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Cannabis-Legalisierung in Deutschland – erste Missverständnisse einer jungen Debatte

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Ein Gastbeitrag von Kai-Friedrich Niermann

Das Jahr ist noch jung, und doch hat schon eine lebhafte Debatte um die Legalisierung von Cannabis in Deutschland nach der richtungsweisenden Bundestagswahl im letzten Jahr an Fahrt aufgenommen. Viele Aspekte und Regelungsbereiche werden thematisiert, die eigentlich gar kein Problem darstellen. So hört man von manchen Beteiligten immer noch, dass ein Apothekenmonopol drohe, dass der THC- Höchstgehalt zu regulieren sei, der Eigenanbau noch in den Sternen stehe, und dass aus völkerrechtlicher Sicht ein Import von Freizeit-Cannabis nach Deutschland nicht möglich sei, wie zuletzt Peter Homberg und der BvCW erklärten.

Dabei gibt es mit dem Cannabiskontrollgesetz bereits einen Entwurf, eine Blaupause, die eine umfassende Regulierung der Legalisierung vorschlägt. Eigenanbau, Import, Ausbildung der Fachverkäufer und Qualität des Cannabis ist in diesem Kontrollgesetz bereits umfassend geregelt. Öfters mal einen Blick in diesen Entwurf zu werfen, lohnt sich immer! Denn er geht auch davon aus, dass Deutschland auch unter Einhaltung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen durchaus Cannabis-Produkte importieren kann. Hierzu später mehr. Gehen wir einmal davon aus, dass tatsächlich in Deutschland angebaut werden müsste, ergibt sich folgendes Gedankenspiel:

Geht man davon aus, dass in einer Produktionsanlage ein Ertrag pro Quadratmeter in Höhe von 400 g möglich ist, bei einem Erntezyklus von 52 Tagen und 7 Ernten im gesamten Jahr, kann man so einen Gesamtbedarf von 500 t an getrockneten Blüten abdecken. Die erforderliche Anbaufläche hierfür beträgt 178.082 m² reiner Anbaufläche, zuzüglich weiterem Platz für Wirtschaftsflächen und Verwaltung.

Ertrag pro m2Erntezyklus in TagenErnten per AnnoBedarf per Annoerforderliche Anbaufläche
g/m2Tagein tin m2
400527,02500178.082,19
Erforderliche Anbaufläche

Das entspräche 21 Fußballfeldern von durchschnittlicher Größe reiner Anbaufläche, bei einer Gesamtkapazität der Anlage von ca. 24 t pro Jahr.

  Entspricht Fußballfeldern:
Größe Feld in m2AnzahlKapazität einer Anlage in t
714021,0084033623,8
In Fußballfeldern

Solch eine Anlage wäre mit Investitionen von mindestens 15-20 Mill. € verbunden und einer Planungs- und Realisierungsphase von mindestens 3-4 Jahren. Sollten diese Anlagen auch noch ausgeschrieben werden müssen, wie manche Überlegungen im Diskurs verlauten lassen, käme eine weitere Verzögerung von mindestens 2-3 Jahren hinzu. Das erste Freizeit-Cannabis aus deutscher Produktion würden wir dann nicht vor 2028 sehen.

Damit wäre die Legalisierung weit aufgeschoben, und das völlig unnötigerweise. Denn ein Import von Freizeit-Cannabis nach Deutschland ist möglich, wie es auch das Cannabiskontrollgesetz bereits aufzeigt.

Nur zur Erinnerung: Obwohl schon Papst Martin V. (1368–1431) sich im 14. Jhd. nachweislich Speisen mit Hanf zubereiten ließ, der Hanfanbau in Europa weit verbreitet war und sogar Cannabispräparate in Apotheken bis in die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts zu finden waren, verabschiedete der Bundestag im Dezember 1971 das neue Betäubungsmittelgesetz („BtMG“). 

Single Convention

Vorangegangen war der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu einer Reihe von Übereinkommen im Rahmen der Vereinten Nationen („UNO“) zur Drogenpolitik, insbesondere dem Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel vom 30. März 1961 über Suchtstoffe, der sog. „Single Convention“.  

