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Dr. Vlad-Claudiu Gavril über Cannabis, personalisierte Medizin und medizinische Verantwortung

Dr. Vlad-Claudiu Gavril über Cannabis, personalisierte Medizin und medizinische Verantwortung

“Entschuldige mich bitte!”, mitten im Interview auf der Cannabis Medicinalis Konferenz in Basel unterbricht Dr. Vlad-Claudiu Gavril unser Gespräch. Nicht etwa, weil er unhöflich ist. Ganz im Gegenteil. Aber Vlad betont unaufhörlich, dass Ärztinnen und Ärzte die Patient:innen endlich stärker in den Mittelpunkt rücken müssen. Und nebenan beginnt das Patientenpanel. Der junge Mediziner hat Prioritäten. Das Interview vervollständigen wir später auf schriftlichem Weg. Dr. Gavril plädiert für mehr Absprachen unter den behandelnden Ärztinnen und Ärzten, eine personalisierte Medizin, die nicht über die Köpfe der Patienten hinweg entscheidet, und mehr Wissensvermittlung über das Endocannabinoidsystem. Er findet es bedauerlich, dass der G-BA nicht mit wirklichen Sachverständigen der Cannabinoidtherapie besetzt wurde.

 

krautinvest.de: Du bist “zertifizierter Arzt für medizinisches Cannabis”. Gibt es dafür inzwischen eine spezielle Berufsbezeichnung oder was kann man sich als Laie darunter vorstellen?

Dr. Vlad-Claudiu Gavril: Eine spezielle Berufsbezeichnung gibt es, meines Wissens nach, leider nicht. Ich wollte mich jedoch abheben von den ganzen selbsternannten “Cannabis-Experten“, sodass Patient:innen wissen, dass Sie bei mir an der richtigen Stelle sind. Ich befasse mich mit dem Thema Cannabis allgemein seit vielen Jahren – mit dem Thema medizinisches Cannabis sehr tiefgehend seit knapp 2.5 Jahren. Schon während des Studiums zu Beginn der Corona-Pandemie konnte ich an verschiedenen Universitäten aus den USA bei Online-Kursen Zertifikate erhalten und mein Wissen vertiefen. Gleich nach meinem Studium habe ich mich dann gegen den typischen Weg der Facharztausbildung entschieden und habe mich voll der Cannabinoid-Therapie gewidmet. Ich besuche ständig Konferenzen, Fortbildungen und nutze jede Möglichkeit, um mir noch mehr Wissen anzueignen, sodass meine Patient:innen hiervon profitieren können.

Meiner Meinung nach gibt die Cannabinoid-Therapie unglaublich vielen Patient:innen eine Chance, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Wir unterschätzen als Ärztinnen und Ärzte, glaube ich, wie wichtig es ist, die Patient:innen mitentscheiden und  aktiv mitwirken zu lassen bei der Behandlung.

krautinvest.de: Cannabis ist ein Medikament mit sehr breitem Wirkspektrum; vermutlich behandelst du schwer kranke Patienten aus den unterschiedlichsten medizinischen Fachgebieten – muss man quasi ein Allround-Facharzt werden, wenn man mit Cannabis behandelt?

Dr. Vlad-Claudiu Gavril: Nein, definitiv nicht. Wir müssen in der Medizin wieder zu dem Punkt kommen, wo wir als Team arbeiten. Ich kann als “Cannabis-Arzt“ bei meiner Behandlung Fachärzte zur Beratung hinzuziehen und im Austausch mit ihnen stehen. Natürlich ist diese intensive Zusammenarbeit mit einem höheren zeitlichen Aufwand verbunden, aber nur dies führt am Ende dazu, dass Patient:innen die bestmögliche Behandlung bekommen, was für mich und vermutlich auch meine Kolleg:innen oberste Priorität hat.

krautinvest.de: Ähnliche Frage wie #2 – Cannabis wird zur Behandlung chronischer Erkrankungen eingesetzt. Chroniker nehmen oft bereits eine Vielzahl anderer Medikamente ein und hoffen nicht selten, mit Cannabis andere Medikamente reduzieren oder absetzen zu können. Es gibt sogenannte “Cannabis-Experten”, die die Verantwortung über den übrigen Medikationsplan von sich weisen. Sprich: Sie verordnen Cannabis als Privatleistung und erwarten von den (kassenärztlichen) Kollegen, bei Bedarf den bestehenden Medikationsplan anzupassen. Was sagst du dazu? Wo beginnt und wo endet für dich die Verantwortung eines seriösen “Cannabis-Arztes”?

Dr. Vlad-Claudiu Gavril: Wie oben schon beschrieben: Ein guter Arzt sollte die Verantwortung nicht von sich weisen und “einfach“ auf den Nächsten schieben. Ich erfrage vorab durch einen Fragebogen alle Medikamente, sodass ich vor dem Erstgespräch auch Wechselwirkungen prüfe. Es gibt sehr gute Hilfsmittel zum Thema Interaktionen, wie z.B. die Website drugs.com.

Patient:innen hier alleine zu lassen, halte ich für äußerst gefährlich – es muss definitiv auch beim Thema Medikationsplan seitens des Cannabis-verschreibenden Arztes unterstützt werden.

krautinvest.de: Gibt es besondere Erfolgsgeschichten / Patientenfälle, die dich motivieren, und die du mit uns teilen kannst? Gibt es andererseits Fälle, bei denen die Behandlung mit Cannabis total schiefgelaufen ist?

