2021: Die Meilensteine der Cannabis-Industrie in Europa

by Moritz Förster

Was erreichten europäische Cannabis-Unternehmen, ihre hiesigen Dependencen und auf Cannabis spezialisierte Manager und Anwälte 2021? Wir haben Meilensteine zusammengestellt: vom Aufbau einer eigenen europaweiten Lieferkette zur Einführung neuer Produkte und Marken über Finanzierungsrunden, Börsengängen oder Markteintritten bis zur erfolgreichen Gerichtsverfahren. Ein Rückblick auf ein ereignisreiches Jahr.

Eigene europaweite Lieferkette

Stephan Kramer, Gründer & CEO von Heyaday: “Das Heyday-Team konnte mit unternehmerischer Sorgfalt und Zielstrebigkeit eine eigene europaweite Lieferkette aufbauen, validieren und dann operativ das proof-of-concept über die unabhängige Einkaufslogistik, Lagerung im eigenen Lager, bis hin zur eigenen Logistik an die Apotheke zeigen. Oder ganz kurz: Wir haben gezeigt was wir können.”

Bessere Datenlage

Insight Health hat sich als einer der wenigen Datenanbieter im pharmazeutischen Markt auf medizinisches Cannabis spezialisiert. Tobias Haber, Director Speciality Care & Rare Diseases: “Der Meilenstein für unser Unternehmen war der Launch unserer Green-Line-Produktfamilie Anfang Oktober. Durch die bereits angesprochene Änderung der Abrechnungsmodalität von Cannabis-Rezepturen haben sich für uns als Marktforschungsunternehmen ganz neue Möglichkeiten ergeben, das tatsächliche Verordnungsverhalten detailliert zu analysieren. Eine bis dato nie da gewesene Schärfe in den Abrechnungsdaten ermöglicht unseren Kunden nun, die effektive Steuerung ihrer Sales Force und auch mit Hinblick auf die ersten Rabattverträge einen tiefen Einblick in den Bereich der Kostenträger und Erstattungen. Unter dem Namen Green Line bündeln wir fortan sämtliche Cannabis-relevanten Dienstleistungen und -services.”

Investments und Deals

Im Oktober verkündete die Bloomwell Group – zugleich Muttergesellschaft des Telemedizin-Unternehmens Algea Care – ein Investment von über zehn Millionen US-Dollar, angeführt von Measure 8 Venture Partners. Niklas Kouparanis, CEO und Co-Founder Bloomwell Group: “Wir sind mit der Bloomwell Group 2021 auf über 160 Mitarbeitende angewachsen, darunter auch 60 Partner-Ärzt:innen. Zudem konnten wir im Oktober das höchste Seed-Funding eines europäischen Unternehmens für medizinisches Cannabis sichern. Mit Boris Jordan haben wir im gleichen Atemzug eine Koryphäe aus der nordamerikanischen Cannabis-Industrie für unser Board gewonnen.”

Alfredo Pascual arbeitete einst bei MJ Business Daily als Analyst und Redakteur. Im April zog es ihn dann in die Investmentwelt zu Seed Innovations. Fortan sichtet er als Vice President Analysis den Markt nach vielversprechenden Cannabis-Unternehmen. Sein Fazit nach den ersten Monaten unter neuer Flagge: “Wir haben den Verkauf unserer Anteile am Cannabisunternehmen Emmac Life Sciences mit einem Gewinn von 1,9 Millionen Pfund formal abgeschlossen. Das entspricht beim ursprünglich investierten Betrag einer Rendite von 1,86. Außerdem haben wir drei Millionen Euro in die Eurox Group investiert, ein umsatzstarkes, in Deutschland ansässiges, vertikal integriertes europäisches Unternehmen für medizinischen Cannabis. Dadurch haben wir uns auf dem derzeit größten Cannabismarkt in Europa engagiert. Wir unterstützten die Expansion unserer anderen Portfoliounternehmen, wie zum Beispiel den Erwerb eines voll funktionsfähigen GACP-Anbaus und einer GMP-lizenzierten medizinischen Cannabisanlage in Dänemark durch Little Green Pharma.”

Neue Produkte und Marken

Die Sanity Group sammelte im Sommer erst 35 Millionen Euro ein, im November dann weitere drei Millionen Euro. Gegen Ende des Jahres gründete Sanity mit Endosane Pharmaceuticals ein Unternehmen, um cannabinoidbasierte Arzneimittel zu entwickeln. Sanity-Macher Finn Age Hänsel: “Wir haben sehr erfolgreich politische Arbeit mit der Sanity Group, aber auch mit den Verbänden geleistet, wir haben im medizinischen Bereich fünf Produkte neu gelaunched und mit This Place im Wellbeing Bereich eine starke Kosmetikmarke geschaffen, die sich hervorragend entwickelt.”

