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Der deutsche Cannabispatient: ein Blick in die Begleiterhebung

Seit der geänderten Gesetzgebung für Cannabis als Medizin im März 2017 hat sich in Deutschland ein neuer Markt entwickelt. Damit einhergehend hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine nicht-interventionelle Begleiterhebung zur Anwendung von Cannabisarzneimitteln beauftragt. Hierfür übermittelt die Ärzteschaft dem BfArM die für die Begleiterhebung erforderlichen Daten in anonymisierter Form. Aber was sagen diese Daten aus und wie werden sie genutzt? Was bedeuten die Ergebnisse für die Behandlung der Patienten? Was können medizinische Cannabisfirmen aus diesen lernen, um die Versorgung der Patienten zu verbessern?

Ein Gastbeitrag von Pia Marten, Vorständin der Cannovum AG

Fast ein Jahr ist es her, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Mai 2019 Daten in Form einer Begleiterhebung, die im Zusammenhang mit Cannabis Patienten zentral gesammelt werden, erstmals veröffentlicht hat. Drei Wochen danach folgte eine detailliertere, aber kostenpflichtige Veröffentlichung im Springer Verlag, zum Downloadpreis von 37,40 €. Auf eine Bundestagsanfrage hat die deutsche Bundesregierung vor kurzem reagiert und weitere Daten des BfArM aktualisiert

Das Ziel der nicht-interventionellen Begleiterhebung ist das Sammeln von Therapiedaten aller gesetzlich versicherten Patienten. Diese werden durch die behandelnden Ärzte in anonymisierter Form an das BfArM übermittelt. Die Daten der privatversicherten Patienten, sowie der Selbstzahler werden in der Begleiterhebung leider nicht erfasst. Die Begleiterhebung des BfArM ist die richtige Maßnahme, um Erkenntnisse zu gewinnen und Cannabis Medikamente zielgerichteter einzusetzen. Die Erhebung stellt für Ärzte und Patienten einen enormen Mehrwert dar. 

Im Folgenden sind die Altersgruppen der Schmerzpatienten zu sehen, die mit Cannabismedikamenten behandelt werden.

Der deutsche Cannabispatient: ein Blick in die Begleiterhebung
Quelle: Dr. Peter Cremer-Schaeffer | Cannabis als Medizin | 09.05.2019| Seite 15 / BfArM

Wenn man mit den Daten der Erhebung die Frage nach dem typischen Cannabispatienten stellt, ergibt sich folgendes Bild: Der typische Patient ist in seinen 50ern und leidet über seit über zehn Jahren an chronischen Schmerzen. Er könnte genauso gut weiblich wie männlich sein, verspürt keine Nebenwirkungen und bleibt bei der Therapie.

Allerdings fasst diese Betrachtung alle Daten zusammen. Wenn man nach Arzneimitteln unterscheidet, ergibt sich ein anderes Bild. So ist zum Beispiel der typische Patient, welcher mit medizinischen Cannabisblüten behandelt wird, männlich und etwa zehn Jahre jünger, also in seinen 40ern. Die Blüten verdampft er mit einem Vaporizer. 

Verordnungen über die Begleiterhebung nach §32 Abs. 6 SGB 5. Buch (CanBV)
Datenumfang / Datensätze der Begleiterhebung nach § 1 CanBV 

Hier sind die Aspekte der Begleiterhebung aufgelistet, zu denen die Patienten befragt wurden. 

  1. Alter & Geschlecht
  2. Diagnose, die die Verordnung begründet
  3. Dauer der Erkrankung oder Symptomatik
  4. Angaben zu vorherigen Therapien
  5. Angaben, ob eine Erlaubnis nach § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes zur ärztlichen begleiteten Selbsttherapie mit Cannabis vorlag
  6. Fachrichtung verordnende/r Ärztin/Arzt
  7. Bezeichnung des verordneten Cannabisarzneimittels
  8. Dosierung, einschließlich Dosisanpassung
  9. Therapiedauer
  10. Begleittherapie
  11. Auswirkung der Therapie auf Krankheits- oder Symptomverlauf
  12. Angaben zu Nebenwirkungen
  13. Gründe für Therapieabbruch
  14. Angaben zur Entwicklung der Lebensqualität