Dr. Vlad-Claudiu Gavril: Erfolgsgeschichten gibt es viele. Patient:innen berichten mir immer wieder davon, dass sie erst durch die Cannabis-Therapie wieder in das Arbeitsleben gekommen sind, wieder mehr am Sozialleben teilnehmen können und somit natürlich auch mehr Lebensqualität zurückgewinnen. Kürzlich hatte ich eine Patientin mit PTBS, welche vor dem Termin anrief und starke Zweifel hatte, da sie sich nicht vorstellen konnte, mit einem Mann das Erstgespräch zu führen. Ich konnte sie am Telefon beruhigen und habe ihr mitgeteilt, dass wir es einfach probieren und sofort abbrechen könnten, so sie sich unwohl fühle. Am Ende des Gesprächs hat sie sich bedankt und mir gesagt, dass sie nun sagen kann, dass es nicht nur böse Männer gebe. Solches Feedback bestätigt mich in meiner Arbeit und gibt mir auch die Kraft, gegen die teilweise bestehende Gegenwehr bei vielen Kolleginnen und Kollegen in der Ärzteschaft anzukämpfen.

Fälle, wo die Cannabis-Therapie total schief gelaufen ist, gibt es nicht – *knock on wood*.

Natürlich gab es schon Patient:innen, bei denen Cannabis leider nicht die gewünschte Milderung der Symptomatik bewirkte. Cannabis ist kein Allheilmittel, kann jedoch vielen Menschen helfen. Das Schöne ist, dass bei einer medizinisch begleiteten Therapie die Nebenwirkungen gering gehalten werden können und transient sind, also vorübergehen. Natürlich ist die Enttäuschung groß, wenn ich mit der Cannabis-Therapie nicht helfen konnte.

Ich betreue die Patient:innen dann aber auch in diesem Fall bei der Suche nach weiteren alternativen Therapiemöglichkeiten.

krautinvest.de: Woran liegt es deiner Meinung nach, dass noch immer sehr wenige Kassenärzte Cannabis verschreiben? Liegt es am fehlenden Wissen über die Pharmakologie? Das Stigma? Oder ist die größte Hürde das komplizierte Antragsverfahren zur Kostenübernahme bei den Krankenkassen? Anders gefragt: Was muss im deutschen Gesundheitssystem passieren, damit wenig solvente Personen, die kein Geld zusätzlich für eine privatärztliche Behandlung und Medikation aufbringen können, nicht benachteiligt werden in der Gesundheitsversorgung?

Dr. Vlad-Claudiu Gavril: Ich glaube es ist, wie so oft, eine Mischung aus den genannten Dingen. Ich erlebe es immer wieder, dass befreundete Ärztinnen und Ärzte wirklich keine Ahnung haben von Cannabis in der Medizin. Die ist natürlich in gewisser Weise auch dem Studium geschuldet – hier gibt es keinerlei Wissensvermittlung über das Endocannabinoid-System – obwohl das Wissen hierum seit nun knapp 30 Jahren da ist. Bei Kassenärztinnen und -ärzten kommen natürlich neben dem äußerst komplizierten und aufwändigen Antragsverfahren zur Kostenübernahme noch die rechtlichen Fragen hinzu. Zusätzlich ist es wirtschaftlich nicht tragbar für die niedergelassen Ärzte. Es muss definitiv mehr Aufklärung betrieben werden, nicht nur bei den Patient:innen, sondern auch in Fachkreisen. Da mir das Thema wirklich am Herzen liegt, bin ich unter anderem auch hier tätig.

krautinvest.de: Was wären weitere Lösungen?

Dr. Vlad-Claudiu Gavril: Eine wichtige Änderung wäre es beispielsweise, den G-BA mit wirklichen Expert:innen zu besetzen, die auch im Thema drin sind und sich tagtäglich damit befassen.

Patient:innen sollte der Zugang zu Medizinischem Cannabis niemals lediglich aufgrund von Unwissen seitens der Entscheidungsträger verwehrt werden – dies ist aber leider aktuell häufig der Fall.

 

Über Dr. Vlad-Claudiu Gavril

Dr. Gavril studierte Humanmedizin an der University of Medicine and Pharmacy Iuliu Hatieganu (Cluj-Napoca, Rumänien), wo er 2022 auch die Doktorwürde erlangte. Nebenher hatte er bereits verschiedene Zertifikatskurse zum Thema medizinisches Cannabis für Mediziner absolviert, unter anderem an der Doane University (Nebraska, USA) und in Deutschland bei Dr. Franjo Grotenhermen und Prof. Dr. Müller-Vahl. Er berät seit 2020 zur Cannabinoid-Therapie und ist seit Mai 2022 Mitglied der ACM und Unterstützer der IACM. Seit August 2022 ist Dr. Gavril leitender Arzt der canncura GmbH in Köln. Hier möchte er Patient:innen auf Augenhöhe und frei von Stigmen begegnen und so behandeln, dass der Mensch wieder im Mittelpunkt steht und nicht eine bloße Nummer im Gesundheitssystem ist. Dr. Gavril ist entschlossen, allgemein zu Aufklärung & Awareness im Bereich medizinisches Cannabis beizutragen. Um immer auf dem neuesten Stand zu sein, was Cannabinoidmedizin angeht, bildet er sich fortwährend in relevanten Seminaren, Vorträgen und Konferenzen weiter.

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