Synbiotic hat Ende des Jahres fünf Unternehmen rund um Hempro International übernommen, im Juli bereits Geca Pharma. Höhepunkt für Lars Müller, CEO des börsennotierten Unternehmens, war aber etwas anderes: “Ein großer Meilenstein für Synbiotic war sicherlich die Markteinführung des weltweit ersten CBD-Ersatz-Extrakts, das nicht aus der Hanf-Pflanze gewonnen wird. Schließlich geht es uns nicht um die Pflanze per se, sondern um das therapeutische Potential der Cannabinoide. Wir wollen nicht das größte Cannabis-Unternehmen oder das größte CBD-Unternehmen sein, sondern die größte Unternehmensgruppe für Cannabinoide. Hier sind wir 2021 einen großen Schritt vorangekommen.”

Farmako setzte voll auf Testkits. Außerdem kam eine langersehnte Lieferung aus Polen an. Katrin Eckmans, Geschäftsführerin Farmako: “Wir freuen uns, den Markt hinsichtlich der Identitätsprüfung von Cannabis in Apotheken geprägt und eine Prüfung über Schnelltest-Kits durch erfolgreiche Partnerschaften forciert zu haben. Nur eine Vereinfachung bei Verschreibung, Prüfung, Herstellung und Abrechnung kann Cannabis als ‘normales’ Arzneimittel fest in der Medizin verankern. Mit der ersten Einfuhr von Cannabisextrakten aus Polen konnten wir unser Produktportfolio erweitern und freuen uns auf eine spannende Entwicklung im Extrakte-Bereich.”

Cansativa vertreibt seit diesem Jahr exklusiv für das BfArM in Deutschland produziertes Cannabis (Gastbeitrag zum Thema). Zudem verkündete das Unternehmen im Sommer eine Finanzierungsrunde in Millionenhöhe. Benedikt Sons, Co-Gründer & CEO der Cansativa Group: “Unsere wichtigsten Meilensteine waren der exklusive Verkaufsstart von Cannabis aus deutschem Anbau und die kontinuierliche Erweiterung unseres gesamten Produktportfolios: Über 20 großartige Lieferanten und das breiteste Portfolio im Markt machen uns enorm Stolz. Zu guter Letzt freuen wir uns sehr, dass wir unseren Absatz und Umsatz erneut mehr als verdoppeln konnten.”

Boris Moshkovits, Co-Founder, Managing Director. Alephsana: “Alephsana hat im letzten Jahr seine Position als Multibrand-Großhändler gestärkt und einige neue Sorten im Portfolio aufgenommen. Darüber hinaus haben wir langfristige Lieferverträge sichern können, um Engpässe zu vermeiden und eine stabile Supplychain zu haben. Wir haben außerdem unsere Service- und Bestellangebote um digitale Prozesse ausgebaut, um zukunftsfähig unsere Partner in den Apotheken und im Bereich White-Label Versorgung versorgen zu können.”

Neue Partnerschaften

Meira Schmidt, Geschäftsführerin Evercann Animal Care: “Wir haben unsere Franchisekette erweitern und ausbauen können, ebenso unser Sortiment und die Consumer Brands von Evercann Animal Care. Wir haben erste namhafte Kunden aus der Futtermittelindustrie von uns überzeugen können wie den Baumarktriesen Hellweg/Baywa. Unsere Marke Calmy ist mittlerweile erfolgreich im Markt positioniert – dank eines hohen Qualitätsversprechens und einem guten Gespür für unsere Zielgruppen. Uns erreichen mittlerweile immer mehr positive Erfahrungsberichte von Konsumenten und Konsumentinnen, die uns bestätigen hier auf einem richtigen Weg zu sein. Auch haben wir erfolgreich unsere ersten eigenen Ernten von unserem Feld im Münsterland einfahren können und nutzen diese Insights, um 2022 den Anbau von Nutzhanf unter unserem Mutterkonzern, der Evercann GmbH, weiter voranzutreiben.”

Durch eine sehr enge Partnerschaft mit MG Health konnte Drapalin im Sommer erstmals überhaupt in Deutschland unbestrahlte medizinische Cannabisblüten aus Afrika, angebaut in Lesotho, nach Deutschland importieren. Lana Korneva, Geschäftsführerin von Drapalin Pharmaceuticals: “Drapaplin importiert erstmals und als einziger Großhändler medizinisches Cannabis aus Afrika nach Deutschland, produziert von MG Health, Lesotho. Außerdem ist auch dank uns die nicht-interventionelle Studie ‘Cannabis bei ADHS’ gestartet. Wir haben das Event ‘Cannabis als Therapie – gemeinsam die Zukunft gestalten’ mit Politikern, Ärzten, Apothekern und Krankenkassen-Vertretern erfolgreich veranstaltet.”