Als Folge war nicht nur berauschendes Cannabis mit dem aktiven Wirkstoff Tetrahydrocannabidiol („THC“) fortan streng pönalisiert, sondern auch der Nutzhanf.

Auf internationaler Ebene muss Deutschland somit eine Lösung finden, wie es den Verpflichtungen aus diesem völkerrechtlichen Abkommen gerecht werden kann. Hierzu gibt es verschiedene Beispiele. Uruguay zum Beispiel hat sich bei der Legalisierung von Freizeit-Cannabis auf den Schutz der Menschenrechte berufen, da die Prohibition zu Gewalt, Ausbeutung und erheblichen Menschenrechtsverletzungen geführt habe. Eine dogmatisch überzeugende Lösung ist diese Berufung nicht unbedingt. Uruguay wurde in der Folge mehrfach vom International Narcotics Control Board (INCB) abgemahnt und dem Land wurden sogar Sanktionen angedroht. 

In der Folge konnte auch kein medizinisches Cannabis nach Deutschland exportiert werden, da Uruguay nach Auffassung des INCB gegen die Vorschriften der Single Convention verstoßen hat und ein Export in andere Länder damit nicht mehr möglich war. Dieser Auffassung ist die damalige deutsche Bundesregierung gefolgt.

Kanada hat bei der Legalisierung ebenfalls keinen klaren Weg gewählt. Auch Kanada wurden bereits Maßnahmen vom INCB angedroht, aber niemals umgesetzt. Die komplexen und in die Jahre gekommenen Vorschriften der Single Convention gegen einen mächtigen G-7 Staat durchzusetzen, scheint ungleich schwieriger. Außerdem war Kanada neben den Niederlanden lange Zeit das einzige Land, das ein staatliches medizinisches Cannabis-Programm unterhielt, das den Anforderungen der Single Convention entsprach. In der Folge konnte sich in Kanada eine medizinische Cannabis-Industrie entwickeln, die weite Teile der Welt mit entsprechenden Exporten versorgte. Auch deshalb hielt sich das INCB zurück, und auch die deutsche Bundesregierung ignorierte die kanadischen Verstöße gegen die Single Convention geflissentlich.

Eine weitere Möglichkeit ergibt sich durch die Kündigung der Single Convention und einem anschließenden Wiedereintritt mit dem Vorbehalt „Cannabis“. Einen ähnlichen Weg ist Bolivien gegangen, mit dem Vorbehalt für Koka. Indien, Pakistan und Bangladesch haben bereits bei Eintritt in das Abkommen 1961 Vorbehalte für die Verwendung von Cannabis zu Genusszwecken eingelegt.

Das Cannabiskontrollgesetz der Grünen sieht exakt diese Möglichkeit vor. Im Begründungsteil wird erläutert, dass zunächst eine Kündigung der Single Convention beim Generalsekretär der Vereinten Nationen erfolgen soll. Die Kündigung wird innerhalb der Fristen von Art. 46 der Single Convention zum 1. Januar oder zum 1. Juli wirksam, frühestens jedoch nach 6 Monaten. Gleichzeitig kann dann nach Art. 50 Abs. 2 und 3 der Single Convention der Wiedereintritt unter Einlegung eines Vorbehaltes beantragt werden. Für die anderen Mitgliedstaaten (mindestens 1/3) besteht die Möglichkeit, einen Einspruch gegen diesen Vorbehalt einzulegen, mit der Folge, dass Deutschland unter Umständen nicht wieder Mitglied der Single Convention werden könnte. Hiervon ist aber nicht auszugehen, da die Staatengemeinschaft ein überwiegendes Interesse daran haben dürfte, mit Deutschland auch weiter im Rahmen der Single Convention bei den anderen Drogenarten zusammenzuarbeiten.

Sodann gibt es die Möglichkeit des sog. „Inter se modification“ Verfahrens gemäß Art. 41 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (VCLT) von 1969. Dieses Verfahren bietet die Möglichkeit, eine Balance zu finden zwischen einer Vertragsstabilität und dem Bedürfnis von Veränderungen bei überkommenen völkerrechtlichen Abkommen, insbesondere im Falle eines mangelnden Konsenses.

