 sehen vor, dass Tatbestandsmerkmal „Missbrauch zu Rauschzwecken“ zu streichen (betrifft insbesondere CBD-Blüten und Hanfblättertee) und Zubereitungen aus Cannabis bis zu 0,2% THC (betrifft insbesondere CBD-Öle) vom Anwendungsbereich der Anlage 1 auszunehmen. Die Experten des Sachverständigenausschusses sehen aus toxikologischer Sicht keine Notwendigkeit, derart strenge Regelungen beim Nutzhanf beizubehalten. Derzeit sind bundesweit hunderte Strafverfahren anhängig, die auf Grundlage der bestehenden Regelungen eingeleitet wurden, und den Handel mit den genannten Hanfprodukten betreffen.

Nutzhanf und die kalte Logik des Rechts

Viele junge und innovative Unternehmer müssen sich gerade vor den Gerichten für den Handel mit diesen Produkten vor den Gerichten verantworten, mit Androhungen und Verurteilungen von mehrmonatigen Freiheitstrafen und der Anordnung von Vermögenseinziehungen von bis zu 300.000€. Das führt soweit, dass noch im Februar 2023 für den Handel mit CBD-Ölen innerhalb von drei Wochen von deutschen Gerichten freigesprochen, aber auch zu 10 Monate Freiheitstrafe auf und zu 19 Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wird. Hier werden ganze Existenzen zerstört.

Erfolgt hier keine Änderung, werden zwar keine Strafverfahren gegen Konsumenten mehr eingeleitet, die Nutzhanfindustrie mit ihren zehntausenden Arbeitsplätzen und ihrem Potential für eine nachhaltige, grüne Wachstumsstrategie wäre aber weiterhin durch die kalte Logik des Rechts von strafrechtlicher Verfolgung bedroht und in ihrer Existenz dauerhaft gefährdet.

Medizinisches Cannabis und Modellprojekte

Konsequenterweise würde dann auch im Vergleich zum Heilmittelwerbegesetz deutlich strengere Werbeverbot in § 14 V BtMG weiter gelten. Auch hier sehen wir derzeit verstärkt Ermittlungsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere gegen Apotheken und medizinische Cannabis Importunternehmen, die auf dem schmalen Grat des Werbeverbotes und der notwendigen Patientenaufklärung wandeln müssen. Die Verschreibung wird dann ebenfalls weiter im Rahmen des BtMG erfolgen, was keine Erleichterung für potentielle Patienten beim Zugang zu medizinischem Cannabis bedeutet.

Das kann nicht sein, und das gesamte Vorhaben der Regierung kann sich damit das Etikett „Legalisierung“ nur schwer verdienen! Wir wissen darüber hinaus alle, dass die Modellprojekte ein langer Weg sind. Die Vorstellungen der Bundesregierung scheinen hier wenig bis gar nicht konkretisiert zu sein. Bis der Teilnehmerkreis der Modellprojekte bestimmt, das Studiendesign definiert und die Finanzierung gesichert ist, können wieder mehrere Jahre ins Land gehen, wie wir in der Schweiz und den Niederlanden gesehen haben. Bis dahin, bis zur Einführung der zweiten Säule, soll dann Cannabis im BtMG verbleiben?

Die Bundesregierung muss deshalb Cannabis bereits jetzt aus dem BtMG herausnehmen, und im Sinne einer umfassenden Legalisierung eine größtmögliche Deregulierung anstreben.

Regelungen, die zum Umgang mit Cannabis eingeführt werden, müssen verhältnismäßig sein. Sie müssen sich daran orientieren, ob sie für eine Erreichung der Ziele der Legalisierung, nämlich besserer Gesundheitsschutz, aber auch mehr gesellschaftliche Gerechtigkeit, tatsächlich erforderlich und geeignet sind.

Das sehe ich bei den vorgelegten Eckpunkten noch nicht.

Zeitverzögerung unvermeidbar

Insbesondere bei den Cannabis Clubs werden noch viele Einzelaspekte erwähnt, die noch geprüft werden sollen, zum Beispiel die Herkunft der Samen und Stecklinge. Das ist kein ganz profanes Unterfangen, will man rechtlich zu 100% korrekt vorgehen. In Kanada und den USA wurde diese Frage vorsorglich und geflissentlich ausgeklammert, um den Start der kommerziellen Route nicht zu gefährden. Die Rahmenbedingungen für den Umgang mit Cannabis Clubs sollen deshalb in einem gesonderten Gesetz geregelt werden. Das darf nicht dazu führen, dass die Entkriminalisierung der Konsumenten weiter monatelang hinausgeschoben wird, bis hier eine abschließende Debatte stattgefunden hat.

Es gibt noch viele weitere Aspekte, über die man sprechen muss, zum Beispiel über die Zulässigkeit von Edibles als schonende Konsumform und die Adressierung der Frage nach der sozialen Gerechtigkeit. Löschungen von Verurteilungen über 90 Tagessätzen für den Besitz von bis zu 25 g Cannabis oder den Eigenanbau von bis zu 3 Pflanzen dürfte nur wenige Fälle betreffen, da entsprechende Verfahren in der Regel ohne Urteil eingestellt wurden, und adressiert daher die Frage der sozialen Gerechtigkeit bei weitem nicht ausreichend genug.

Zumindest die Entkriminalisierung der Konsumenten und ein erlaubter Eigenanbau von mindestens bis zu drei blühenden Pflanzen müssen zeitnah, idealerweise vor der Sommerpause, umgesetzt werden. Hierzu gibt es bereits einen praktikablen Vorschlag von LEAP Deutschland e.V. und der Fraktion der Linken, der jederzeit schnell umgesetzt werden kann.

Über Kai-Friedrich Niermann

Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät seit 2018 ausschließlich im Bereich Cannabis mit dem Schwerpunkt regulatorische Anforderungen. Er spricht regelmäßig auf internationalen Cannabiskonferenzen zu Themen des deutschen und europäischen Rechtsrahmens für Cannabis. Kai veröffentlicht regelmäßig Artikel bei Krautinvest, BusinessCann und in juristischen Fachzeitschriften. Kai und sein Büro KFN+ beraten große CBD- und medizinische Cannabis Unternehmen, als auch Unternehmen, die am entstehenden Freizeit-Cannabis Markt interessiert sind. Außerdem ist er Berater der European Industrial Hemp Association (EIHA), die einen Gemeinschaftsantrag für eine Zulassung als Novel Food für verschiedene CBD-Produkte bei der EU-Kommission eingereicht hat, und Mitglied des Advisory Boards der International Cannabis Bar Association (INCBA) und im Vorstand von LEAP Deutschland e.V.

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1 comment

René Mai 1, 2023 - 5:38 pm

Vielen Dank für diesen Artikel der mal die Probleme der „Legalisierung“ nach dem Eckpunkte Papier (jetzt GE) deutlich anspricht und auch gleich entsprechende Lösungen anbietet. Danke dafür. Jetzt müsste man die Politiker nur noch dazu bringen das zu lesen und zu verstehen.

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