Quelle: Dr. Peter Cremer-Schaeffer | Cannabis als Medizin | 09.05.2019| Seite 8 / BfArM 

Leider wurden nicht alle Ergebnisse publiziert. So finden sich Angaben zur Steigerung der Lebensqualität nur bruchstückhaft und ausschließlich für Sativex-Patienten in den Veröffentlichungen wieder. Die anonymisierten Ergebnisse der Begleiterhebung sollten kostenlos und vollständig veröffentlicht werden. 

Die nachfolgend aufgeführte Grafik zeigt verschiedene Symptomatiken von Cannabispatienten in Deutschland. 

Eigene Darstellung Cannovum AG nach:
Drucksache 19/18292 März 2020 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

Auch wenn Schmerzpatienten die große Mehrheit darstellen, findet medizinisches Cannabis in einem sehr breiten Therapiespektrum Anwendung.  Die alles entscheidende Frage ist, ob Cannabis den Patienten wirklich hilft. Darauf kann die Erhebung Antworten geben. Die Bewertung der Wirksamkeit bei Schmerzpatienten erfolgt anhand einer fünfstufigen Skala. Beispielsweise knapp zwei Drittel der Patienten, denen Blüten verschrieben wurden, konnten von einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik berichten. Was wir aus der Publikation ebenfalls lernen können ist, dass der Therapieerfolg stark abhängig vom individuellen Patienten, dem eingesetzten Medikament und der Dosierung ist. Diese Informationen sind für behandelnde Ärzte und ihre Patienten enorm wichtig, um die bestmögliche Therapie zu gewährleisten. 

Hinsichtlich der Verträglichkeit liefert die Begleiterhebung jede Menge spannende Daten. Obwohl die am häufigsten verordneten Cannabismedikamente, nämlich Blüten und Dronabinol, bei den Patienten in über der Hälfte der Fällen keine Nebenwirkungen hervorrufen, erscheinen Blüten nochmals verträglicher, was z.B. auch eine geringere Abbruchrate zeigt. Allerdings ist nicht klar zu benennen, ob die Unterschiede zwischen den Cannabisarzneimitteln nicht eher auf die Art der Erhebung zurückzuführen sind, daher wären zusätzliche Studien zu Nebenwirkungen wichtig. 

Die Begleiterhebung zeigt: Cannabis ist ein wichtiges Medikament und wird bei einer Vielzahl an Indikationen eingesetzt. Für viele Patienten ist diese Form der Therapie leicht verträglich. Die veröffentlichten Daten der Begleiterhebung sind sehr interessant und werfen weitere spannende Fragen auf: Sind Blüten wirklich verträglicher als Dronabinol? Wieso sind der Großteil der Patienten, die mit Blüten behandelt werden, männlich? 

Die letzte größere bzw. umfangreiche Veröffentlichung von Zwischenergebnissen ist mittlerweile knapp ein Jahr alt. Inzwischen hat sich die Anzahl der Patientendatensätze mehr als verdoppelt. Jetzt wäre also ein guter Zeitpunkt die Datensätze vollständig und kostenfrei zu veröffentlichen. 

Die statistische Begleiterhebung ermöglicht wertvolle Einblicke, ersetzt aber keine wissenschaftliche Studie. Im Sinne der Patienten und um Cannabismedikamente zielgerichteter einsetzen zu können, bietet die Begleiterhebung einen guten Anstoß für weitergehende Studien.

Über die Autorin:
Pia Marten ist CEO & Co-Founder der CANNOVUM AG, die sich auf den Import & Vertrieb von Cannabisarzneimitteln spezialisiert hat. Pia hat Ihre Karriere der Nachhaltigkeit gewidmet und zuvor das operative Geschäft für regenerative Energien der Gexx aeroSol GmbH geleitet. Pia setzt sich dafür ein, dass jeder Patient Zugang zur bestmöglichen Therapie erhält.  

Hinweis: Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

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