Bisher beschreiten nur wenige Staaten neue Wege in der Cannabis-Politik, während andere Staaten und Mitglieder der Single Convention weiterhin sehr rigoros eine Prohibitionspolitik durchsetzen (zum Beispiel Russland, Philippinen etc.). Mit einer grundlegenden und zeitnahen Änderung der Single Convention ist deshalb nicht zu rechnen. Sobald aber Staaten eine legale internationale Handelskette aufbauen wollen, können Sie sich dieser völkerrechtlichen Möglichkeit bedienen und im Rahmen des sogenannten „Inter se Modification“ Verfahrens „Mini“-Abkommen schließen, ihre Vertragsbeziehungen untereinander liberal gestalten und internationale Handelsbeziehungen aufnehmen. Im Außenverhältnis zu anderen Staaten würden dann nach wie vor die Regelungen der Single Convention gelten. Insbesondere zur Absicherung der internationalen Versorgungskette wird diese Möglichkeit eine Rolle spielen.

Importe nach Deutschland sind dabei nur dann zulässig, wenn auch das ausführende Land Exporte vorsieht und hierfür Genehmigungen erteilt. Das nach Deutschland importierte Cannabis muss somit rechtmäßig im exportierenden Staat hergestellt worden sein.

Derzeit dürften dafür nur Uruguay und Kanada in Betracht kommen, mit Deutschland entsprechende Lieferabkommen im Rahmen des Inter Se Modification Verfahrens abzuschließen. Solange die Legalisierung auf Bundesebene in den USA nicht beschlossen wurde, besteht für THC-Produkte ein Exportverbot. Dasselbe gilt für alle anderen Länder, ein entsprechendes Medizinal-Cannabis-Programm unter staatlicher Kontrolle reicht hierfür nicht aus.

Es ist aber davon auszugehen, dass insbesondere Staaten, die jetzt bereits medizinisches Cannabis produzieren und Anbaulizenzen verteilt haben (zum Beispiel Kolumbien, Lesotho, Griechenland, Mazedonien etc.), schnell die rechtlichen Voraussetzungen dafür treffen werden, einen Export in den dann größten europäischen Cannabis Markt möglich zu machen.

Ob ein Anbau in Deutschland überhaupt klimaverträglich gestaltet werden kann, darf bezweifelt werden. Sofern Produktionsstätten in Deutschland lizenziert werden, sollten die Betreiber zu einem Null-Energiekonzept verpflichtet werden, damit Deutschland seine klimapolitischen Ziele nicht selbst konterkariert. 

Der Import aus Regionen mit günstigerem Klima und bereits vorhandenen, engagierten Anbauprogrammen scheint deshalb in jedem Falle vorzugswürdig, und ist für eine zügige Umsetzung der Legalisierung auch unbedingt erforderlich.

Über Kai-Friedrich Niermann
Kai-Friedrich Niermann ist seit 2003 Rechtsanwalt und berät seit 2018 ausschließlich im Bereich Cannabis mit dem Schwerpunkt regulatorische Anforderungen. Er spricht regelmäßig auf internationalen Cannabiskonferenzen zu Themen des deutschen und europäischen Rechtsrahmens für Cannabis. Zuletzt sprach er auf der Cannabis Expo 2021 in Johannesburg, auf ICBC 2021 in Berlin und auf ICBC und der CB Expo in Zürich über den rechtlichen Rahmen für einen zukünftigen Freizeit-Cannabismarkt in Deutschland. Er veröffentlicht regelmäßig Artikel, z.B. bei Krautinvest, BusinessCann und in juristischen Fachzeitschriften. Kai und sein Anwaltsbüro KFN+ beraten große CBD- und medizinische Cannabis Unternehmen, als auch Unternehmen, die am entstehenden Freizeit-Cannabis Markt interessiert sind. Außerdem ist er Berater der European Industrial Hemp Association (EIHA), die einen Gemeinschaftsantrag für eine Zulassung als Novel Food für verschiedene CBD-Produkte bei der EU-Kommission eingereicht hat.

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