Auch Rechtsanwalt Peter Homberg, der auf krautinvest unter anderem für eine Harmonisierung des Rechtsrahmens in der EU plädiert, blickt auf ein ereignisreiches Jahr zurück: “Die European Cannabis Practice Group bei Dentons, die ich leite, hat sich auch dieses Jahr mit einer Vielzahl von interessanten Cannabismandaten beschäftigt. Unter anderem haben wir ein großes Investment in ein wichtiges deutsches Cannabis-Vertriebsunternehmen begleitet. Auch hat die von mir mitbegründete European Cannabis Association (ECA) ihre Arbeit aufgenommen. Außerhalb von inhaltlichen Mandaten war ich dieses Jahr auf einer Reihe von Konferenzen und Events mit dem Schwerpunkt Medizinalcannbis, auf denen ich Vorträge gehalten habe, so zum Beispiel auf der International Cannabis Business Conference in Berlin.”

Wachstum

Für Fluence entstehen in Europa aufgrund der in Nordamerika gesammelten Expertise für LED-Beleuchtung in der Cannabis-Produktion gänzlich neue Opportunitäten. Timo Bongartz, General Manager Fluence: “2021 war der Durchbruch für Fluence in Europa. Unsere Marktführende Position für Cannabis-Beleuchtung in Nordamerika konnten wir erfolgreiche nach Europa übertragen. Für uns waren Israel, Portugal, die Schweiz und Südafrika dabei Schlüsselmärkte.”

Stichwort Schweiz. Auch in der Schweiz ist die Legalisierung in die Wege geleitet. Daniel Haymann, Rechtsanwalt, der MLL Meyerlustenberger Lachenal Froriep: “Als Anwaltskanzlei konnten wir unsere Position im Schweizer Cannabismarkt weiter ausbauen. Wir vertreten seit 2021 u. a. die IG Hanf, den größten Industrieverband der Cannabisbranche in der Schweiz, gegenüber den Behörden. Ein konstruktiver Dialog mit den Behörden ist unerlässlich, um pragmatische Lösungen auszuhandeln und um die Cannabisindustrie gesamthaft weiterzubringen. Dafür setzen wir uns ein.”

Franziska Katterbach, President Eruope, Khiron Llife Science: “Das Jahr 2021 war für uns alle sehr herausfordernd, nicht nur persönlich. Wir haben mit Khiron Life Sciences dennoch unsere operative Präsenz in allen fünf Zielländern, also Kolumbien, Peru, Deutschland, Großbritannien und Brasilien, in zwei Regionen weltweit etabliert und verstärkt. Natürlich freue ich mich aus europäischer Perspektive sehr darüber, dass der europäische Anteil am Gesamtumsatz mit medizinischem Cannabis von Khiron mittlerweile mehr als 30 % ausmacht – fast unglaublich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass wir etwa in Deutschland erst in diesem Jahr mit dem Verkauf unserer Produkte begonnen haben und unser Khiron 1/14 heute das meistverkaufte CBD-dominante medizinische Blütenprodukt auf dem deutschen Markt ist. Auf Großbritannien bezogen war 2021 der größte Meilenstein ganz klar die Eröffnung von Zerenia Clinics UK, einer Spezialklinik für medizinisches Cannabis in London.” Katterbach folgte im Juni auf Tejinder Virk und verantwortet seitdem als Präsidentin das Europa-Geschäft von Khiron.

Rechtliches

Kai-Friedrich Niermann, Rechtsanwalt von KFN+, hatte in diesem Jahr besonders viel Freude an der gerichtlichen Auseinandersetzung um die Verkehrsfähigkeit von Nutzhanf. Seine Höhepunkte: “Die Bundesrepublik Deutschland in zwei Fällen zu verklagen, und so aktiv in die Debatte der Liberalisierung von Nutzhanf eingreifen zu können.”

Börsengang

Cannovum ist seit Mai an der Düsseldorfer Börse gelistet. Kürzlich brachte Cannovum eigene Extrakte auf den Markt. Pia Marten, CEO Cannovum: “Der größte Meilenstein bei Cannovum war definitiv, dass wir das erste deutsche pharmazeutische Cannabis-Unternehmen geworden sind, das an der Deutschen Börse gelistet ist. Wir haben unser Medizinalcannabis-Portfolio erweitert und konnten zwei unserer Cannovum-Eigenmarken auf dem deutschen Markt launchen. Wir haben außerdem unsere europäische Expansion begonnen, unser erster Schritt war die Gründung der Cannovum Iberia LDA, einem Joint Venture mit portugiesischen Unternehmern. Wir haben viel Zeit in den Aufbau der Cannovum Medical Education investiert, um die Versorgungssituation zu verbessern und dabei bereits zwei essenzielle Teile gelauncht: unsere kostenfreien, individuell gestalteten Workshops, sowie unseren medizinisch-wissenschaftlichen Außendienst. Und wir haben jüngst den Entschluss gefasst, neben unseren medizinischen Tätigkeiten auch in den legalisierten Markt für Cannabis als Genussmittel einzutreten.”

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